Die Schiedsrichter im Brennpunkt

Zum Rückrundenstart der 1. Mannschaft des FC Affoltern

Lion Gallusser bei der Arbeit. (Bild zvg.)
Lion Gallusser bei der Arbeit. (Bild zvg.)

Ab nächstem Wochenende zum Rückrundenstart können auch in den Zürcher Zweitliga-Gruppen spektakuläre Tore, mirakulöse Torhüterparaden und filigrane Pässe beklatscht und bewundert werden. Dabei würde eine oft gescholtene Gattung eine besondere Hommage verdienen. Die Rede ist von den Schiedsrichtern und ihren Assistenten. Meist schaffen sie es nur in die Schlagzeilen, wenn ihnen ein gravierender Fehler unterläuft. Derzeit stellen sich beim FC Affoltern sechs Schiedsrichter dieser Herausforderung, zu ihnen gehört als hochqualifizierter Referee Lion Gallusser. Sein pädagogisches Geschick als ausgebildeter Gymnasiallehrer kommt ihm wohl auch als Schiedsrichter zugute. Ein Interview mit ihm vermittelt einen Eindruck über diese häufig geschmähte, aber unentbehrliche Tätigkeit.

«Anzeiger»: Der Fussball-Weltverband Fifa kürte in seinem Magazin die elf grössten Schiedsrichter-Fehlerentscheide aller Zeiten. Was halten Sie von solchen Ranglisten?

Lion Gallusser: Solche Ranglisten sind natürlich für jeden Fussballbegeisterten interessant, da diese Fehlentscheide letztlich grosse Auswirkungen auf den Erfolg, den Sieg oder das Weiterkommen einer Mannschaft hatten – und gerade deshalb noch lange in den Köpfen der Fans bleiben. Insofern finde ich, dass Ranglisten mit Fehlentscheiden die Geschichte des Sports mitschreiben. Allerdings sollte man dabei immer daran denken, dass es sich bei solchen Fehlentscheiden stets um Entscheide handelt, welche gut geschulte Schiedsrichter in kürzester Zeit unter höchster Anspannung fällen müssen – ohne etwa auf TV-Bilder zurückgreifen zu können.

 

«Ich bin auf andere Weise Schiedsrichter geworden.»

Obwohl die Schiedsrichter und Schiedsrichterassistenten meist nur dann in die Schlagzeilen gelangen, wenn sie gröbere Fehler begehen, sind Sie Schiedsrichter geworden. Was hat Sie dazu motiviert?

Ich sehe den grossen Reiz der Schiedsrichterei darin, den Sport Fussball überhaupt zu ermöglichen. Denn welches Spiel könnte ohne Schiedsrichter ausgetragen werden? Zudem finde ich es interessant, das Spiel zu «leiten», also gewissermassen doch im Mittelpunkt zu stehen, ohne aufzufallen, – ganz gemäss dem Motto: «Ein guter Schiedsrichter ist man dann, wenn man nicht auffällt.» Es motivierte mich aber auch die einmalige Erfahrung, unter höchstem psychischen Druck, stets im Wohle des Fussballs die richtigen Entscheidungen gemäss den Regeln zu treffen und dabei mit meiner Persönlichkeit zu überzeugen.

Wie wird man Schiedsrichter und seit wann sind Sie für den FC Affoltern Schiedsrichter?

Es gibt verschiedene Wege, Schiedsrichter zu werden. Am einfachsten ist es, wenn man sich an einen Fussballclub wendet. Der Club unternimmt dann in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Schiedsrichterverantwortlichen die ganze Administration und Anmeldung beim regionalen Fussballverband. Sodann wird man zu einem ersten Kurs mit Konditionstest eingeladen. Danach steht der eigentliche Schiedsrichter-Grundausbildungskurs an. An diesem dreitägigen Kurs lernt man alle Grundlagen. Um selbst pfeifen zu dürfen und erste Spiele in der Meisterschaft der C-Junioren zu erhalten, muss man noch einen Regeltest bestehen und an einer gemeinsamen Spielbeobachtung teilgenommen haben.

Ich bin auf andere Weise Schiedsrichter geworden. Man kann nämlich alternativ zum regionalen Grundausbildungskurs auch an der Sportwoche des Schweizerischen Schiedsrichterverbands teilnehmen und in deren Rahmen die Grundausbildung absolvieren. Dies habe ich Sommer 2007 getan. Seither bin ich als Schiedsrichter für den FC Affoltern im Einsatz.

Wie verlief Ihr Werdegang?

Bis 2010 durchlief ich die Junioren- und die Aktivligen bis in die 3. Liga. Anfangs 2011 absolvierte ich die Ausbildung zum Schiedsrichterassistenten in der 2. Liga. 2012 stieg ich als Assistent in die 2. Liga Interregional und 2013 als Schiedsrichter in die 2. Liga auf. 2013/14 hatte ich die Ehre, an der Referee Academy des Schweizerischen Fussballverbands teilzunehmen, und pfiff oder assistierte vorwiegend in der nationalen U-18-Meisterschaft, was eine einmalige Erfahrung war. Nach einem Unterbruch meiner Schiedsrichteraktivität konnte ich im Sommer 2015 in die neustrukturierte Referee Academy (ein nationales Förderprogramm für junge und talentierte Schiedsrichter) einsteigen und entschied mich definitiv dafür, als Schiedsrichterassistent meinen Weg in höhere Ligen zu versuchen. Im zweiten Jahr der Referee Academy assistiere ich in der ganzen Schweiz Spiele in der 2. Liga Interregional.

 

«Je höher man pfeift, desto mehr verdient man.»

Schiedsrichter sind in ihrer anspruchsvollen Aufgabe ausgesprochen exponiert. Wie gehen Sie mit dem Druck um, der von wütenden Fans bis zu unverständigen Spielern und Funktionären ausgeht?

Ich versuche, stets ruhig zu bleiben und mich auf die Spielleitung beziehungsweise das Assistieren zu konzentrieren. Abgesehen von den Fans, bemühe ich mich auf dem Platz aber auch darum, allfälliges Konfliktpotenzial vorauszunehmen und zu minimieren, indem ich etwa mit den Spielern oder Trainern rede und ihnen Entscheide erkläre.

Gibt es Aussagen von Zuschauern, Spielern oder Funktionären, die Sie besonders ärgern?

Mich ärgern eigentlich nur Aussagen, welche den Schiedsrichtern unterstellen, dass sie die Spielregeln nicht kennen würden. Gerade im Bereich des Fouls und Abseits gibt es viele Beurteilungskriterien, welche wir in Schulungen lernen und in den Spielen anwenden, die aber gewisse Zuschauer, Spieler oder Funktionäre im Eifer des Gefechtes manchmal zu vergessen scheinen.

Was halten Sie von technischen Hilfsmitteln für Schiedsrichter und Schiedsrichterassistenten?

Ich finde solche Hilfsmittel dann richtig und angebracht, wenn es sich um ganz klare und wichtige Entscheide wie «Tor» (der Ball war über der Linie) oder «Kein Tor» handelt. In solchen Situationen kann der Schiedsrichter manchmal einfach nicht richtig entscheiden, weshalb ihm technische Hilfsmittel wie die Torlinientechnologie eine grosse Hilfe sein können. Von weiteren Hilfsmitteln wie Videobeweise für Fouls oder Abseits halte ich momentan weniger, da sie den Spielfluss unterbinden und auch nicht immer eine klare Antwort geben können.

 

«Mein Ziel ist es, eines Tages, Spiele in der Super League zu assistieren.»

Wie trainieren Sie die Regelkenntnisse?

Meine Regelkenntnisse halte ich stets auf dem aktuellsten Stand mit Regelfragen, die man online lösen kann und mit interaktiven Videoszenen aus vergangenen Spielen in den höheren Ligen, in welchen man dann die richtigen Entscheidungen per Mausklick fällen muss. Zudem schaue ich mir regelmässig die umstrittenen Szenen aus Spielen in höheren Ligen im Internet an.

Wie trainieren Sie körperlich für Ihre Einsätze?

Momentan trainiere ich meine Fitness mit regelmässigen Lauf- und Krafteinheiten. Einen Schwerpunkt lege ich dabei auf Intervall-Trainings, welche die Ausdauer und die Kraft zugleich verbessern.

An welche Begegnung, an der Sie als Schiedsrichter oder Schiedsrichterassistent im Einsatz standen, erinnern Sie sich besonders gerne?

Besonders gerne denke ich an ein Trainingsspiel als Assistent zwischen der ersten Mannschaft des FC Aarau (Challenge League) gegen den FC Schöftland (damals in der 2. Liga) im Brügglifeld vor schön gefüllten Zuschauerrängen zurück.

Welches Spiel bleibt Ihnen in unangenehmer Erinnerung?

Ein Spiel in der 3. Liga vor geraumer Zeit. Eine Mannschaft verhielt sich so unfair, dass meine Sanktionen kaum noch Wirkung zeigten – im Gegenteil: Mit jeder gelben und auch roten Karte mehr legte die Mannschaft noch zu mit Aggressivität. Zum Glück stieg die andere Mannschaft, welche ja die Härte der Fouls und auch die Unsportlichkeiten zu spüren bekam, nicht darauf ein.

Welche Ziele haben Sie in Ihrer Schiedsrichter- oder Schiedsrichterassistentenkarriere?

Mein Ziel ist es, eines Tages, Spiele in der Super League zu assistieren. Vorläufiges Ziel ist das erfolgreiche Absolvieren der Referee Academy und der damit verbundene Aufstieg in die 1. Liga als Assistent.

Über welche Qualitäten verfügt ein vorbildlicher Schiedsrichter Ihrer Meinung nach?

Ein guter Schiedsrichter liebt den Fussball, kennt die Spielregeln bestens, ist kritikfähig, hat eine gute körperliche Verfassung, eine gefestigte Persönlichkeit und ist bereit, an sich zu arbeiten und sich stetig zu verbessern.

Viele Vereine haben Mühe genügend Schiedsrichter zu rekrutieren. Wie könnte Ihrer Meinung nach das Schiedsrichteramt attraktiver gestaltet werden?

Ich glaube, dass man das Amt des Schiedsrichters nicht umgestalten muss, sondern lediglich im Club besser darüber informieren sollte. Denn gerade die Aufstiegschancen und die Kollegialität unter den Schiedsrichtern sind einmalig und würden manch einer oder einem sehr zusagen, wenn sie beziehungsweise er besser darüber informiert wäre.

Welches sind gegenwärtig die Entschädigungen für Schiedsrichter- oder Schiedsrichterassistenten?

Die Entschädigungen hängen jeweils von der Liga ab, in welcher man im Einsatz steht. Je höher man pfeift, desto mehr verdient man. Als Schiedsrichter in einem Meisterschaftsspiel in der regionalen 2. Liga erhalte ich normalerweise 140 Schweizer Franken.

Am 1. Juni 2016 hat der IFAB (International Football Association Board) das Fussballregelwerk komplett neu gestaltet. Welches ist für Sie die wichtigste Regeländerung und wie hat sie sich in der kurzen Zeit ihrer Anwendung bewährt?

In meinen Augen ist die markanteste Änderung, dass die sogenannte «Dreifachbestrafung» bei einem Foul im Strafraum weggefallen ist. Denn wenn früher ein letzter Verteidiger im Kampf um den Ball im Strafraum das Bein des etwa alleine auf den Torhüter zustürmenden Stürmers in einem Foul getroffen hatte, wurde er mit einer roten Karte vom Spiel ausgeschlossen, erhielt die gegnerische Mannschaft einen Elfmeter zugesprochen und musste der Spieler mindestens im nächsten Spiel zuschauen und durfte nicht mitspielen.

Mit den neuen Regeln wird bei einem solchen Kampf um den Ball, der ein Foul zur Folge hat, lediglich die Torchance mit einem Elfmeter wiederhergestellt und der Spieler mit der gelben Karte verwarnt. Ansonsten werden die Mannschaft und der Spieler aber nicht mehr so hart bestraft. Da die neue Regel zudem zwischen Kampf um den Ball und rücksichtlosem oder absichtlichem Reissen oder Stossen unterscheidet, ist sie eine sehr sinnvolle Lösung, die sich bereits in verschiedenen Szenen in den Spielen, seit der Regeländerung etabliert hat. Interview: Rolf Oberhänsli

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