Wenn die Krise Ängste schürt

Die Corona-Pandemie sorgt für Stress. Sie verunsichert nachhaltig und kann Ängste verstärken, auch wenn eine Impfung in Sichtweite rückt. Wie man gegen überzogene Ängste angeht und die Balance während der Krise hält, erklärt Valentina Rauch-Anderegg, Psychologin in Affoltern.

«Krisensituationen lösen bei vielen Personen Stress aus», sagt die Psychologin Valentina Rauch-Anderegg. (Bild zvg.)
«Krisensituationen lösen bei vielen Personen Stress aus», sagt die Psychologin Valentina Rauch-Anderegg. (Bild zvg.)

«Anzeiger»: Die Nachfrage nach psychologischer Beratung oder Therapie soll ­wegen der Corona-Pandemie stark zugenommen haben. Dies teilte die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen kürzlich mit. Wie erleben Sie das?

Valentina Rauch-Anderegg: Auch in unserer Praxis melden sich mehr Personen, die einen Therapieplatz suchen. Dabei halten sich Einzelpersonen und Paare ebenso die Waage wie Männer und Frauen.

Was sind die Beweggründe dieser ­Menschen, psychologische Hilfe in ­Anspruch zu nehmen?

Die Beweggründe für die Anmeldungen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen, sind vielfältig. Manchen fällt es beispielsweise schwer, dass soziale Kontakte lediglich virtuell stattfinden. Andere haben ihren Job wegen Corona verloren und haben Schwierigkeiten, eine neue Arbeit zu finden. Auch gibt es Menschen, die Mühe damit haben, dass sie ihr geliebtes Hobby nicht mehr ausüben können. Viele sorgen sich um ihre und die Gesundheit anderer. Auch kommt es zu Hause vermehrt zu Konflikten zwischen den Partnern und mit den Kindern.

Welche Menschen leiden besonders an der Pandemie und wieso?

Eine Studie, die bei «The Lancet» (medizinische Fachzeitschrift, Anm. d. Red.) erschienen ist, zeigt, dass Quarantäne weitreichende Folgen haben kann. Besonders anfällig für solche Konsequenzen scheinen Menschen mit einem hohen Kontrollbedürfnis zu sein. Vor allem dann, wenn sie die neue Situation nicht erklären können. Eine Quarantäne ist oft mit dem Wegfall von Routine, der Sorge vor Ansteckung und/oder um die Unversehrtheit des Umfelds verbunden. Ausserdem müssen viele während der Pandemie finanzielle Einbussen ­bewältigen.

Was ist Angst, und ab wann sollte man sie behandeln lassen?

Angst ist eine Emotion, die Bedrohung signalisiert. Angst ist aus Sicht der Evolution ein hilfreiches Gefühl, da es die Chance zu überleben erhöht. Pathologisch kann Angst dann werden, wenn sie subjektiv zu viel Raum einnimmt oder den Alltag zu sehr einschränkt. Beispielsweise wenn man sich gar nicht mehr aus dem Haus traut aus Angst, sich anzustecken. Oder wenn man verzweifelt versucht, ein Attest zu erhalten, dass die eigenen Kinder nicht mehr zur Schule müssen, sondern auf unbestimmte Zeit zu Hause in Quarantäne bleiben können.

Wie geht man konstruktiv mit dem Angst­erleben um?

Häufig haben Sorgen und Ängste einen berechtigten Grund. Doch manchmal können Sorgen ausufern und ­unkontrollierte Ängste auslösen. Folglich kann es helfen, sich zu fragen, ­inwiefern man den Lauf der Dinge selbst beeinflussen kann oder eben nicht. Ausserdem können Sorgen darauf hinweisen, wer oder was einem besonders wichtig ist im Leben oder wofür man sich gerne einsetzen möchte. Dies zu erkennen, kann durchaus eine positive Erfahrung sein.

Regelmässige Bewegung und Entspannung können helfen, die körperliche Anspannung zu reduzieren, die oft mit Ängsten und Sorgen einhergeht. Man kann einen kurzen Spaziergang machen, um den Kopf zu lüften und sich dabei seinen Sinneseindrücken ­hingeben.

Inwieweit helfen Techniken wie Achtsamkeitsübungen oder Meditation?

Studien zeigen deutlich, dass die genannten Methoden helfen können, zu entspannen und das Stressniveau zu reduzieren. Dies wiederum kann dazu beitragen, dass man sich widerstandsfähiger fühlt für Anforderungen, denen man sich während der Pandemie ausgesetzt sieht. So dürfte man beispielsweise mehr Geduld mit den Kindern haben, wenn man sich entspannter fühlt. Oder man hat eher die Ressourcen zu hinterfragen, inwiefern die eigenen Ängste begründet oder doch vielleicht etwas übertrieben sind.

Was kann man für sich selbst tun, damit man in den kommenden Wochen trotz ­Einschränkungen eine gute Zeit erlebt?

Vielleicht gibt es etwas, das man schon lange anpacken wollte oder worauf man Lust hat. Ein Projekt beispielsweise, das Sinn stiftet. Ausserdem kann es helfen, die sozialen Kontakte auch via Telefon/Video zu pflegen, die eigene ­Tagesstruktur aufrechtzuerhalten, sich im Freien zu bewegen und die Zeit für sich zu nutzen.

Wovon sollte man während einer Krise besser absehen?

Es gibt da kein allgemeingültiges Rezept. Krisensituationen lösen bei vielen Personen Stress aus. Stress entsteht aus einem Ungleichgewicht zwischen den Alltagsanforderungen und den subjektiv zur Verfügung stehenden Ressourcen. Dieses subjektive Ungleichgewicht kann zu Angst, aber auch zu Trauer oder Ärger führen. Ist die Stresswaage im Ungleichgewicht, fühlen sich viele nicht mehr wohl. Daher hilft es in anspruchsvollen Zeiten, die Anforderungen zu reduzieren oder seine Ressourcen zu stärken, indem man beispielsweise dafür sorgt, dass man mehr Zeit für sich hat, um die Batterien wieder aufzuladen.

 

 

Post-Doc in Harvard

Valentina Rauch-Anderegg ist klinische Psychologin und eidg. anerkannte Psychotherapeutin. An der Universität Zürich hat sie im Rahmen der Studie «Paare werden Eltern» ihren Doktortitel erlangt und ihren Post-Doc an der renommierten Harvard Medical School gemacht. In ihrer eigenen Praxis in Affoltern berät und begleitet sie Einzelpersonen sowie Paare rund um die Themen Partnerschaft, Stress und Familie.

Weiter Infos: www.psychologie-anderegg.ch.

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