Als noch «die Katholiken» die Zürcher Leitkultur gefährdeten

Das Forum Weltoffenes Knonau organisierte eine Stadtführung zum Thema «Ausgegrenzt in Zürich»

Stadtführer Peter Dettwiler (Mitte, oben) führte die vom Forum Weltoffenes Knonau organisierte Exkursion durch die Zürcher Altstadt. (Bilder Salomon Schneider)

Stadtführer Peter Dettwiler (Mitte, oben) führte die vom Forum Weltoffenes Knonau organisierte Exkursion durch die Zürcher Altstadt. (Bilder Salomon Schneider)

Gedenktafel zur Judenverfolgung in Zürich.

Gedenktafel zur Judenverfolgung in Zürich.

Die ersten überlieferten Ausgegrenzten in Zürich waren um das Jahr 300 die Stadtheiligen – Felix, Regula und Exuperantius. Sie waren koptische Christen, die von den Römern aufgrund ihrer Religion verfolgt undschliesslich in der befestigten Zollstation Turicum – deren Überreste immer noch auf dem Lindenberg zu sehen sind – gefangen und geköpft wurden.

«Die Juden» als Sündenbock

Als nächste Minderheit wurden in Zürich Juden verfolgt. Sie lebten seit Jahrhunderten am Rande der Gesellschaft, waren als Geldverleiher und Händler aber eigentlich unabdingbar für die wirtschaftliche Blüte der christlich geprägten Städte Europas. Handwerk war Juden untersagt, dafür durften sie von Menschen nicht jüdischen Glaubens Zinsen einziehen. Peter Dettwiler erklärt: «Juden wurden in einige wenige Berufe gedrängt, in denen sie sich dann umso mehr entfalteten. So bewiesen sie als Geschäftsleute oft grosses Geschick.»

Im Winter 1348/49 brach in Zürich die Pest aus und wie in hunderten Städten Europas wurde «den Juden» die Schuld dafür gegeben. Nach Geständnissen, die unter schwerster Folter erzwungen wurden, wurden sie als Brunnenvergifter verfolgt. In 400 Städten Europas wurden alle Juden ausgelöscht. «Die Juden waren ein geeignetes Ziel, denn zahlreiche Menschen wurden durch den Tod der Juden plötzlich schuldenfrei. Da sie zudem eine sehr geschlossene Gemeinschaft bildeten, bestand wenig Chance, dass sich jemand nachdrücklich für sie einsetzte. Einige Jahre nach dieser grössten Judenvernichtung vor dem Holocaust wurden jedoch neue Juden nach Zürich gelockt, da man Geldverleiher brauchte. Als in den 1430er-Jahren der Papst das Zinsverbot für Christen lockerte, wurden jedoch alle Juden aus Zürich ausgewiesen», erläutert Peter Dettwiler. Zürich war anschliessend über 400 Jahre lang judenfrei, bis ihnen 1862 wieder die Niederlassungsfreiheit gewährt wurde.

Lieber tot, als dem Glauben abzuschwören

Im 16. Jahrhundert kam es zur nächsten grossen Verfolgung einer Minderheit: Es betraf die (Wieder-)Täufer. 1519 wurde Zwingli nach Zürich berufen, 1523 bereits die neue Lehre eingeführt. Einige Gefährten Zwinglis wollten jedoch eine radikalere Reform: die rasche Abschaffung der Messe, die Glaubenstaufe Erwachsener – sie lehnten die Kindertaufe ab – und entsprechend der Bergpredigt keinen Kriegsdienst und keine Todesstrafe. Das führte zum Bruch. Ab 1527 wurden die ersten Todesurteile gegen die Täufer durch Ertränken in der Limmat vollstreckt.

Damit begann eine Täuferverfolgung, die bis ins 18. Jahrhundert andauerte. Bemerkenswert an der Täuferverfolgung ist, wie viele Täufer auch unter der Folter standhaft blieben und sich weigerten, ihrem «Irrglauben» abzuschwören und den «einzig wahren», evangelisch reformierten Glauben anzunehmen. Sie bezahlten dafür mit ihrem Leben und wurden von ihren Glaubensgenossen als Märtyrer verehrt. Für die heutigen Mennoniten und Amischen ist denn auch Zürich die Stadt von Felix Manz, dem ersten Märtyrer der Täuferbewegung und die Wiege ihrer Kirche. Erst 2004 wurde an der Limmat ein Gedenkstein für die verfolgten Täufer installiert. Bis dahin waren die Täufer in der Zürcher Geschichtsschreibung praktisch inexistent.

Wer nicht konvertierte, musste auswandern

Auch für Katholiken hatte die Reformation in Zürich weitreichende Folgen. Wer beim katholischen Glauben bleiben wollte, musste auswandern. Auch für viele Säuliämtler wäre die Auswanderung gleichbedeutend mit dem Verlust von Haus und Hof gewesen. Gerade die Landbevölkerung hatte deshalb starke, primär wirtschaftliche Interessen, die neue Religion anzunehmen. In zwei Kappeler Kriegen – 1529 und 1531 – führte die Religionsspaltung bereits sehr bald nach der Reformation zu den ersten intraeuropäischen Religionskriegen. In den nächsten Jahrhunderten verfestigten sich die Fronten. Peter Dettwiler zitierte ein Formular von 1713 zum Übertritt zum evangelisch-reformierten Glauben: «Wer der ‹alleinseligmachenden› reformierten Kirche beitreten wollte, musste bekennen, dass der Papst ‹der Antichrist seye› und ‹allen Irrthumen der römischen Kirchen gänztlich› absagen und erkennen, dass er oder sie aus der Finsternis des Papsttums ins Licht und auf den rechten Weg des Heils getreten sei.»

Die katholische Kirche galt als nicht-demokratiefähig

Mit der einsetzenden Industrialisierung, Anfang des 19. Jahrhunderts, öffnete sich Zürich jedoch langsam wieder für Katholiken. Es gab dabei ein System, das den heutigen Aufenthaltskategorien des Bundes bereits sehr nahe kam. 1826 zählte Zürich 61 Niedergelassene (C-Bewilligung), 77 Aufenthalter (B-Bewilligung) und 320 Dienstboten und Saisonhandwerker (L-Bewilligung).

Zürich war damals ein unabhängiger Staat. Bürger aus anderen Kantonen waren also Ausländer, die eine Niederlassungsbewilligung brauchten. Mit der Gründung des Bundesstaats 1848 wurde die Personenfreizügigkeit in der gesamten Schweiz eingeführt und damit flammten bald Überfremdungsängste auf. 1860 lebten bereits 4,2 Prozent Katholiken in Zürich, vergleichbar mit dem Anteil Muslime heute. 1880 waren es 9,5 Prozent.

Die reformierte Leitkultur wurde dadurch als gefährdet angesehen und nationalistische Ideen erhielten Aufwind. Beispielsweise wurde eine überlebensgrosse Zwinglistatue aufgestellt. Peter Dettwiler zitierte zur Aktualität der Überfremdungsdiskussion den Soziologen José Casanova: «In der reformierten Schweiz des 19. Jahrhunderts wurde die katholische Kirche als vormoderne, fundamentalistische, nicht-demokratiefähige Religion mit einem Ayatollah in Rom angesehen – ganz ähnlich wie heute der Islam.»

Radikale Strömungen als Hauptproblem

Da Katholiken auf allen Ebenen jedoch dieselben Rechte und Pflichten erhielten und die katholischen Stände im Ständerat sogar eine Mehrheit hatten, konnten sich die Religionen liberalisieren und den Radikalen wurde der Wind aus den Segeln genommen.

Vor dem 11. September 2001 wurde «der Islam» selten als Problem angesehen. Doch mit dem folgenden, wachsendem Antiislamismus, bekamen die radikalen Strömungen in den islamischen Glaubensrichtungen Aufwind. An Einfluss werden diese Strömungen erst wieder verlieren, wenn erkannt wird, dass nicht «der Islam» das Problem ist, sondern radikale Strömungen auf allen Seiten das Hauptproblem der Gesellschaft darstellen.

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