«Früher lobbyierte ich für die Eigentümer, heute für Gott»

Als Direktor des Hauseigentümerverbands Schweiz ist er in Rente gegangen – nun wird Ansgar Gmür Pfarrer. Im Interview verrät er, wie es dazu kam und was die Gläubigen von seinen künftigen Predigten erwarten dürfen.

Er ist ruhelos und fühlt sich wohl beim Bau von Neuem: Der künftige Pfarrer Ansgar Gmür. <em>(Bild Martin Mullis)</em>
Er ist ruhelos und fühlt sich wohl beim Bau von Neuem: Der künftige Pfarrer Ansgar Gmür. <em>(Bild Martin Mullis)</em>

Als zweitjüngstes von acht Kindern erlebte Gmür auf einem Bergbauernhof in Amden SG eine harte und prägende Kindheit. Seine Mutter stirbt früh, sein Vater erzieht die Kinder streng und erzkatholisch. Schnell lernt er, dass er es lediglich durch harte Arbeit zu etwas bringen würde. Nach der Lehre als Chemielaborant macht Gmür die Matura, studiert Betriebswissenschaft und Recht. Der fleissige Universalmensch klettert mit immer verantwortungsvolleren Posten die Karriereleiter hinauf. Als Direktor einer der grössten Verbände der Schweiz vertrat er während über 18 Jahren die Interessen der Hauseigentümer in unserem Land. Entspannende Spaziergänge mit seinem Hund sind nach seiner unmittelbar bevorstehenden Pensionierung jedoch keine Option, er will als Pfarrer weiterarbeiten.

«Anzeiger»: Herr Gmür, Sie studieren momentan an der Theologischen Fakultät Zürich und wollen fortan als Pfarrer arbeiten. Nach einem reichbefrachteten Leben mit harter Arbeit hätten Sie alles Recht der Welt zurückzulehnen und das Leben als Rentner zu geniessen. Was treibt Sie an?

Ansgar Gmür: Ganz genau dieselbe Frage hat mir meine Frau kürzlich auch gestellt. Es gibt dafür drei Antworten: Der Wille, der Wille und der Wille. Zusätzlich prägte ein gefährliches Erlebnis meine unbeugsame Beharrlichkeit. Als kleiner Bub geriet ich in einen bösen Wintersturm. Im Schnee stecken geblieben bestand für mich Todesgefahr. Damals wurde mir klar, dass ich mich um zu überleben mit ganzer Kraft wehren muss. Nur so überlebte ich und wusste von nun an: Ich muss mich wehren.

«In der Kirche darf es durchaus auch einmal etwas lustig sein.»

Ihr Leben und Ihre berufliche Laufbahn lesen sich wie eine Bilderbuchkarriere. Sind Sie ein Genie?

(Schmunzelt) Nein, das bin ich nicht. Ich behaupte immer, ich hätte IQ 51 und mein Hund habe einen IQ von 52, das gibt immerhin die beachtliche Zahl von 103 Punkten.

Haben Sie kein Hobby, welches Sie als Rentner pflegen könnten?

Klar doch, ich habe gleich mehrere Hobbys. Da steht einmal Schlafen ganz zuoberst auf der Liste. Danach natürlich meine Familie und an dritter Stelle das Jassen. Aber wenn ich das erste und wichtigste Hobby – das Schlafen – so ausgiebig pflege, bin ich anschliessend umso muntererer, um noch zusätzlich andere und sinnvollere Dinge zu unternehmen.

Haben Sie in Ihrem bisherigen Leben eventuell böse oder schlimme Taten vollbracht und haben Sie nun Angst vor der Strafe Gottes, dass Sie nun glauben, in der Religion Vergebung zu erhalten? Sind Sie wirklich durch und durch gläubig?

Nein, wirklich nicht! (Wieder ein typisch schelmisches Gmür-Lachen.) Es stimmt, ich bin gläubig. Ich glaube an ein jüngstes Gericht und an die Auferstehung. Gott hat mir einige ausserordentlich tolle Talente geschenkt. Diese möchte ich anwenden und damit für Gott lobbyieren. Früher lobbyierte ich für die Hauseigentümer, nun für Gott. Das ist mein Auftrag, das will ich machen.

Werden Sie nun als reformierter Pfarrer angestellt und verdienen mit Predigen ein Zubrot?

Nein, einen Lohn werde ich von der Kirche nicht beziehen. Ich habe bisher genug verdient, bin finanziell gut gestellt und lebe ausserdem bescheiden.

Sie sind ein überaus widersprüchlicher Mensch. Sie wurden katholisch erzogen und wollen jetzt als reformierter Pfarrer arbeiten. In Ihren Referaten benutzen Sie immer wieder ganz und gar nicht geistliche Ausdrücke. Werden Sie in der Kirche beim Predigen ebenfalls verbal entgleisen?

Ja, das gebe ich durchaus zu. Zu solchen kleinen Entgleisungen kommt es leider, weil ich halt mit Herzblut agiere. Ich werde jedoch in der Kirche achtgeben und anständig sprechen. Sicher aber werde ich beim Predigen die Gläubigen sozusagen mit einem Frontalangriff konfrontieren. Man muss den Menschen Fragen stellen und die Gelegenheit zur Interaktivität geben. Man muss die Menschen abholen und ausserdem: In der Kirche darf es durchaus auch einmal etwas lustig sein.

«Ich bin bekannt, dass ich auch mit Linksdenkenden sehr gut umgehen kann.»

Wenn ich an gewisse Aussagen in Ihren Referaten als Direktor des HEV denke, könnten Ihnen als künftiger Pfarrer einige Stolpersteine im Weg liegen. Gewisse politische Aussagen liegen weit näher bei der SVP als bei der EVP. Ausserdem scheint für Sie der Begriff «Politische Korrektheit» ein Fremdwort zu sein.

Meine politische Gesinnung nenne ich wertkonservativ aber sehr sozial denkend. Ich bin aber bekannt dafür, dass ich auch mit linksdenkenden Menschen sehr gut umgehen kann. Nationalrätin Hildegard Fässler von der SP bezeichnete mich einmal als «hartnäckig aber für den HEV Gold wert». Ich glaube aber, wir demontieren mit einer gewissen linken Gesinnung den Staat. Ausserdem finden die meisten Gläubigen, dass die Politik in der Kirche nichts zu suchen habe.

Wurden Sie wegen Ihrer doch sehr konservativen Gesinnung auch angegriffen?

Natürlich. Früher eher mit persönlichen Schreiben, in neuerer Zeit noch häufiger mit Mails. Oft auch sehr verletzend. Das störte mich hauptsächlich dann, wenn die Vorwürfe und Anschuldigungen von Leuten stammten, die mich überhaupt nicht kannten. Vielfach habe ich auch geantwortet und oft gute Reaktionen und sogar Entschuldigungen erhalten. Doch mit der digitalen Zeit und den schnellen und oft unüberlegten Anfeindungen entdeckte ich auch die «Delete-Taste». Aber es ist klar, ich bin nicht fehlerlos.

Ein schönes und einem Pfarrer würdiges Schlusswort. Für Ihren kommenden Lebensabschnitt als Geistlicher wünsche ich Ihnen alles Gute.

Interview: Martin Mullis

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