KG+: Was meinen die Pfarrpersonen?

Das Kirchgemeinde-Fusionsprojekt KG+ polarisiert – auch unter den gewählten Pfarrpersonen der neun beteiligten ­Gemeinden. Sechs sind dafür, eine klar dagegen und zwei irgendwo dazwischen. Der «Anzeiger» hat sich verschiedene Positionen angehört.

Drei Pfarrpersonen stellen sich den Fragen des «Anzeigers» zu KG+. Von links: Susanne Sauder (Bonstetten), Thomas Müller (Affoltern) und Irene Girardet (Hausen). (Bild Thomas Stöckli)
Drei Pfarrpersonen stellen sich den Fragen des «Anzeigers» zu KG+. Von links: Susanne Sauder (Bonstetten), Thomas Müller (Affoltern) und Irene Girardet (Hausen). (Bild Thomas Stöckli)

Sollen sich neun reformierte Ämtler Kirchgemeinden zusammenschliessen? Am 27. September entscheiden die Stimmberechtigten über den nächsten Schritt von KG+. Ein Ja bedeutet allerdings noch nicht die Fusion. In einem nächsten Schritt müsste dann noch die Gemeindeordnung gutgeheissen werden.

Klar für die Fusion ist Irene Girardet, Pfarrerin von Hausen. Von der Befürworterin zur Gegnerin wurde Susanne Sauder, Pfarrerin von Bonstetten, ­während Thomas Müller, Pfarrer in ­Affoltern den umgekehrten Weg ging, vom Skeptiker zum Befürworter – oder «vom Saulus zum Paulus», wie er selber sagt.

«Anzeiger»: In zwei Sätzen: Wie sollen die Reformierten am 27. September abstimmen und weshalb?

Irene Girardet: Sie sollen Ja stimmen. Das heisst, der Kirche eine Chance geben. Denn in den jetzigen Strukturen hat sie keine Zukunft.

Susanne Sauder: Die Bonstetter sollen Nein stimmen, weil wir die Leute im Prozess nicht mitgenommen haben: Wir müssen überlegen, was wir für die Menschen machen.

Thomas Müller: Sie sollen Ja stimmen. Damit die Kirche wirklich im Dorf bleibt und wir das, was wir gut machen, auch in 20 Jahren noch machen können.

Wie bei jedem Entscheid gibt es auch hier nicht nur Schwarz und Weiss. Welcher Aspekt spricht gegen Ihre Parole?

Sauder: Es ist unbestritten, dass wir etwas ändern müssen. Aber das vorliegende Vertragswerk ist der falsche Weg.

Müller: Bei einem Nein hätte ich persönlich es sicher «ringer». Die Fusion bringt in den nächsten Jahren grossen Aufwand für die Koordination.

Girardet: Ein Ja bringt eine grosse Veränderung. Und grosse Veränderungen sind immer mit Risiken verbunden und sorgen für Verunsicherung.

Wie stellen Sie sich Ihre Kirchgemeinde in zehn Jahren vor?

Müller: Durch die demografische Entwicklung nochmals etwas kleiner. Jetzt haben alle Kirchgemeinden ein ähnliches Gärtchen mit Mauern ringsum. Ich stelle mir vor, dass die Mauern dann runtergeklappt sind und die Angebote in den neun Dörfern sich stärker unterscheiden...

Sauder: Acht Gemeinden, denn Bonstetten sagt hoffentlich Nein.

Müller: So oder so soll man viel mehr miteinander machen. Es soll eine Profilierung an den einzelnen Orten geben. Und dazu braucht es eine Strukturveränderung.

Girardet: Ich sehe eine starke Sozialdiakonie, mit Angeboten, die nahe bei der Bevölkerung sind. Auch stelle ich mir ein grösseres Zusammengehörigkeitsgefühl der kirchlich Engagierten hier im Säuliamt vor.

Sauder: Ich möchte mich endlich mit den Bonstettern auf den Weg machen, ähnlich wie Obfelden. Zuerst muss man dazu die Identität klären: Wer sind wir? Wohin wollen wir? Daran haben wir noch gar nicht gearbeitet. Ich möchte die Jungen stärken, denn sie sind die Zukunft. Die Gegner von KG+ sind nicht nur die alten Männer.

Angesprochen ist der individuelle Weg von Obfelden unter dem Titel «mir alli sind Chile». Steht die Fusion im Widerspruch zur angestrebten Nähe zu den Gemeindemitgliedern?

Müller: Den Prozess, den Obfelden angestossen hat, finde ich auch gut. Die Leute sollen sich vor Ort engagieren. Und genau das unterstützen wir, indem wir die in den einzelnen Dörfern kirchlich Engagierten vom administrativen Überbau entlasten.

Sauder: Das finde ich falsch: wir dürfen die Autonomie nicht wegnehmen, sondern müssen sie stärken. Die geplanten örtlichen Kirchenkommissionen haben de jure keine Kompetenzen.

Girardet: Ohne administrative Aufgaben bleiben mehr Ressourcen für das eigentliche gemeindliche Leben. Wir alle sind die Kirche. Ist der Bonstetter Christ ein anderer als der Hausemer? Die Kirche ist ein weltumspannender Geist.

Sauder: Aber die Leute sagen mir: Wir wollen uns in Bonstetten engagieren und nicht in einem anonymen «Ding».

Müller: Die juristische Kompetenz geht tatsächlich vom Dorf weg. Es gibt Leute, die sind gottenfroh darüber, dass die administrativen Arbeiten vor Ort wegfallen und können sich darum vorstellen, sich in einer Kirchenkommission zu engagieren. Andere wollen dort sein, wo die strategischen Entscheide fallen. Also in der Kirchenpflege. Schon heute kann man beobachten: Wer sich für die Kirche einsetzt, will auch, dass diese floriert. Das wird auch künftig so sein, egal ob sich jemand in der Kirchenpflege oder in einer örtlichen Kirchenkommission engagiert.

Was ist die grösste Herausforderung der Zukunft?

Girardet: Die Strukturen sind schon Jahrhunderte alt. Sie gehen zurück auf die Situation, als die Einwohner noch zu fast 100% Reformierte waren. Aktuell sind es noch knapp ein Drittel – und die meisten sehr kirchenfern. Diese bleiben vor allem dabei, weil die Kirche sich sozial engagiert. Für die Realisierung von sozialen Projekten hier im Bezirk ist die Zerstückelung in viele kleine, schlecht vernetzte Einzelgemeinden ein Bremsklotz.

Sauder: Das sehe ich auch als Problem, wenn die Diakoninnen 30% ihrer Energie aufwenden müssen, um Absprachen zu treffen. Das lässt sich aber auch anders lösen als mit diesem «Knebelvertrag». Auf unsere kritischen Fragen nach mehr Autonomie in den kirchlichen Kommissionen hiess es immer wieder: Das geht aus juristischen Gründen nicht.

Müller: Am Anfang des Prozesses hatte ich auch meine Bedenken und meinte, es wäre nötig, verschiedene Sicherungen einzubauen, um unsere Affoltemer Errungenschaften sicher beibehalten zu können. Ebenso verfiel ich anfänglich dem Trugschluss, wir müssten unsere gut 3 Mio. Franken Eigenkapital sichern. Aber wenn wir wirklich eine Kirchgemeinde werden, bringt ­jeder seinen Teil mit ein. Das gilt es dann miteinander zu verwalten und dort einzusetzen, wo es möglichst allen zu Gute kommt.

Girardet: Es wird zu viel über ­Gebäude und Geld gesprochen. Alle ­haben Angst, etwas zu verlieren.

Sauder: Das zeigt doch, dass der ­Prozess falsch aufgezogen wurde. Die Hedinger haben ihre Landreserve für einen netten Preis an die politische Gemeinde verkauft. Das zeigt das Misstrauen.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Girardet: Wir haben heute Katechetinnen, die mit zerstückelten Mini-Pensen bei verschiedenen Kirchgemeinden angestellt sind und so nicht einmal zu einer anständigen Pension kommen. Als Kirchgemeinde Knonauer Amt würden wir für die Angestellten attraktiver.

Müller: Durch die demografische Entwicklung werden immer mehr Pfarrstellen abgebaut. Das können wir auffangen, wenn eben nicht mehr jeder und jede für sich dasselbe macht.

Sauder: Wir müssen uns neu denken: Wer sollen wir sein, damit wir für die Menschen in den Dörfern als Kirche da sein können? Was wollen die Menschen von uns?

Müller: Das machen wir doch schon lange! Zwar ist der Gottesdienst immer noch der Dreh- und Angelpunkt. Aber wir machen inzwischen so viel anderes, das quantitativ mehr einschenkt.

Girardet: Unsere Kirchen sind noch zu pfarrerlastig. Nach dem Motto: «l’église, c’est moi!» So funktioniert das aber nicht mehr. Wir müssen die Sozialdiakonie aufwerten.

Wozu, Thomas Müller und Irene Girardet, braucht es die Fusion auf diesem Weg?

Müller: So wie sich die Mitgliederzahlen und die Finanzen entwickeln, können wir nicht weitermachen wie bisher, ohne einen Verlust beim Angebot und dem kirchlichen Leben vor Ort. Deshalb wollen wir miteinander unter einem Dach in die Zukunft – nicht nur bis übermorgen.

Girardet: Wenn die Pfarrpensen weiter runtergehen, droht das Kirchenleben in den Dörfern auszutrocknen. Es wird auch immer schwieriger, Kirchenpfleger zu finden. Und diese kommen an den Anschlag. Die Fusion nimmt Druck weg.

Und weshalb, Susanne Sauder, braucht es die Fusion eben nicht?

Sauder: Diesen Zusammenschlussvertrag braucht es sicher nicht. Das ist ein Knebelvertrag, da hat man den falschen Berater gewählt. Das heisst aber nicht, dass wir nicht mit anderen zusammenarbeiten wollen.

Was hat der oder die Reformierte im Bezirk bei einem Ja zu KG+ zu gewinnen oder zu verlieren?

Müller: Er oder sie verliert sicher ein Stück Autonomie. Dafür gewinnen wir die Chance, Neues zu ermöglichen. Und die Garantie, dass das, was gut läuft, auch für die nächste Generation noch da sein wird.

Girardet: Verloren geht vor allem die Einheit von Kirche und Dorf. Dafür gewinnen wir eine Struktur, die es ermöglicht, mehr Profil zeigen zu können. Dazu Projekte, die näher bei den Menschen sind, mehr Austausch und Gemeinschaft.

Sauder: Wir verlieren Autonomie und ein Stück Heimat. Dabei überfordert die Tendenz zur Globalisierung die Leute sonst schon. Als persönlichen Gewinn sehe ich die Zusammenarbeit. Ich hatte zuerst gezögert nach Bonstetten zu kommen, weil das ein Einzelpfarramt ist.

Wie verändert sich ihr Alltag bei einem Ja?

Müller: Jeder kirchliche Ort wird weiterhin seine Pfarrperson haben – aber die engagiert sich auch in einer zweiten Gemeinde. Den Kanzeltausch haben wir bereits institutionalisiert. Das wird von den Gemeindemitgliedern positiv aufgenommen. Ich bin nächstes Jahr achtmal in Aeugst. So lernt man einander kennen und dann ist es auch sonnenklar, dass ich dann auch dort Vertretungen mache. Mehr miteinander wird man zum Beispiel auch den Konfirmationsunterricht gestalten.

Sauder: Dann haben wir viel mehr Sitzungen und Bürokram. Und ich muss unserer zuständigen Kirchenpflegerin, «Frau Rüdisüli aus Maschwanden», erklären, wie es in Bonstetten funktioniert, da zum jetzigen Zeitpunkt in Bonstetten niemand ein Amt in der neuen Kirchenpflege übernehmen will.

Girardet: Bei einem Ja nimmt die Zusammenarbeit mit den Kollegen zu. Dafür entfallen ganz viele Verwaltungsaufgaben. Zum Beispiel die Bewirtschaftung der Homepage.

... und bei einem Nein?

Girardet: Bei einem Nein muss ich mit immer weniger Stellenprozenten die Gemeinde am Laufen halten.

Sauder: Da würde ich gleich am nächsten Tag einen Prozess anstossen mit den Menschen. Ich rege mich über mich selber auf, nicht schon früher aktiv geworden zu sein. Die für 2024 angekündigte Pensumsreduktion von 100 auf 80% würde mir noch entgegenkommen. Da würde ich sagen, ich mache weniger Gottesdienste.

Müller: Das mit den 20% weniger gilt nicht nur in Bonstetten. Und das wird auch weitergehen. Wir in Affoltern könnten zwar so noch eine Zeitlang weitermachen, aber wenn man als Kleingemeinde bald wahrscheinlich nicht einmal mehr über ein 50-Prozent-Pensum verfügt, werden massive Angebots-Abstriche unumgänglich sein.

Was müssen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger unbedingt noch wissen?

Sauder: Auch wenn ganz viele Leute – die meisten mit gutem Willen – viel Zeit investiert und unglaublich viel Papier produziert haben, muss man nicht Ja stimmen. Die hierarchisch starre Vertragsstruktur funktioniert nicht bei uns Reformierten.

Müller: Weitergehen wie bisher kann es nicht. Wenn wir nichts machen, droht ein schmerzhafter Abbauprozess.

Was werden Sie am Abstimmungssonntag tun?

Girardet: Ich habe einen Gottesdienst und danach werde ich bibbern und bangen, bis das Resultat der Abstimmung bekannt ist.

Müller: Ich habe einen Gottesdienst in Aeugst und bin dann an der Vernissage unserer Ausstellung «Corona und ich».

Sauder: Ich habe einen Familiengottesdienst mit Taufe. Am Nachmittag werde ich einen Spaziergang machen zum Schaukasten der Gemeinde mit den Abstimmungsresultaten – oder auch zwei, wenn ich zu ungeduldig bin. Und wenn Bonstetten Nein sagt, mache ich eine gute Flasche Wein auf.

Girardet: Ich weiss gar nicht, ob ­etwas geplant ist, aber bei einem Ja würde ich gerne mit den anderen anstossen.

 

KG+: Abstimmung am 27. September in Aeugst, Affoltern, Bonstetten, Hausen, Hedingen, Maschwanden, Mettmenstetten, Ottenbach und Rifferswil.

 

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