«Auf ein solches Ereignis kann man sich nicht vorbereiten»

Während rund einer Woche war Dominik Bisig, Mitarbeiter der Stadt Affoltern, mit seiner Rettungssuchhündin Chanel im Einsatz im Erdbebengebiet in der Türkei. Gemeinsam mit dem Rettungsteam von Redog suchten sie nach verschütteten Menschen in den Trümmern.

Die Stadt Iskendrun hat es hart getroffen. Rund 2000 Anrufe gingen bei der türkischen Organisation GEA ein. (Bilder zvg.)

Die Stadt Iskendrun hat es hart getroffen. Rund 2000 Anrufe gingen bei der türkischen Organisation GEA ein. (Bilder zvg.)

Dominik Bisig (unten) und seine Hündin Chanel auf der Suche nach Überlebenden im Erdbebengebiet.

Dominik Bisig (unten) und seine Hündin Chanel auf der Suche nach Überlebenden im Erdbebengebiet.

Bereits am ersten Tag gelang es dem Rettungshundeteam, mit der türkischen Partnerorganisation eine vierköpfige Familie lebend zu bergen. Von links: Dominik Bisig, Rettungshündin Chanel und Matthias Gerber, Equipenleiter Redog.

Bereits am ersten Tag gelang es dem Rettungshundeteam, mit der türkischen Partnerorganisation eine vierköpfige Familie lebend zu bergen. Von links: Dominik Bisig, Rettungshündin Chanel und Matthias Gerber, Equipenleiter Redog.

Teile der Türkei und Syriens wurden in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 2023 von einem katastrophalen Erd­beben verwüstet. Mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala sind der Südosten der Türkei und Nordsyrien erschüttert worden. In der Region ist es gemäss des United States Geological Survey (Usgs) das stärkste aufgezeichnete Erdbeben seit 1944. Noch am Montagabend, 6. Februar 2023, flogen zwei Rettungsteams von Redog mit insgesamt 22 Personen und 14 Suchhunden in das Katastrophengebiet an der türkisch-syrischen Grenze. Bei Redog handelt es sich um den Schweizerischen Verein für Such- und Rettungshunde. Während gut einer Woche unterstützte ein Team mit zehn Personen und sechs Hunden von Redog die türkische Partner-Rettungsorganisation GEA bei den Rettungsarbeiten. Dazu zählte auch Dominik Bisig, Assistent Interne Dienste, vom Seewadel – Zentrum für Gesundheit und Alter, und seine siebenjährige belgische Schäferhündin (Malinois) Chanel. Das zweite Team von Redog ging als Teil der ­Rettungskette des Schweizerischen ­Katastrophenhilfecorps in den Einsatz.

Eigene Sicherheit als oberstes Gebot

Am Montagmorgen, 6. Februar, hat ­Dominik Bisig den Alarm von Redog erhalten. Sofort galt es, die Abwesenheit bei der Arbeit zu regeln und ausreichend warme sowie wasserdichte Kleidung für die vor Ort herrschenden rauen Temperaturen einzupacken. Für seine Hündin nahm Bisig ausreichend Futter und Wasser mit, sodass für die komplette Verpflegung von Chanel während der kommenden Tage gesorgt war. Für sich selbst führte Bisig für rund zwei Tage Proviant mit. «Auf ein solches Ereignis kann man sich nicht vorbereiten», sagt der Rettungshundeführer und beschreibt damit die katastrophalen Umstände vor Ort. Mit Chanel hatte Bisig als Rettungshundeführer bereits das Militär absolviert und gelangte so auch zum Verein Redog. Mit dem Rega-Jet landete das Team gegen Mitternacht in Adana am Rande des Krisengebiets, wo sie am Flughafen bereits von der türkischen Partnerorganisation GEA erwartet wurden. Nach einer zweieinhalbstündigen Autofahrt erreichten sie ihr Einsatzgebiet Iskenderun. Die Hafenstadt im Bezirk Hatay, nahe der syrischen Grenze, zählt rund 250000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das Basecamp des ­Rettungsteams von Redog befand sich in einer Militärkaserne, wo auch die türkische Partnerorganisation ihr Lager aufgeschlagen hatte. Wegen der Einsturzgefahr bei einem Nachbeben übernachteten die Redog-Mitglieder mit den Hunden aber in Zelten. Denn: «Die ­eigene Sicherheit ist bei einer solchen Rettungsaktion oberstes Gebot», erläutert Bisig. Die Partnerorganisation sorgte dabei für die Verpflegung des Redog-Teams.

Kompakte Trümmerlage erschwerte die Suche

Bereits am ersten Tag verzeichnete Bisig mit seinem Team und den Suchhunden einen grossen Erfolg. Es gelang den ­Hunden, menschliche Witterung unter den Trümmern aufzuspüren. In den Trainings würden die Hunde die gefundene Witterung einer lebendigen Person durch Bellen oder Scharren zeigen. «Bei den kompakten Trümmerlagen in der Türkei kam oft so wenig Witterung raus, dass die Hunde keine vollen Anzeigen mehr geben konnten. Manchmal zeigten sie einfach nur Interesse an einer ­bestimmten Stelle, ohne zu bellen», so Bisig. Deshalb sei es wichtig, dass man in der Ausbildung lerne, seinen Hund zu lesen, führt er aus. Die Hunde sind ausgebildet, nur lebendige Personen zu suchen. Sie können auch die Witterung der anwesenden Rettungskräfte von der Witterung der verschütteten, lebenden Erdbebenopfer unterscheiden. An der von den Hunden angezeigten Stelle konnten die Retterinnen und Retter der Partnerorganisation GEA nach stundenlanger Arbeit vier Menschen lebend aus den Trümmern bergen. Dabei handelte es sich um eine Familie mit zwei ­Teenagern.

«Eine Rettung kann zehn Stunden oder noch länger dauern»

Sämtliche Rettungseinsätze wurden durch die Partnerorganisation GEA koordiniert. Es galt die Ressourcen einzuteilen und die Suchen zu priorisieren. «Man sucht nur dort, wo es auch noch Hoffnung gibt, dass sich Überlebende unter den Trümmern befinden», sagt Bisig. Denn mit jeder Stunde, die verstreicht, sinken die Überlebenschancen der Menschen, die unter den Trümmern eingeschlossen sind. Insbesondere der Mangel an Wasser sowie die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt stellen für die Überlebenden der Katastrophe eine grosse Gefahr dar. Wenn auf einer Schadenlage mit den Hunden gesucht wird, muss sichergestellt sein, dass dort auch gerettet werden kann. Es müssen genügend Rettende verfügbar sein. «Eine Rettung kann bis zu zehn Stunden oder noch länger dauern. Gibt man dann dem Erdbebenopfer ein Zeichen, ihn ­gefunden zu haben und beginnt nicht sofort mit der Rettung, kann dies verheerend sein. Denn die Opfer sind unweigerlich erleichtert und der starke Überlebensmodus des Körpers kann ­abgelöst werden», so Bisig. Neben den Suchhunden werden auch technische Ortungsinstrumente eingesetzt. Mit ­einer Kamera, die in gebohrte Löcher oder Hohlräume hinuntergelassen wird, können 360-Grad-Aufnahmen gemacht und analysiert werden. «Die trainierte Rettungshundenase kann aber bis heute nicht durch Technologie ersetzt werden», betont der Hundehalter.

Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit

Nach fünf Tagen kräftezehrender Suche nach Überlebenden im Erdbebengebiet soll es durch Einheimische zu Tumulten gekommen sein und Hilfseinsätze hätten abgebrochen werden müssen, wie diverse Medien berichteten. Die Bevölkerung in Iskendrun verhielt sich aber weiterhin ruhig und Bisig sowie sein Team erfuhren grosse Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit der Betroffenen. «Sie haben uns Essen und Getränke angeboten», sagt der Rettungshundeführer. Durch die Zusammenarbeit mit der einheimischen Partnerorganisation GEA hätte es auch keine Verständigungsprobleme mit den Angehörigen gegeben. «Es war jeweils ein Übersetzer dabei, der zwischen den Rettungskräften und den Angehörigen von Erdbebenopfern vermittelte. Somit gab es keine Sprach­barrieren», führt Bisig aus. Obwohl die Menschen in Iskendrun sich friedlich zeigten, habe man die zunehmende ­Ruhelosigkeit trotzdem spüren können. «Die Spannungen sind gewachsen, je kleiner die Hoffnung wurde.»

Die Partnerorganisation GEA hat rund 2000 Anrufe aus Iskenderun erhalten. Auf 180 Anrufe konnte reagiert werden, indem Hunde oder Rettende die Schadenlage inspizierten. «Die Stadt wurde ziemlich mitgenommen», sagt Bisig. Während Gesprächen mit seinen Rettungskameradinnen und -kameraden habe er erste Eindrücke bereits ein bisschen verarbeiten können. Doch: «Im Einsatz tut man das, wofür man dort ist. Dafür sind wir ausgebildet worden. Das wirkliche Nachdenken kommt meist erst danach», sagt Bisig. Nach acht ­Tagen fast ununterbrochenen Suchens und kaum Schlaf flogen Bisig und sein Team zusammen mit der Rettungskette von Adana zurück nach Hause.

* Die Autorin ist Sachbearbeiterin Kommunikation bei der Stadt Affoltern

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