Gleichstellungspolitik im Windschatten der Öffentlichkeit

Kommentar

Die Agir AG hatte im Sommer mit sexistischen Kommunikationsmitteln für Aufsehen gesorgt. Inzwischen hat sie ihren Auftritt angepasst.<em> (Bild Livia Häberling)</em>
Die Agir AG hatte im Sommer mit sexistischen Kommunikationsmitteln für Aufsehen gesorgt. Inzwischen hat sie ihren Auftritt angepasst.<em> (Bild Livia Häberling)</em>

Sie klangen vielversprechend, die Schlagzeilen von letzter Woche: «Zürcher Regierung schickt Chefs von Baufirma in Gender-Schulung» und «Nun reagiert der Regierungsrat». Ebenso hiess es, die Baudirektion habe die Firma Agir wegen sexistischer und geschlechterdiskriminierender Kommunikation gemassregelt. Hat also der Regierungsrat im Fall «Agir» gehandelt und ein Zeichen gesetzt – für die Gleichstellung, gegen die Diskriminierung? Nein – ganz im Gegenteil.

Die Baudirektion liess Agir am 3. Juli eine Sanktionsandrohung zukommen und forderte das Unternehmen auf, diskriminierende Werbung in Zukunft zu unterlassen. Das allerdings hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits getan. Die Mitarbeiter-Magazine? Waren am 29. Juni vom Netz. Die Homepage? War am 2. Juli überarbeitet. Die Sensibilisierungskurse mit der kantonalen Fachstelle für Gleichstellung? Waren in Planung, als der Brief der Baudirektion eintraf. Sie waren nämlich keine Auflage der Direktion, sondern entstanden aus dem Kontakt zwischen der Agir-Leitung und der Gleichstellungsbeauftragten.

Agir hatte also reagiert, bevor sich die Baudirektion zum Fall zu Wort meldete. Deshalb kann es nicht die Behörde gewesen sein, die Agir zum Handeln gezwungen hat. Tatsächlich war es der öffentliche Druck, der sich in diesen Tagen zugespitzt hatte. Es war die Öffentlichkeit, die sich schockiert darüber zeigte, dass eine Unternehmung mit derartiger Kultur staatliche Aufträge erhält. Die diesen Missstand nicht akzeptieren wollte. Und die Agir-Filterblase zum Zerplatzen brachte.

Und die Regierung? Ja, sie hat sich in den Fall «Agir» eingeschaltet. Aber sie kam zu spät. Sie kam, als die diskriminierenden Kommunikationsmittel beseitigt und die Sensibilisierung der Betroffenen in Angriff genommen waren. Das muss sie sich vorhalten lassen. Weil dieses «Zu-spät-Kommen» kein Versehen, sondern kalkulierte Politik ist. Im Nachhinein einzugreifen, ist deutlich günstiger, als mit Kontrollen zuvorzukommen. Bis heute ist der Regierungsrat nicht bereit, Überprüfungsmechanismen zur Durchsetzung des Gleichstellungsartikels einzuführen. Auch aus Kostengründen. Obwohl auf Bundesebene und vereinzelt in Städten bereits solche Instrumente eingesetzt werden. Die Regierung foutiert sich weiterhin um die konsequente Umsetzung des Gleichstellungsartikels. Obwohl er seit 37 Jahren in der Bundesverfassung verankert ist.

Statt auf systematische Kontrollen setzt man auf die Selbstdeklaration der Unternehmen. Die Überprüfung und Sanktionierung fehlbarer Firmen werden auf die Vergabestellen abgewälzt. Damit spart die Regierung administrative Aufwände und Kosten. Und: Sie windet sich aus der Verantwortung, Diskriminierung beim Namen zu nennen. Lieber segelt sie elegant im Windschatten der Öffentlichkeit. Hat diese – wie im Fall Agir – den Missstand erkannt und benannt – schaltet sie sich ein. Nicht vorher.

Das Problem: Nicht nur die Regierung zieht sich mit ihrer halbherzigen Pflästerli-Politik aus der Verantwortung. Auch den Unternehmen eröffnet sie ein wunderbares Schlupfloch. Denn: Solange der Regierungsrat selber eine Politik des Reagierens statt des Agierens betreibt, so lange werden auch fehlbare Anbieterinnen und Anbieter nicht in letzter Konsequenz zum Agieren, sondern höchstens zum Reagieren gezwungen. Sie können sich darauf verlassen, dass ihre Angaben auf der Selbstdeklaration nicht überprüft werden. Und falls sie dennoch wegen Verdachts auf Diskriminierung in die Schlagzeilen geraten? Dann dürfen sie in aller Regel mit einer gütigen zweiten Chance rechnen. Kaum dürfte die Regierung diskriminierendes Verhalten tatsächlich sanktionieren. Wie auch, wenn sie der konsequenten Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes selber seit Jahr und Tag mit Ignoranz begegnet?

Hat also der Regierungsrat die Agir-Belegschaft in einen Nachhilfekurs geschickt? Nein. Hat er tatsächlich reagiert? Nein. Er hat lediglich im Nachhinein den Mahnfinger erhoben. Und lässt es damit gut sein. Bis zum nächsten Fall.

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