«Rolf vo de Poscht» hat für immer Ferien

Der Ebertswiler Briefträger Rolf Hagenbuch hat sein ganzes Berufsleben bei der Schweizer Post verbracht. Morgen Samstag wird er offiziell pensioniert – nach 47 Jahren. Wehmütig ist er deswegen nicht. Irgendwann, sagt er, müsse man mit dem Arbeiten wieder aufhören dürfen.

Gegen Ende seiner Berufskarriere war Rolf Hagenbuch wieder regelmässig auf der Zustelltour unterwegs. Zuvor war er viele Jahre im Büro tätig. (Bild zvg.)
Gegen Ende seiner Berufskarriere war Rolf Hagenbuch wieder regelmässig auf der Zustelltour unterwegs. Zuvor war er viele Jahre im Büro tätig. (Bild zvg.)

Ob er es aufsagen solle, das Versli? 
– Ja, bitte. 

Ich bin de Rolf vo de Poscht
Bin gar nöd dumm 
Ich weiss ämel, was e 20er-Marke choscht
De Huet luegt obsi
S isch wägem Durscht 
Krawatte uf de Site
S isch doch wurscht
I jeder Beiz trink ich es Gläsli Rote
Drum zitteri äfäng e bizzli mit mine Pfote
Mir isch doch glich, was alles choscht
Ich bin und blibe de Rolf vo de Poscht

Die Pöstlerwerdung beginnt im Jahr 1973. Damals startet Rolf Hagenbuch in seine einjährige Stifti bei der schweizerischen PTT. Zuvor geht er als Schreiner «go gugge», und auch als Metallbauer. Beides nichts. Dann, nach einem Schnuppertag auf der Post, sagt er sich: «Momol, okay.»

Auf einem Spaziergang durch Affoltern erzählt Rolf Hagenbuch von seinen ersten Tagen im Berufsleben. Er erinnert sich noch gut an all die Dinge, die er während der Lehre auswendig lernen muss. Schweizer Geografie, Postleitzahlen, Eisenbahnlinien, juristische Bestimmungen. «Gsetzli», sagt Hagenbuch und meint es nicht despektierlich. Er ist ­einer, der Dinge gerne kleiner denkt. Ortschaften lässt er zu «Örtli» schrumpfen, und seine Leidenschaft, das Kegeln, wird zum «Chugelispiel». Gefragt, wie oft er mit der Mannschaft den Schweizer Meistertitel gewonnen habe, sagt er, drei Mal habe sich das ergeben. Der Gestus seiner Wortwahl: bescheidenes Ab­winken.

Wie ein Heinzelmännchen
Nach der Lehre pendelt Rolf Hagenbuch jeden Tag von Affoltern nach Zürich. Dort arbeitet er nachts, lädt Briefe und Pakete von einem Zug in den anderen, sortiert, hilft aus, wo es ihn braucht. «Rolf, da hesch dini Waar», habe es an einem Samstag geheissen, «i das Tram ine und det wieder usstige.» Ausgerüstet mit einer Quartierkarte hangelt sich der junge Briefträger den Strassennamen entlang.

Nach zwei Jahren kehrt Rolf Hagenbuch nach Affoltern zurück. Auch hier lädt er zunächst wieder Briefe und Pakete aus dem Zug, karrt sie über die Strasse, zur Post. Als Ferienablösung trägt er sie auch aus. 1983 heiratet er, 1984 kommt sein erster Sohn zur Welt, ein Jahr darauf der zweite. Damals verbringt er seine Tage bereits öfter drinnen. «Büroarbeit», sagt Hagenbuch. Und als töne das zu aufgeblasen, schiebt er rasch ein «Jaja» nach, dehnt das Wort 
in die Belanglosigkeit, bis die Luft ­entweicht.

Kurt Weisskopf war während der letzten drei Jahre der stellvertretende Teamleiter von Rolf Hagenbuch. Er sagt, sein Kollege, den alle bei der Post als «Büechi» kannten, sei ein stiller Schaffer gewesen. Den ganzen Tag habe man ihn kaum gesehen, doch am Abend sei die Arbeit erledigt gewesen. «Er war wie ein Heinzelmännchen.» Bei jedem Wetter sei Hagenbuch mit seinem Roller von Ebertswil nach Affoltern gefräst, habe in der Pause sein selbstgeschmiertes Brötchen gegessen, Sudoku gelöst. Zur Mittagszeit habe er einen Kaffee getrunken, sich ein Gebäck gegönnt. Kurt Weisskopf erinnert sich an keinen Tag, an dem das nicht so war, an dem Hagenbuch gefehlt, sich krankgemeldet hätte. «Büechi» war einfach immer da.

Ich verträg au Geld
Vo der dütsche Mark bis zum russische Rubel
Letschthin hani de Kurs nüme gewüsst
Do seit de Chef, ich sig en Tubel
Do han i nüme gmacht, was mer suscht ja müesst
Ich han en 14 Tag lang nümme grüesst
Zur Straf han ich en dick agloge
Ich seg bim Dorfbach zue ufd Schnure gfloge Poscht schwümmi jetzt de Dorfbach ab, oh weh
D’ Fisch chönned denn d Charte läse im Zürisee

Wollte ein Schnupperstift den Betrieb kennenlernen, schickte man ihn einen Tag lang mit «Büechi» auf Tour. Die Post, das war Rolf Hagenbuch. Für viele jüngere Kollegen habe er sich im Betrieb zu einer Art Vaterfigur entwickelt, erzählt  Kurt Weisskopf. Zu einer beliebten notabene – der gelegentlich der Geduldsfaden gerissen sei. Leere Schachteln und herumliegendes Material, all das räumte ­«Büechi» nach Dienstschluss zurück an seinen Platz. «So», habe er danach gemurrt, «jetz isch wieder Ornig i dem Saustall.» Spass oder Ernst? «Teils, teils», sagt Weisskopf. Es klingt fast, als rätsle er noch immer.

«Umegüügelet» wird nichts, mitgelesen schon

Während 20 Jahren ist Rolf Hagenbuch auch bei den Postfächern in Affoltern dafür besorgt, dass alles seinen geordneten Lauf nimmt. Frühmorgens sortiert er die Briefe, legt sie in die Fächer, betreut den Postfachschalter. Zur Weihnachtszeit dankt ihm die Kundschaft gerne mit einer kleinen Aufmerksamkeit. Rolf Hagenbuch parodiert diese Vertrauensgeste im Gespräch mit Verlegenheit: «Händ nöd guet gschaffet, da händer öppis.»

Suscht sig ich ja zueverlässig und en Treue
Ab mir chön mer sich no ehrlich freue
Ich verträg au Gäld und Asichtscharte
Mängisch tuen ich’s läse
Denn müend d’Lüt es bizzeli warte

«Ja, natürlich», verrät Rolf Hagenbuch. Natürlich habe auch er die eine oder andere Ansichtskarte mitgelesen. Bei ihm aber seien die Inhalte sicher verwahrt gewesen. «Umegüügelet», er meint damit herumerzählt, habe er gar nichts. Postgeheimnis! Wird immer noch auf fremde Feriengrüsse gespienzelt? Heute fehle für solcherlei die Zeit, sagt er. Es pressiert. Tag für Tag. Rolf Hagenbuch erinnert sich an ein besonderes Erlebnis vor Jahren. Er, zu Fuss von Haus zu Haus unterwegs, klingelt an einer Türe, und weil das gegen acht Uhr morgens ist, sagt man ihm: «Sie chönd grad go Zmorge ässe.» Ob man damals für spontane Einladungen noch Zeit hatte? «Man hat Zeit gemacht.» Hagenbuch sagt, früher habe man als Pöstler selbstständiger gearbeitet. «Je schneller man die Tour fertig hatte, desto früher hatte man Feierabend.»

Am einte oder andere 
Wirds denn öppe z bunt
Wenn ich ihm säge, wer si gschriebe hed 
Oder woher si chunnt
Eine hed mi zämegschisse nach allne Kante
Will ich en gfraget han
Ob das Geld en Erbteil sig vo siner Tante
Das göng mich doch en Schissdräck a, bigoscht
Wenn ich jetzt grad de Rolf sig vo de Poscht

Rolf Hagenbuch sagt, die Hektik habe in den letzten Jahren stark zugenommen. Vielleicht mache man sich den Stress selber, weil man es trotz allem richtig machen will, damit die Leute «das Züüg» rechtzeitig erhalten. Auch er habe schon Briefe in den falschen Kasten eingeworfen. Versehentlich, klar. Verrückt sei bloss, dass es immer wieder dieselben treffe: «Chasch hundertfüfzg Prozänt luege und gheisch glich drii.»

Ab und zu habe er sich vorgestellt, wie es wäre, den Betrieb zu wechseln, eine andere Arbeit zu suchen. Doch mit der einjährigen Monopollehre sind die Möglichkeiten für Rolf Hagenbuch beschränkt. Er müsste sich schulisch ­weiterbilden, lässt es bleiben. «Es hat ja gepasst.»

Jetzt düends mich denn bald pensioniere
Bald mues ich nümme wiiter trainiere
Eimal tuet mir s’ Bei weh
S ander Mal de Fuess
Denn hani wieder Grindweh
Wenn ich es bitzli dänke muess
Pöschtler sind halt armi Hagle
Vom Morge bis am Abig nu Schinagle.

Mit «Schinagle», also schmerzend kalten Fingern, ist Schluss. Morgen Samstag feiert Hagenbuch seinen 65. Geburtstag. Den letzten Arbeitstag hatte er bereits im August. Eine Operation, aufgesparte Ferien und zahlreiche Überstunden haben es möglich gemacht. Hagenbuch kommentiert das Ende seiner Berufskarriere ähnlich pragmatisch wie den Start: Er habe eine Stifti gemacht, mit dem Arbeiten angefangen. Da dürfe man doch, wenn es Zeit sei, auch wieder damit aufhören. Schwer gefallen sei ihm die Umstellung nicht, sagt er. Eine Pensionierung könne man sich vorstellen wie Ferien. Man ist zu Hause. Und das bleibt so. «Man hat für immer Ferien.»

Zeilen eines Pöstlerlebens
In Zukunft wird er regelmässig kegeln, fischen und sonst einfach mal «echli sii». Dass er plötzlich so viel zu Hause ist, das brauche für ihn und für seine Frau noch etwas Eingewöhnungszeit. «Ischaffe», nennt er das.

Das Wort «Leidenschaft» fällt auf dem Spaziergang nicht. Und doch sagt Kurt Weisskopf: «Rolf Hagenbuch war Pöstler mit Leib und Seele.» Jahrelang setzt er sich im internen Pöstler-Verein ein, organisiert Ausflüge, mag es gesellig. In den 80er-Jahren, trägt sein Arbeitskollege Werner Schneiter Senior an einem Anlass einige selbstgeschriebene Zeilen über das Leben als Pöstler vor. Inspiriert worden war der Gelegenheitsdichter von Emil Steinbergers Film «Emil auf der Post». Hagenbuch erkundigt sich nach dem Text, lernt die 70 Zeilen auswendig, ersetzt Emil durch seinen eigenen Namen – und gibt das Gedicht hie und da im Ausgang zum Besten. 

Wenn man es sich überlege, sagt Rolf Hagenbuch, sei in diesem Versli sein ganzes «Läbensspiili» drin. «Das ­alles haben Sie erlebt?», fragt man ihn, und er sagt: «S cha ja möglich sii, oder?»

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