«Ich habe 26 Stunden lang gelitten»

Adrian Brennwald an der Ultra Tour Monte Rosa auf dem Podest, trotz Sturz und riesigen Magenproblemen.

Adrian Brennwald auf dem Theodulgletscher. Im Hintergrund befindet sich das Matterhorn. (Bild zvg.)
Adrian Brennwald auf dem Theodulgletscher. Im Hintergrund befindet sich das Matterhorn. (Bild zvg.)

Die Ultra Tour Monte Rosa fand dieses Jahr erstmals als Non-Stop-Rennen über 170 Kilometer statt, ein Wettkampf, den von 120 Gestarteten nur 62 beenden konnten. Eigentlich ist der menschliche Körper weder dafür gemacht, über 30 Stunden am Stück wach zu sein, noch, während dieser Zeit 170 Kilometer zu laufen. Wenn das Ganze über hochalpine Wege führt und die Verpflegung mangelhaft organisiert ist, stossen Körper und Geist an ihre Grenzen. «Ich habe 26 der 32 Rennstunden gelitten. Die Schmerzen gingen noch – Schmerzen hat man bei solchen Wettkämpfen immer – doch, da ich mich nicht richtig ernähren konnte und bei einem Sturz auch noch einer meiner Stöcke brach, wurden gerade die letzten Kilometer zur Qual», erzählt der Aeugster Ultramarathonspezialist Adrian Brennwald.

Schmerzen hat man dabei sowieso

Da es sich bei der Ultra Tour Monte Rosa um einen Rundkurs handelt, der eigentlich als Wanderung von acht bis neun Tagen konzipiert ist, müssen die 11500 Höhenmeter nicht nur bergauf gelaufen werden, sondern auch wieder hinunter.

Da der 42-jährige Adrian Brennwald seit fünf Jahren keinen vergleichbar langen Lauf mehr gemacht hatte, ging er die Vorbereitung besonders systematisch an: «Ich habe längere Trainingseinheiten gemacht und bin mehrfach um 3 Uhr in der Früh aufgestanden, um mich ans Laufen in den Morgenstunden zu gewöhnen. Zudem verbringe ich etwa 20 Prozent meiner Trainingszeit mit Kräftigungsübungen für Rumpf und Fuss. Wer das nicht macht, wird bei längeren Wettkämpfen schnell instabil und hat noch viel grössere Schmerzen als man sonst schon hat.»

Begegnung mit einem Steinbock

Ein Schlüssel für das erfolgreiche Absolvieren eines Ultramarathons ist neben der guten Einteilung der Kräfte die Ernährung. Adrian Brennwald wollte eigentlich so lange wie möglich auf Festnahrung wie Nudelsuppen zurückgreifen und erst im zweiten Teil des Rennens langsam auf Energieriegel umstellen und die letzten Kraftreserven mit Gels abrufen. Zu Beginn eines Wettkampfs funktioniert der Magen noch normal. Wenn man dann etwas zu leicht verdauliches isst, wird in der Galle zu viel Magensäure produziert, was zu Magenverstimmungen führt.

Adrian Brennwald konnte sich von Anfang an in der Spitzengruppe etablieren und wollte bei der ersten Verpflegungsstelle, bei Kilometer 20, eine Nudelsuppe oder Pasta essen: «Leider war die Organisation mangelhaft und es gab kein frisches Essen, nur trockene Kekse undFrüchte.» Er ass so viel wie möglich und konnte beim nächsten Aufstieg sogar die Führung im immer länger gezogenen Feld übernehmen. «An einer Stelle wunderte ich mich, dass die Organisatoren einen ausgestopften Steinbock auf den Weg gestellt hatten. Ich dachte mir nichts dabei und rannte auf das Tier zu. Als ich kaum zwei Meter davon entfernt war, begann er sich plötzlich zu bewegen und rannte weg. Ich habe anschliessend noch viele Steinböcke gesehen, aber das war sicher der eindrücklichste Moment des Rennens», erzählt Adrian Brennwald.

Fünf Stunden laufen ohne Verpflegung

Auch beim nächsten Verpflegungsposten konnte Adrian Brennwald aufgrund des mangelhaften Angebots keine frisch zubereitete Festnahrung zu sich nehmen. Seinem Konkurrenten ging es da besser: Während Adrian Brennwald eine Banane verdrückte und viel zu früh auf seine selbst mitgebrachten Energieriegel zurückgreifen musste, wurde der Konkurrent von seinem Team optimal versorgt. Bei Kilometer 80 war die Verpflegungsstation erstmals mit Pasta ausgerüstet. Adrian Brennwald war aber zu früh dran und das Wasser war noch nicht einmal warm: «Ich habe mir wirklich überlegt, eine halbe Stunde zu warten, bis sie Pasta gekocht hatten, entschied mich dann aber dagegen.» Bei Kilometer 90 konnte er erstmals eine Suppe zu sich nehmen. Der Magen befand sich allerdings bereits in einer bedauernswerten Verfassung.

Bei Kilometer 100 wurde Adrian Brennwald von Tsang Siu Keung eingeholt, dem späteren Gesamtsieger: «Wir haben gemeinsam eine Mahlzeit genossen und sind dann unabhängig von einander in die Nacht hinein gelaufen. Ich hatte 1,5 Liter Wasser dabei, doch es folgte eine Strecke auf der es über fünf Stunden keine Verpflegung gab. Als mir die Getränke ausgingen, musste ich an einem Bergbach Wasser schöpfen.»

Sturz und Stockbruch

Als Adrian Brennwald während der Nacht einen der höchsten Punkte des Wettkampfes passierte, sah er hinter sich plötzlich Blitze. Er machte sich auf den Abstieg ins nächste Tal und wurde verschont. Die Mehrheit der Teilnehmenden hatte weniger Glück und kam in einen Hagel- und Schneesturm und musste durch 20 Zentimeter Neuschnee laufen.

Doch auch auf der nicht vom Gewitter betroffenen Bergseite sanken die Temperaturen in der Nacht unter null Grad. «Es war ein technisch höchst anspruchsvoller Abstieg, bei dem es fast keinen Weg gab und der so steil war, dass es vielerorts Ketten zur Sicherung gab. Plötzlich rutschte ich aus, probierte mich zu fangen, stürzte trotzdem und zerbrach dabei meinen Stock. Mit nur einem Stock wurden gerade die Abstiege jedoch zur Qual und mein Magen rebellierte bereits 18 Stunden lang. Ich lief wie in Trance, wollte einfach durchkommen. Gerade beim Morgengrauen ist mir der Kopf fast eingeschlafen und ich musste mich extrem anstrengen, um die Konzentration aufrechtzuerhalten und die technischen Stellen ohne weiteren Sturz zu überstehen», erinnert sich Adrian Brennwald.

Keine Nahrungsaufnahme mehr möglich

Bei Kilometer 145 probierte es Adrian Brennwald mit Salami und Käse, was sich jedoch als schlechte Idee herausstellte. Denn er konnte das Gegessene nicht lange bei sich behalten und im Anschluss war sein Magen so empfindlich, dass er nicht einmal mehr Gels aufnehmen konnte – nur Wasser ging noch: «Mit Magenkrämpfen und ohne Nahrungszufuhr schwanden meine Kräfte noch schneller und auf dem Höhenweg ging es immer wieder rauf und runter, sodass ich nicht mehr in einen angenehmen Rhythmus fand.» Auf den letzten 25 Kilometern verlor er noch eine halbe Stunde auf den Zweitplatzierten, der erst spät an ihm vorbeigezogen war. Da er aber auch über eine Stunde Vorsprung auf den Viertplatzierten hatte, ging er nicht mehr aufs Ganze. Er finishte in einer Zeit von 31.57:13.

Am nächsten Tag nahm er sich vor, diesen Wettkampf nie mehr zu machen, revidierte seine Meinung aber bereits Tage später wieder: «Gut verpflegt und ohne Stockbruch hätte ich das Rennen auch unter 30 Stunden schaffen können. Ich werde es deshalb wahrscheinlich in ein paar Jahren noch einmal versuchen.» In unter 30 Stunden hätte Adrian Brennwald gute Chancen auf den Gesamtsieg.

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