Als die Autobahn den Wahlkampf belebte

Nur einmal in den letzten 40 Jahren haben die Kantonsratswahlen im Säuliamt das Wahlvolk stark bewegt: 1987, als die damals noch offene Autobahnfrage stark polarisiert hat.

Bild aus vergangenen Tagen: Die Ämtler Kantonsratsmitglieder Anfang der 90er-Jahre, von links: Fredi Binder, Hansruedi Fischer, Irene Enderli, Jean-Jacques Bertschi und Charles Spillmann. (Bilder Archiv «Anzeiger»)

Bild aus vergangenen Tagen: Die Ämtler Kantonsratsmitglieder Anfang der 90er-Jahre, von links: Fredi Binder, Hansruedi Fischer, Irene Enderli, Jean-Jacques Bertschi und Charles Spillmann. (Bilder Archiv «Anzeiger»)

Nach den von der N4 geprägten Kantonsratswahlen von 1987: N4-Befürworter Rolf Hegetschweiler gratuliert Parteikollegin und N4-Gegnerin Margit Huber zur Wiederwahl. Rechts FDP-Wahlkampfleiter Andreas Müller.

Nach den von der N4 geprägten Kantonsratswahlen von 1987: N4-Befürworter Rolf Hegetschweiler gratuliert Parteikollegin und N4-Gegnerin Margit Huber zur Wiederwahl. Rechts FDP-Wahlkampfleiter Andreas Müller.

Anders als bei Behördenwahlen, wo im Majorzsystem Personen gewählt werden, stehen bei Kantonsratswahlen Parteien zur Auswahl. Natürlich geht es auch hier um «Köpfe», aber Massen lassen sich bei der Neubestellung des Kantonsparlaments in der Regel nicht bewegen. Derweil bei Gemeinderatswahlen in früheren Jahren die Wogen hochgingen und sich Kontrahenten veritable Inseratenschlachten lieferten, duellierten sich Parteien hierzulande gewöhnlich ohne den Zweihänder.

1979, als das Knonauer Amt lediglich vier Kantonsräte entsenden konnte, setzten die Parteien ausschliesslich auf Slogans und Köpfe. Da war von «Kopf und Herz» die Rede, davon, dass im Frühling viele Vögel zwitschern und M. Huber in den Kantonsrat gehört. In den redaktionellen Spalten des «Anzeigers» behielten Gruppenfotos mit Kandidierenden die Überhand. Pointierte Aussagen? Fehlanzeige.

Dasselbe vier Jahre später, als der Bezirk aufgrund der Bevölkerungsentwicklung einen fünften von insgesamt 180 Kantonsratssitzen erhielt. Damals holte sich die FDP ihr zweites Mandat, die SVP enteilte der Konkurrenz mit knapp 37 Prozent Wähleranteil. Erich Rüfenacht, Otto Schneebeli (beide SVP), Rolf Hegetschweiler, Margit Huber (beide FDP) und Hans Steiger (SP) bildeten die Ämtler Deputation im Rathaus an der Limmat in Zürich.

N4 sorgte 1987 für Turbulenzen – auch in der FDP

1987 hauchte die damals noch offene (und mit der Kleeblattinitiative 1990 entschiedene) Frage um die N4 dem Wahlkampf Leben ein – und wie! Die Region war in diesen Jahren in zwei Lager gespalten, und wer als Besucher hierherkam, der wurde schon vor dem Handschlag gefragt: «Bist du für oder gegen die Autobahn?». Die Fronten verliefen teilweise quer durch die Parteien, ja sogar durch Familien. Der Ton wurde rauer. Die SP wetterte über das «Zerstörungsprojekt», die FDP setzte auf «liberales und soziales Handeln», ein SVP-nahes Komitee verwehrte sich gegen «Feindbilder im Strassenverkehr». Die N4-Befürworter wollten die Dörfer vom Durchgangsverkehr entlasten, die Gegner geisselten die Umweltzerstörung. Und der damals noch existierende Landesring sah sich als «Alternative zu den Ewiggestrigen aus SVP und FDP».

Nun, in den bürgerlichen Parteien gab es zwei Lager. Die FDP setzte ihrer bisherigen Kantonsrätin und N4-Gegnerin Margit Huber auf der Liste den neuen Fritz Suter vor die Nase. Aber sie wurde – dank einem Fremdstimmenanteil von über 50 Prozent – wiedergewählt, zusammen mit N4-Befürworter Rolf Hegetschweiler. Die Polarisierung führte 1987 dazu, dass die SVP über 9 Prozentpunkte einbüsste und einen Sitz verlor, die FDP stark zulegte. Und mit Hansruedi Haegi (EVP) zog ein weiterer starker Exponent gegen die N4 in den Kantonsrat ein. Erstmals kam bei der Stimmenauszählung der PC zum Einsatz.

1991: Parteiinternes Kopf-an-Kopf-Rennen bei der SVP

Vier Jahre später holte sich die SVP mit dem als «Trumpf Buur» gepriesenen Fredi Binder den zweiten Sitz zurück – von der FDP, bei der die umstrittene Margit Huber zurücktrat. Binder fing 1991 die spätere Affoltemer Gemeindepräsidentin Irene Enderli buchstäblich auf der Zielgeraden ab. Neben ihm wurden Toni Bortoluzzi, Rolf Hegetschweiler, Hans Steiger und Hansruedi Fischer gewählt – mit Letzterem erstmals ein Grünen-Vertreter, der Haegi wieder aus dem Kantonsrat verdrängte.

Mehr Frauen, aber auch Abwahl

Die Merkmale der Wahl von 1995: eine Computerpanne mit starker Verzögerung der Auszählung, erstmals briefliche Abstimmung, sechs statt fünf Ratsmitglieder aus dem Säuliamt und eine Rekordbeteiligung der Frauen (22 figurierten auf den Listen). «Lange Vorwahlzeit – wenig Spannung» konstatierte der «Anzeiger». Mit Ernst Jud kam die FDP zum zweiten Sitz. SVP-Vertreterin Irene Enderli (die später aus der SVP austrat) mutierte dank Stimmenrekord zur «Bezirkskönigin». Die damalige Ämtler Deputation: Irene Enderli (Rücktritt aus dem Kantonsrat 1998), Fredi Binder (SVP), Jean-Jacques Bertschi, Ernst Jud (FDP), Charles Spillmann (SP) und Hansruedi Fischer (Grüne).

1999 wurden alle Bisherigen wiedergewählt, dazu Silvia Kamm (für Hansruedi Fischer) und Jürg Leuthold (SVP). SVP, FDP, SP und EDU legten zu. «Ich habe mit meiner Abwahl gerechnet», sagte Silvia Kamm 2003 am Wahlabend. Eher überraschend die verpasste Wiederwahl von FDP-Vertreter Jean-Jacques Bertschi. Die SP, mit Eva Torp und Pia Holenstein vertreten, erbte den Sitz von den Grünen. EVP-Vertreterin Lisette Müller zog mit hohem Fremdstimmenanteil neu ins Parlament ein. Die FDP war durch Robert Marty, den späteren Affoltemer Gemeindepräsidenten, vertreten. Jürg Leuthold und Fredi Binder gehörten ebenfalls zur Ämtler Vertretung.

2007 hielt sich das öffentliche Interesse an den Wahlen in Grenzen: 34 Personen «verirrten» sich ans überparteiliche Wahlpodium im Kasino Affoltern. Und lediglich ein gutes Drittel der Stimmberechtigten ging zur Urne, sorgten aber auch im Säuliamt für eine «grüne Welle». So holten sich die Grünen mit Hans Läubli den vor vier Jahren verlorenen Sitz von der SP zurück, derweil die Bürgerlichen ihre Sitzzahl halten konnten. SVP-Vertreter Jakob Schneebeli zog in den Kantonsrat ein, weil er John Appenzeller überflügelte – ihn, den Pechvogel, der zweimal nachrutschte, aber bei den ordentlichen Wahlen den Sprung nicht mehr schaffte.

«Pukelsheim» und die EVP

2011 geriet zum «Schicksalsjahr» von Lisette Müller. Sie erreichte erneut über 50 Prozent parteifremder Stimmen, scheiterte aber, weil die EVP kantonsweit stark Federn lassen musste. Das neu eingeführte «Pukelsheim»-System wurde der Knonauerin zum Verhängnis. «Drei Neue – zwei Abgewählte», so die Schlagzeile am Wahlabend. Martin Haab überflügelte bei der SVP John Appenzeller; zu den Neuen zählten auch Moritz Spillmann (SP; Sohn von alt Kantonsrat Charles Spillmann). Und mit Hans Wiesner zog ein Grünliberaler aus Bonstetten ins Parlament ein. Kurt Weber (FDP), Hans Läubli (Grüne) und Jakob Schneebeli (SVP) schafften die Wahl als Bisherige problemlos. Der erstmals angetretenen BDP war kein Erfolg beschieden.

Daniel Sommer holte für die EVP den verlorenen Sitz 2015 zurück, derweil der Grüne Hans Läubli über die Klinge springen musste. Mit Susanne Leuenberger (SVP) zog eine Neue ins Parlament ein. Sie ist aber aus gesundheitlichen Gründen im vergangenen Jahr zurückgetreten und wurde durch Hans Finsler ersetzt. Die weitere Ämtler Vertretung: Olivier Hofmann (FDP, hat 2013 Kurt Weber abgelöst), Moritz Spillmann (SP, inzwischen zurückgetreten und von Hannah Pfalzgraf ersetzt). Bei den Grünliberalen kam im Jahr 2017 Ronald Alder für Hans Wiesner in den Kantonsrat. 2015 gingen die Wahlen geräuschlos über die Bühne. «Freundlicher Austausch von Argumenten», betitelte der «Anzeiger»-Journalist eine schwach besuchte Wahlveranstaltung. Der Kommentator vermerkte: «Parteipolitische Gebetsbücher sind nicht mehr alles.» Und dieses Mal? Heute findet ein Grossteil des Wahlkampfs in sozialen Medien statt. Auch Ämtler Politikerinnen und Politiker sind dort präsent. Ihre Tweets sind nicht immer Wahlhilfen...

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