Flieg! Der Vogel als Metapher

Die Premiere des Tanztheaters «Flieg» beeindruckte durch das breite Spektrum und die Vielschichtigkeit: Menschen allen Alters vereinigen Tanz, Gesang, Sprache, Musik, technische Effekte und Gefühle zu einem absolut stimmigen Ganzen, das unter die Haut geht.

Wer nicht vom Fliegen träumt, dem wachsen keine Flügel. (Bild zvg.)
Wer nicht vom Fliegen träumt, dem wachsen keine Flügel. (Bild zvg.)

Am Samstagabend feierte das Moira-Tanztheater einen Riesenerfolg mit «Flieg» in der Aula Ennetgraben in Affoltern. Während die die Zuschauer in den Saal strömten, sassen auf der Bühne ein Mann und eine Frau, die schrieben, Vergangenheit und Gegenwart darstellend. Hinzu kam ein junges Mädchen – die Zukunft. «Flieg!» verbindet in seiner faszinierenden Ganzheitlichkeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Inspiriert von einem persischenMärchen

Marina Gantert, Tanzpädagogin und Choreografin ist Initiantin, Motivatorin, Multiplikatorin, Realisatorin – mit anderen Worten, ohne Marina Gantert und ihr Moira-Tanztheater gäbe es «Flieg!» nicht. Sie erzählt: «Angeregt wurde ich durch eine alte, persische Erzählung von Vögeln, die eine lange, entbehrliche Reise unternehmen, um ‹ihren König› zu suchen. Endlich angekommen, stehen sie zerzaust und müde vor sich selber.

Ich interpretiere diese Geschichte als Metapher für das Gefühl der Sehnsucht, das alle Menschen in unterschiedlichen Variationen kennen. In jedem Alter hat die Sehnsucht eine andere Ausrichtung und andere Beweggründe. Die Umsetzung in Tanz entwickelte sich in Improvisationen während des Tanzunterrichts, in meiner Fantasie und aufgrund der Konzept-Gespräche mit der Regisseurin Delia Dahinden und dem Komponisten, Martin Schumacher.»

Es braucht viel Gespür, um ein Tanztheater auf kleine Kinder, Teenager, junge Erwachsene, Menschen in der Lebensmitte und Menschen im dritten Lebensabschnitt so zuzuschneiden, dass es allen passt und dass sich alle darin vertreten fühlen. Marina Gantert meint: «Die Sehnsucht ist eine grosse, schöpferische Kraft und kann ebenso zerstörerisch sein. Das strebende Begehren bewegt immer wieder Menschen, scheinbar Unmögliches zu denken und zu tun.

Mich interessieren Absturz, Höhen-, und Tiefflüge und die einzigartige Fähigkeit des Menschen – ganz ohne Flügel, kraft seiner Fantasie – abzuheben. Die Bühne, Ort der Imagination, Magie und Illusion ist per se Sehnsuchtsort: Von Bildern lässt man sich tragen, in Musik und Tanz kann man – für eine kurze Zeit – fliegen.»

Hohe Erwartungen

Die letzte Woche vor der Premiere ist für alle eine Zeit der Erwartungen, aber auch der Ängste. Auch Marina Gantert schlief nicht immer gut: «Habe ich ein zu schwieriges Thema gewählt, sind die anspruchsvollen Wechsel und Überschneidungen nicht zu kompliziert? Werden die 100 Menschen es zusammen schaffen, vor Publikum ihre Energien und ihr Können zu bündeln, um ein gemeinsames Ganzes zu sein?»

Ja, alle Beteiligten haben Glanzleistungen geboten – und konnten dies auch im Rahmen von Alter und tänzerischer Ausbildung optimal zeigen.

Hervorzuheben sind die beiden Musiker Samuel Schärli, Schlagzeug, und Simon Zürrer, der die Zuhörer mit musikalischem Können mit den unterschiedlichsten Instrumenten wie Bass, E-Piano, Trompete und sogar Balalaika erstaunte.

Professionelles Team

Der Chor unter der Leitung von Martin Schmid, der auch die Chor-Musik komponiert hat, war einfach perfekt. Insbesondere eine wundersame, unglaublich intensive Frauenstimme (Babette Rusterholz) verursachte mit der Aussagestärke ihrer Soli bei vielen Premierenbesuchern wohlige Gänsehaut.

Der Solotanz von Natascha Rüegg als weisser Vogel mit langen Schwingen war ein visueller Genuss.

Das Bühnenbild von Heinz Maag ist genial, beispielsweise wenn ein Vogelschattenbild mehrmals über ein riesiges dunkelblau beleuchtetes Papier fliegt und schliesslich ein Ei ablegt. Das Ei wächst und bricht unter passenden Geräuschen auf – und eine Menge kleine und grosse Tänzerinnen purzelt durch das Papier auf die Bühne. Die Papierfetzen werden ins Stück integriert, nehmen sogar die Form von Vögeln an. Dass das Bühnenbild so wandelbar und lebendig wirkte, hatte auch mit Josef Busta, Beleuchtung, zu tun.

Riesiges Projekt

Sitzt man im Publikum, verzaubert von dem Geschehen auf der Bühne, ahnt man kaum, wie viel Arbeit dahinter steckt. Die Kostüme, für die Katharina Thierer verantwortlich zeichnet, unterstreichen Handlung und Aussage optimal. Die Kleider der Tänzerinnen und Tänzer sind individuell, einzigartig – und passen doch sehr harmonisch zusammen. Auf die Idee mit der tollen Kombination von dunkelroter Rockhose kombiniert mit dunkelrotem T-Shirt für den Bezirzchor Knonauer Amt muss man erst einmal kommen. Diese roten Figuren hatten nicht nur musikalisch einiges zu bieten, sie waren Labyrinth, Soldaten, Hintergrund, Klangkörper, mal vor der Bühne, mal halb im Zuschauerraum – und immer wieder verflochten mit dem Tanz- und Theatergeschehen. Die Betreuung der Kinder hinter der Bühne, die Öffentlichkeitsarbeit, die Grafik von Arlene Seydoux – alles stimmte. Möglich wurde dies nicht zuletzt auch durch die Produktionsleitung von Goggo Zweifel und den Veranstalter, KiA, Kultur in Affoltern. Es gäbe viele Blumensträusse zu verteilen. Alle Beteiligten verdienen Lob und Anerkennung, denn es braucht alle, auch die begeisterten Kinder, Jugendlichen und deren Eltern sowie die Erwachsenen, die ihre Rolle mit viel Engagement und Konzentration, aber auch mit Spass und spielerischer Leichtigkeit übernehmen.

Tiefgründig und vielschichtig

Das Tanztheater «Flieg!» überzeugt. Vielleicht kann man intellektuell nicht alles auf die Reihe bringen, versteht die für die Kompositionen ausgewählten Gedichte inhaltlich oder akustisch nicht ganz. Je nach Alter fühlt man sich von der musikalischen Bandbreite der Musikstile vom gregorianischen Gesang über portugiesischen Fado, Zigeunerlieder und Chansons bis hin zu Hip Hop und abstrakten Klangwelten unterschiedlich angesprochen. Emotional aber ist man tief berührt und versteht intuitiv, was dem eigenen Alter, der Persönlichkeit und der Lebenssituation entspricht. Man fliegt in Gedanken weit weg, und gleichzeitig zu sich hin.

Weitere Vorstellungen Aula Ennetgraben Affoltern: 11. und 12. November, 19.30 Uhr und 13. November, 15 Uhr. Vorverkauf Buchhandlung Scheidegger 044 762 42 42 .

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