Warten, bis das Leben beginnt

Am 15. März war der Luzerner Journalist und Autor Erwin Koch in der Regionalbibliothek Affoltern zu Gast. Die mitgebrachte Geschichte berührte, es gab sogar ein paar Tränen.

Der 61-jährige Luzerner nahm sich nach der Lesung viel Zeit für die Fragen des Publikums. (Bild Livia Häberling)
Der 61-jährige Luzerner nahm sich nach der Lesung viel Zeit für die Fragen des Publikums. (Bild Livia Häberling)

Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Franziskas Leben hiess Paul, und seit sich ihre Wege gekreuzt hatten, liess er sie weder leben noch verstehen. «Jenseits der Geranien – Bilanz einer Liebe» ist die wahre Geschichte einer Frau, die ihr Leben lang gewartet hat. Auf den Mann ihrer Träume, das Glück, eine Zukunft. Das Leben.

Eine sorgfältige Bilanz

Jetzt, 30 Jahre nach Pauls Tod, war für sie die Zeit gekommen, um unter diese Liebesgeschichte einen Strich zu ziehen und endlich zu verstehen. Dieser Strich hätte vieles sein können: Die Abrechnung einer enttäuschten Geliebten, oder der Schlussstrich des Autors unter einen Sachverhalt, zu dem damit endlich ein Urteil gesprochen werden konnte. Stattdessen präsentierte Erwin Koch in seiner Reportage eine Frau, die ihr Leben vor dem Publikum sorgfältig bilanziert. Sie, die über 30 Jahre lang den Mann einer anderen begehrte und verführte, tat das nüchtern und selbstkritisch: «Sie zerstören meine Ehe!», schimpfte die Gehörnte in der Erinnerung, «Du weisst, dass nicht gut ist, was du tust?», mahnten die Eltern. «Ich merkte, wie sie litten, weil ich liebte, wie zu lieben sich nicht schickte», resümierte sie selbst.

Doch diese Voten zeigten nur den moralischen Teil der Geschichte. Der emotionale war komplexer. Da war Franziska, diese junge Telefonistin, die sich in einen Mann verliebte, ihn begehrte und auf ihn wartete, ihn wollte und auch kriegte. Aber halt niemals ganz. Und da war Paul, dieser ältere Spitaldirektor, der sie liebte, und beschenkte, der sie warten liess, aber auch förderte, der Versprechen machte, und doch nie konkret wurde. Und nicht zuletzt waren da noch die Verstrickungen zwischen Franziska, Paul und dessen Ehefrau, die den Plot in skurriler Weise zuspitzten. Wenn das Ehepaar Franziska plötzlich adoptieren wollte, wenn sie ihr einen Kredit für den Hauskauf gaben, oder wenn sie später gemeinsam in das Pflegeheim einzogen, das die junge Geliebte führte.

Es gab viel zu besprechen

Der Redebedarf war nach der Lesung gross. Das Publikum wollte nicht nur über Erwin Kochs Arbeitsweise und seine Geschichtensuche mehr erfahren, sondern auch über Franziska, die heute 84-jährig ist und nicht zur Lesung kommen mochte. Ihre Liebesgeschichte berührte und liess das Publikum ein paar Tränen wegwischen. Zugleich sollte es mit offenen Fragen zurückbleiben. Erwin Koch hatte die Ecken von Franziskas Biografie bis ins Detail ausgeleuchtet, um dann wegzulassen, was nicht zwingend gesagt werden musste. Diese Reduktion liess eigenen Bildern und Gedanken Platz. Aber auch eigenen Urteilen, wie sich aus den Voten zeigte. Eins jedoch war klar: Die Geschichte fand beim Publikum grossen Anklang. Vielleicht, weil sie ganz unaufgeregt vom prallen Leben erzählte. Vielleicht aber auch deshalb, weil die Reportage keine Abrechnung und kein Urteil war, sondern einfach eine wahre Geschichte. Erzählt von Erwin Koch.

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