Wenn der Lohn nicht zum Überleben reicht

Was in den USA seit Jahren zum Alltag vieler Arbeitnehmender gehört, ist auch im Säuliamt zunehmend ein Problem. Der Lohn aus der Erwerbstätigkeit reicht nicht, um die eigene Familie durchzubringen. Eine zunehmende Zahl Working-Poor ist beim Sozialdienst Bezirk Affoltern gemeldet.

Bei «Tischlein deck dich» erhalten Bedürftige Lebensmittel, deren mindeste Haltbarkeit überschritten ist. (Bild sals)
Bei «Tischlein deck dich» erhalten Bedürftige Lebensmittel, deren mindeste Haltbarkeit überschritten ist. (Bild sals)

«Tischlein deck dich» ist ein spendenfinanzierter Verein, der wöchentlich 15800 Personen mit Esswaren unterstützt. Im Säuliamt profitieren wöchentlich 45 bis 50 Einzelpersonen und Familien von den Lebensmittelspenden von «Tischlein deck dich». Gesamthaft sind das 140 bis 160 Münder. Coop spendet Lebensmittel, welche das minimale Haltbarkeitsdatum überschritten haben, dem Verein. Dieser verteilt die Lebensmittel auf die 117 Abgabestellen in der gesamten Schweiz. Hier werden sie von ehrenamtlich arbeitenden Säuliämtlern auf die Beziehenden verteilt. Die Richtlinien, wer beim Sozialdienst Affoltern eine Lebensmittelkarte beziehen kann, sind sehr streng. Trotzdem steigt die Zahl der Beziehenden an.

Lebensmittelspenden werden freudig erwartet

«Wenn der Lastwagen kurz nach 8 Uhr mit den Lebensmitteln ankommt, sichten wir die Waren und bestimmen, welche Familiengrösse wie viele Lebensmittel erhält. Bei der Abgabe, die ab 10 Uhr beginnt, werden die Bezugskarten gemischt, damit die Leute nicht versucht sind, Stunden vorher anzukommen, um als Erste dran zu sein. Die Lebensmittelabgabe wird immer mit viel Vorfreude erwartet, deshalb ist der Grossteil der Beziehenden bereits um 9.45 Uhr anwesend», erläutert Sibylla Asper, Co-Leiterin der Abgabestelle in Affoltern. Es seien Working Poor, Menschen mit tiefen Renten und Flüchtlinge, die beim Sozialdienst eine Karte beziehen könnten. Die Lebensmittel von «Tischlein deck dich» werden ergänzend zu den Sozialleistungen verteilt. Meistens werden die Lebensmittel restlos abgegeben. Wenn es einmal zu viel ist, werden sie an die Kantine des Ulmenhofs in Ottenbach weitergegeben.

Bezüger schämen sich oft für Sozialhilfe

Längst nicht alle Menschen, die unter dem Existenzminimum leben, sind beim Sozialdienst gemeldet. «Die Menschen schämen sich grösstenteils, Leistungen des Sozialdienstes in Anspruch zu nehmen. Sie warten deshalb oft, bis sie über beide Ohren in Schulden stecken, bis sie den Sozialdienst aufsuchen. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der gerne Sozialhilfe bezieht», erklärt Susanne Keusch vom Sozialdienst Affoltern.

Die Sozialsysteme in der Schweiz sind eigentlich so ausgelegt, dass niemand zwischen die Räder des Systems geraten sollte. Trotzdem passiert dies immer wieder. Susanne Keusch erläutert: «Ein Teil der Working Poor sind beispielsweise junge Mütter, die nicht viel arbeiten können und deren Kindsväter die Alimente nicht oder nicht vollumfänglich bezahlen können. Ein weiterer Teil sind Familien mit zahlreichen Kindern, deren Eltern keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können.

Dunkelziffer sehr hoch

Bei plötzlicher Krankheit oder Unfällen reicht das Ersparte oder das Resteinkommen oft nicht aus – und bis die Abklärungen bezüglich Sozialhilfe oder IV getätigt sind, kann es je nach Sachlage einige Zeit dauern. Zudem gibt es Menschen mit Depressionen oder Schlafstörungen, denen oft nichts anzusehen ist, die aber im Arbeitsalltag nicht oder nur schlecht zurechtkommen.»

Gemeinsam ist diesen Menschen, dass das Einkommen trotz grosser Bemühungen nicht zum Bewältigen der anfallenden Kosten reicht. Zum Sozialdienst kommen sie meist erst, wenn sie bereits in der Schuldenfalle sind, trotz jahrelanger Bemühungen die Kosten zu senken. «Das geht meistens schleichend – und zieht sich über Jahre hin. Wenn die Rechnungen im einen Monat nicht beglichen werden können, kommt im kommenden die erste Mahnung. Nach einer Weile auch eine zweite und dann eine dritte Mahnung. Irgendwann wird dann die erste Betreibung zugestellt. Wenn sich diese häufen, empfehlen die Betreibungsbeamten den Betroffenen manchmal, den Sozialdienst aufzusuchen und Hilfe zu holen. Bei vielen Menschen überwiegt der Stolz aber auch dann noch», erläutert Susanne Keusch. Die Dunkelziffer bei Working Poor sei dementsprechend hoch.

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