Doping: Das Misstrauen fährt mit

Die Anzeichen häufen sich, dass sich die Dopingproblematik im Bikemarathon wieder verschärft. Unrühmlichen Anschauungsunterricht bot die Europameisterschaft im Italienischen Spilimbergo, mit einem Sieger, der vermeintlich gesperrt war – sehr zum Ärger von Urs Huber.

Das Misstrauen fährt mit: Alexey Medvedev auf dem Weg zum Europameistertitel in Spilimbergo, in Italien. <em>(Bild Alessandro Billiani)</em>
Das Misstrauen fährt mit: Alexey Medvedev auf dem Weg zum Europameistertitel in Spilimbergo, in Italien. <em>(Bild Alessandro Billiani)</em>

Die Faktenlage ist undurchsichtig und die Fahrer sprechen nicht gerne über das Thema. Doch Doping im Spitzensport ist latent immer ein Thema. Die Versuchung ist auch im Bikemarathon gross, denn Kontrollen sind selbst bei Titelkämpfen nicht selbstverständlich. Da verschiedene Instanzen für die Dopingkontrollen zuständig sind, variiert das Prozedere von Land zu Land.

Auch bei der Ahndung von Regelverstössen kommt nicht immer das gleiche Vorgehen zur Anwendung. Wurde beispielsweise Erytropoetin (Epo) oder ein ähnlich potent leistungsförderndes Präparat festgestellt, wird der Fahrer sofort aus dem Rennen genommen. Bei anderen verbotenen Substanzen oder Regelverstössen kann sich das Verfahren hinziehen, was immer wieder zu kuriosen Situationen führt, wie das Beispiel des neuen Europameisters Alexey Medvedev zeigt.

Gesperrt – bis die Richter sprachen

Im letzten August gab die Russische Anti-Doping-Agentur (Rusada) bekannt, dass Medvedev des Dopings überführt und ab 17. Juni 2017 für zwei Jahre gesperrt sei. In seinem Blut wurde das harntreibende Diuretikum Furosemid gefunden. Es wird im Sport verwendet, um andere Dopingsubstanzen zu verschleiern. Eigentlich hätte das sogar eine vierjährige Sperre nach sich ziehen sollen. Doch Medvedev machte geltend, dass ihm das Mittel nach einem Sturz, der eine schwere Hirnerschütterung zur Folge gehabt habe, in einem russischen Spital ohne sein Wissen verabreicht worden sei. Worauf die Rusada die Strafe auf zwei Jahre halbierte.

Das wollte Medvedev noch immer nicht akzeptieren. Hilfe bekam er von Global Sports Advocates, einer aufs Sportrecht spezialisierten US-Anwaltskanzlei, die seine Berufung ans internationale Sportschiedsgericht in Lausanne formulierte. Mit Erfolg: Die Strafe wurde auf sechs Monate reduziert und war damit beim Urteilsspruch Ende letzten Jahres bereits abgesessen. Nicht die einzige Überraschung. Medvedev hatte sein italienisches Team zunächst nämlich nicht über die Unregelmässigkeiten informiert. Der Vertrag wurde nicht erneuert. Seit 2018 startet der Russe nun für die italienische Squadra «ASD Cicli Taddei», in der auch Francesco Casagrande fährt, der nicht nur als Tour-de-Suisse-Sieger 1999 von sich reden machte. In der EPO-Blütezeit zählte Casagrande zu den besten Strassenprofis Italiens und hatte 1998 bis kurz vor dem Tour-de-Suisse-Start eine neunmonatige Dopingsperre abzusitzen.

Mit 47 wie ein junges Reh

Der inzwischen 47-Jährige mischte dem Vernehmen nach wie ein junges Reh im EM-Rennen mit. «Ein kleines Grüppchen mit Casagrande, Medvedev, Failli, Salerno und Chiarini schoss in der zweiten längeren Steigung in einem Tempo an uns vorbei, das ich nur noch staunen konnte», erinnert sich der Mettmenstetter Bike-Profi Urs Huber. Medvedev zog seinen Rhythmus gleich durch und siegte solo mit mit 1:35 Minuten Vorsprung auf den Italiener Samuele Porro sowie die zwei weiteren Italiener Fabian Rabensteiner und Riccardo Chiarini – ehe Huber das Ziel als Fünfter erreichte.

Chiarini, wie Casagrande ein ehemaliger Strassenfahrer, war 2014 am MTB-Etappenrennen Cape Epic in Südafrika positiv auf EPO getestet worden und wurde für zwei Jahre gesperrt. Chiarini war damals zusammen mit dem Belgier Roël Paulissen unterwegs, der seinerseits 2010 eine zweijährige Dopingsperre abzusitzen hatte. Zur Dopingkontrolle aufgeboten wurden an der EM neben dem Sieger aber nicht etwa die nächstplatzierten Italiener, sondern der Österreicher Daniel Geismayr, der das Ziel als Siebter erreichte, und der Italiener Daniele Mensi, der Achter wurde.

Doping ist erfolgreich

Huber gehen diese Sachverhalte auf die Nerven. Er sagt: «Man könnte den Eindruck erhalten, dass die Regeln nicht für alle gleichermassen gelten.» Er dürfe nicht zu lange über all die erwischten Doper nachdenken, die noch immer in Marathonsport mitmischen. Sonst verliere er die Motivation. Aus gutem Grund: Huber wurde bereits 2008 um die EM-Silbermedaille betrogen. Der damals vor ihm klassierte Däne Peter Riis Andersen wurde in der Olympiavorbereitung mit EPO im Blut erwischt. «Für mich sind Doper gestorben. An deren Stelle würde ich mich in Grund und Boden schämen und ganz bestimmt nie mehr an einem Rennen teilnehmen», sagt Huber dezidiert und rechnet vor: «Ohne Medvedev und Chiarini hätte ich die Bronzemedaille gewonnen.»

Wirkungslose Antidoping-Politik?

Huber ärgert auch die lasche Anti-Doping-Politik. Er sagt: «Ich habe mich immer gefreut, wenn die Kontrolleure gekommen sind. So konnte ich meine saubere Arbeit belegen.» Das sei allerdings schon lange nicht mehr vorgekommen. «Das letzte Mal wurde ich im Juni 2016 getestet, als ich in Evolène Schweizer Meister geworden bin.» Er glaubt, dass das Dopingproblem wieder am Wachsen sei. Dem unguten Gefühl kann sich auch Thomas Peter, Chef Leistungssport bei Swiss Cycling, nicht erwehren. Frustrierend findet Peter, dass trotz des grossen Testaufwandes – der Swiss Cycling entstehen immense Kosten – die meisten Topfahrer erst durch investigative Journalisten und unnachgiebige Untersuchungsbehörden aufgeflogen sind. «In der Prävention vermitteln wir Werte wie Ehrlichkeit und klären über die Folgen von Doping auf, können aber nur an die Vernunft der Sportler appellieren», so Peter.

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