Mehr als ein «typischer Mann auf dem Egotripp»

Uraufführung des Niklaus von Flüe MusikTheaters in Kappel

Bruder Klaus mit Naomi und Johannes in seiner Zelle in Flüeli Ranft vor dem Rad-Bild, das einen mystischen Zugang zu ihm schafft. (Bilder Erika Schmid)

Bruder Klaus mit Naomi und Johannes in seiner Zelle in Flüeli Ranft vor dem Rad-Bild, das einen mystischen Zugang zu ihm schafft. (Bilder Erika Schmid)

Dorothea (in der hellen Bluse), von ihrem Gatten, Bruder Klaus, verlassen, ergänzt in der Schluss-Szene den Chor.

Dorothea (in der hellen Bluse), von ihrem Gatten, Bruder Klaus, verlassen, ergänzt in der Schluss-Szene den Chor.

«Der Ranft-Ruf. Niklaus von Flüe, unter einem Stern geboren», lautet der vollständige Titel des Stücks zum Bauern, Ratsherrn und Einsiedler Niklaus von Flüe, der 1648, nach dem Ende des Dreissigjährigen Kriegs, seelig-, und 1947, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, heiliggesprochen wurde. Es ist keineswegs ein Zufall, dass ihm diese Weihen nach zwei Kriegen zukamen, die in ihrer Brutalität von den jeweiligen Zeitgenossen als noch nie dagewesen betrachtet wurden.

Das Stück besteht vor allem aus Zwiegesprächen, die musikalisch ergänzt und eingeordnet werden. Im Prolog stirbt Niklaus von Flüe, genannt Bruder Klaus. Und damit beginnt seine Auslegung. Die erste Biografie über ihn wurde bereits 1488, ein Jahr nach seinem Tod am 21. März 1487, veröffentlicht. Geschichte und Legende flossen von Beginn weg ineinander.

Bruder Klaus in der Gegenwart

Die Journalistin Naomi (Sylvia Garatti) hat den Auftrag erhalten, einen Artikel über Bruder Klaus zu schreiben. Sie bleibt in der Fülle der Informationen stecken und drängt dem in sich gekehrten Historiker Johannes (Luc Müller), Spezialist für Bruder Klaus, ein Gespräch auf. Sie will wissen, was war. Er erklärt ihr, dass dies gar nicht so wichtig ist, dass Empfindung beim Verständnis von Bruder Klaus entscheidender ist als das Faktische.

Naomi will wissen, wie es Ehefrau Dorothea (Dorothée Reize) empfunden hat, als Niklaus von Flüe sie und ihre zehn Kinder verliess. Johannes nimmt Naomi mit, um die Spiritualität des mystischen Bruders Klaus kennen zu lernen.

Das Leben steckt voller Widersprüche

Auf dieser Basis werden vor allem Zwiegespräche geführt. Dorothea möchte Klaus bei sich behalten, im Wissen, dass er sich immer näher bei Gott als bei ihr fühlt. Naomi betrachtet Klaus als «typischen Mann auf dem Egotrip», Johannes antwortet, er habe auch schon solche Frauen erlebt. Im Zwiegespräch mit Naomi versucht Dorothea, der rationalen Journalistin zu erklären, dass «alles anders» ist.

Dorothea musste als 14-jährige akzeptieren, dass die Eltern ihre Ehe mit dem 28-jähigen Klaus arrangiert hatten. Sie stammte aus einer Ratsherrenfamilie, er hatte ein grosses Bauerngut geerbt. Dank der Ehe mit ihr wurde er selbst Ratsherr.

In einem seiner Monologe schildert Klaus, wie er traumatisiert worden ist: Als eidgenössischer Soldat im alten Zürichkrieg erlebte er, wie der Schwyzer Landammann Ital Reding alle Bauern, die das Städtchen Greifensee verteidigt hatten, einzeln köpfen liess, nachdem sie sich ergeben hatten, ohne die Bitten der Bauern und ihrer Angehörigen um Gnade zu erhören. Als Ratsherr und Richter in Obwalden sah Klaus rotes Feuer aus den Mündern der anderen Richter lodern, wenn sie ungerechte Entscheide zugunsten von Männern aus der Oberschicht fällten.

Gegenläufige Beziehungen

Sie verstehe die Visionen des Bruders Klaus nicht, meint Naomi, worauf Johannes entgegnet: «Versuche nicht, mit dem Verstand zu erfassen, was jenseits deines Denkens ist.» Als Naomi Johannes verrät, sie sei von Bruder Klaus überfordert, verzichte darauf, ihren Artikel zu schreiben und breche deshalb das Gespräch mit ihm ab, antwortet er: «Deine Fragen verändern mein Leben.»

Während Dorothea «im Vertrauen auf das Unaussprechliche» akzeptiert, dass Klaus, der ihr nie wirklich nahe gewesen ist, sich endgültig von ihr abwendet, bewegen sich Naomi und Johannes – unterbrochen von Konflikten und Zweifeln – aufeinander zu. Es zählt zu den Stärken des Stücks, dass diese Annäherung spürbar ist, ohne konkretisiert zu werden.

Zwischen den Szenen singen Larissa Bretscher (Sopran), Anne Heffner (Mezzosopran), Tamás Henter (Tenor) und Yves Brühwiler (Bass), begleitet von Christof Mohr (Cello) Lieder, die Raum für das Nachempfinden der Gespräche auf der Bühne schaffen.

«Der Ranft-Ruf» spricht das Publikum auf ganz unterschiedlichen Ebenen an: mit der Musik, den nuancierten Entwicklungen der beiden Paarbeziehungen, der mystisch-religiösen, der historisch-kritischen Ebene. Gerade dadurch, dass vieles ungeklärt bleibt, erhellt Autor Simon Jenny die legendenumwobene historische Figur des Bruders Klaus. Das Publikum bedankte sich für die überzeugende Uraufführung mit langanhaltendem stehendem Applaus.

Die weiteren Aufführungen in der Klosterkirche Kappel finden am 22. September um 20 Uhr und am 8. Oktober um 17 Uhr statt. Es ist empfehlenswert, die Billette möglichst rasch zu buchen. Hinzu kommen Gastspiele in der ganzen Schweiz.

Infos zu den Aufführungen und zum Vorverkauf unter <link http: www.ranft-ruf.ch external-link-new-window>www.ranft-ruf.ch.

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