«Die Hausärzte sterben nicht aus»

Arbeiten beide mit voller Überzeugung als Hausarzt: Dr. Daniel Zimmermann (links) und Dr. Stefan Herger. (Bild Marianne Voss)
Zwei Ärzte in einer Praxis in Affoltern zeigen, dass es anders geht
Von: Interview: Marianne Voss
In Artikeln über die Hausarztmedizin geht es zurzeit vorwiegend um negative Nachrichten wie: Hausarztpraxen schliessen, es gibt keine Hausärztinnen und Hausärzte mehr. Es ist die Rede von 75 Stundenwochen, das sind Arbeitszeiten, die sich junge Mediziner und Medizinerinnen nicht antun wollen. Sie suchen sich Jobs als Spezialisten. Hausarztpraxen werden von Firmen übernommen und von Ökonomen gesteuert. Die Hausärztinnen und Hausärzte arbeiten dort als Angestellte und wechseln den Job, wenn sie ein attraktiveres Angebot finden. Die Patientinnen und Patienten stehen im Regen, sind verunsichert, auf der Suche oder sitzen nach zwei Konsultationen schon wieder einer neuen Person gegenüber.
«Muss es wirklich so sein?», das fragten sich zwei Hausärzte aus dem Säuliamt. Sie beschlossen, gemeinsam aufzuzeigen, dass sich das Modell der vertrauten Hausarztpraxis bewährt und dass es entgegen allen negativen Berichten funktioniert.
«Anzeiger»: Herr Zimmermann, seit wann sind Sie hier in Affoltern Hausarzt?
Daniel Zimmermann: Seit 1995 bin ich Hausarzt und Spezialist in einem. Vorher war ich im Spital Affoltern als Oberarzt tätig. Ich bin seit vielen Jahren Präsident des Bezirksärzteverbands. Leute wie ich sind am Aussterben (er lacht). Ich bin so etwas wie der letzte Mohikaner.
Und Sie, Herr Herger, was ist ihr Werdegang?
Stefan Herger: Ich bin vergleichsweise zu meinem Kollegen noch jung. Es liegt eine Generation zwischen uns. Ich bin Facharzt Allgemeine Innere Medizin, war in Spitälern und in einer Hausarztpraxis angestellt und bin seit vielen Jahren als Notarzt in einem Rettungsdienst tätig.
Wie kamen Sie dazu, sich zusammenzutun?
Daniel Zimmermann: Es war eigentlich ein Zufall. Ich war am Überlegen, wie es mit meiner Praxis weitergehen soll, da ich im Pensionsalter bin.
Stefan Herger: Und ich suchte für meine Selbstständigkeit ausserkantonal nach einer Lösung. Nach einem Gespräch mit Daniel entschied ich mich im letzten Moment um.
Daniel Zimmermann: Wir haben nun eine Gemeinschaftspraxis gegründet – und eine Win-win-Situation geschaffen.
Wie meinen Sie das?
DZ: Wir profitieren beide und lernen voneinander. Ich als alter Hase kann meine lange Erfahrung einbringen, Stefan ergänzt das und bringt mit den neuen Erkenntnissen frischen Wind in die Praxis. Zudem habe ich die Möglichkeit, im Laufe der nächsten Jahre langsam mein Pensum zu reduzieren.
SH: Eines der «Win» ist auch, dass wir nicht auf uns alleine gestellt sind. Wir können uns austauschen und einander beraten, wenn es zum Beispiel um herausfordernde Diagnosen geht.
Sie beginnen nun Anfang Juni ihre Gemeinschaftspraxis in Affoltern.
DZ: Ja, und wir wollen keine Werbung machen. Es gibt genug Patientinnen und Patienten.
Worum geht es denn?
SH: Es geht uns darum, anhand von unserem motivierenden Beispiel aufzuzeigen, dass die Hausarztpraxis Zukunft hat. Ich bin ein junger Arzt, der ganz bewusst diesen Weg eingeschlagen hat und bin überzeugt, dass es für unser Gesundheitswesen der kostengünstigste Weg ist. Ich will junge Ärztinnen und Ärzte motivieren, in eine Hausarztpraxis einzusteigen. Wir wollen Werbung machen für unseren Beruf.
DZ: Ich bin überzeugt, dass die Hausärzte nicht aussterben. Viele Ärzte und vor allem Ärztinnen wollen heute nicht mehr 100 Prozent arbeiten. In einer Gemeinschaftspraxis ist genau das möglich. Wir können uns vorstellen auf die Dauer zu dritt oder zu viert in unserer Praxis tätig zu sein.
Aber wie ist das mit den langen Arbeitszeiten? Die seien doch eines der grössten Probleme?
DZ: Das dementiere ich ganz klar. Die Arbeitszeiten sind manchmal lang, aber für mich ist das weder belastend noch demotivierend. Ich übe meinen Beruf seit Jahrzehnten mit grosser Freude aus und freue mich am Sonntag auf den Montag. Die Arbeitsbelastung ist kein Problem, wenn der Job Spass macht. Dann wird man nicht ausgebrannt.
SH: Das sehe ich auch so. Das Problem ist nicht der zeitliche Aufwand. Wir tun unsere Arbeit gerne, weil sie bereichernd ist. Für mich kommt diese Tätigkeit einer Burnout-Prophylaxe gleich.
Sie sprühen beide vor Begeisterung. Erzählen Sie bitte mehr von Ihren positiven Erfahrungen.
DZ: Hier in einer Hausarztpraxis findet das ganze Leben statt. Es ist ein riesiges Privileg, Menschen in allen Lebenssituationen gegenüberzusitzen und ihnen zuzuhören. Am Abend weiss ich: Ich konnte vielen wirklich helfen.
SH: In unserem Beruf sind wir auch oft psychologisch gefordert. Der Mensch vor uns hat nicht nur körperliche Beschwerden, sondern ist oft auch psychisch am Anschlag. Es ist uns wichtig, dass wir dem ganzen Menschen gerecht werden können.
Einige Hausarztpraxen im Säuliamt wurden von Firmen übernommen. Was ist Ihre Meinung dazu?
DZ: Wir stehen dieser Entwicklung sehr skeptisch gegenüber. Diese Konzepte regulieren und kontrollieren uns Ärzte. Diese Firmen werden von Ökonomen geführt, die andere Interessen haben als die der Patientinnen und Patienten.
SH: Die Patientinnen und Patienten ziehen den Kürzeren. Sie leiden auch unter den ständigen Wechseln der angestellten Arztpersonen. Die Konstanz bei der vertrauten Hausarztperson ist nicht mehr gewährleistet.
DZ: Natürlich müssen wir zusätzliche Aufgaben übernehmen, die solche Firmen erledigen würden. Wir müssen zum Beispiel administrative Aufgaben bearbeiten, sind für unsere Angestellten verantwortlich und tragen das unternehmerische Risiko. Doch genau das macht das Ganze so spannend. Wir sind selbstständige Allrounder.
Zum Schluss: Vier Gründe für die Tätigkeit als Hausarzt.
Beide: die Vielseitigkeit, die Selbstbestimmung, die Nachhaltigkeit und die Nähe zu unseren Patientinnen und Patienten.