Mit allen Wassern gewaschene Industriegeschichte

Bereit zur Führung, ausgerüstet mit modernen Kopfhörern. (Bild Christine Häusermann)
Das historische Kleinkraftwerk Ottenbach wurde am Samstag, dem «Schweizer Mühlentag», geradezu überrannt von Besuchern.
Von: Christine Häusermann
Geschichten über und von der «Fabrik» waren ein beliebtes Gesprächsthema, wenn man sich mit älteren Ottenbacherinnen und Ottenbachern unterhielt. Vom Direktor Hürlimann und seiner Familie, dem die Mutter die Milch am Dienstboteneingang anlieferte, von Buben, die den Nachtwächter austricksten, um die reifen Aprikosen von der Südwand der Fabrik zu pflücken und von den Dramen, die sich im täglichen Fabrikleben abspielten, zum Beispiel von ungerechten Vorgesetzten, die ihre Macht gerne demonstrierten. Nachzulesen sind einige im Buch «Ottenbacher Geschichte(-n)», das es auf der Gemeindeverwaltung Ottenbach zu kaufen gibt. Heute lebt nur noch eine Handvoll Menschen, die das «Fabrikleben» aus eigener Erfahrung kennen, die meisten sind bereits selbst Geschichte geworden, so wie auch die Weberei, die in den 70er-Jahren stillgelegt wurde. Überlebt aber, hat die mechanische Technik, die den Betrieb am Laufen gehalten hat und die ist so faszinierend, wie die alten Geschichten. Das zeigte sich an der Besucherzahl vom vergangenen Samstag, an dem das historische Kleinkraftwerk Ottenbach seine Türen wieder öffnete, um endlich das 100-jährige Jubiläum der alten Lady im Untergrund, der Francis Turbine der Firma Bell in Kriens, zu feiern – notabene mit dreijähriger, coronabedingter Verspätung.
Ottenbachs Museum an der Strandpromenade
Renoviert und herausgeputzt präsentierte sich die Anlage an diesem Samstag den vielen Besucherinnen und Besuchern. Die Räume sind neu gestrichen, das stilvolle, altehrwürdige Industrie-Grüngrau wurde beibehalten, die schwarzen Maschinenteile geölt, der grosse Riemen der Königswelle glänzte, als wäre er speziell gewienert worden und die mit Messing eingefassten Instrumente auf der alten Schalttafel im Arts-Déco-Stil strahlten wie kleine Sonnen. Aufgerüstet hat man aber auch die moderne Präsentationstechnik. Mittels Beamer können Erklärungen nun auch für alle gut sichtbar an die Wand projiziert werden. Der Hauptakteurin, der Francis Turbine, genügte derweil Wasser und die passende Zuleitung der Schaufeln des Leitapparates, um zuverlässig grollend, wie schon vor 100 Jahren, ihren Dienst zu tun. Der ’Frühlingsputz’ wurde finanziell durch den Lotteriefonds, eigene Fundraising-Anstrengungen und dank weniger, technikbegeisterter Gönner möglich, wie Hans Fässler, langjähriger Kassier des Vereins erklärte.
Dank der neuen Steinpflästerung des Areals und der grossen Freitreppe, ist die Anlage stark aufgewertet. Am Samstag hat der Verein eine Festwirtschaft mit Partyzelt und Festbänken errichtet. Kissen auf der Freitreppe luden zum Verweilen bei schönem, aber windigem Wetter ein. Auf Info-Tafeln konnte man sich einen Einblick in Technik, Turbinentypen und zugehöriges Gewerbe verschaffen.
Nach dem Marsch hinauf zum Streichwehr, entlang des Ottenbacher «Canal du Midi» und den fachlich fundierten Ausführungen der «Hobby-Kraftwerkler», gab es zur Stärkung Getränke und eine Grillwurst. Das historische Kleinkraftwerk liegt an der Strandpromenade gegen die Reuss hinunter. Dass im Sommer eine Gelateria oder eine Cafébar am Wochenende die Fundraising-Kassen des Vereins füllen sollen, davon hat Vereinspräsident Heinz Geiger leider nichts erwähnt, sicher ist aber, dass an den «Tagen des Denkmals», am 10. und 11. September, die nächste öffentliche Besichtigung des Kraftwerkes möglich ist, Gruppen melden sich beim Verein separat.
«Jede erneuerbare und einheimische Kilowattstunde zählt»
Der Verein Historisches Kleinkraftwerk Ottenbach hat sich der Vereinigung Schweizer Mühlenfreunde angeschlossen, die jeweils am Samstag nach Auffahrt den «Schweizer Mühlentag» durchführt. Jahresthema 2023 ist «Strom aus Schweizer Mühlenbächen». Die Vereinigung schreibt, dass mit dem Bau von Mühlen vor Jahrzehnten und gar Jahrhunderten, biodiverse Habitate geschaffen wurden. Das Spannungsfeld an Schweizer Gewässern sei aber gross und alte Mühlen würden bei Konzessionen an der Politik scheitern. Die Vereinigung unterstützt deshalb die Initiative «Jede erneuerbare und einheimische Kilowattstunde zählt».
Wie erwähnt, wurde das 100-jährige Jubiläum der Francis-Turbine gefeiert, die ab 1920 zuverlässig Strom für die Webstühle der damaligen Weberei in Ottenbach lieferte und noch heute funktioniert. In seinen Memoiren berichtet Jakob Häusermann, dass es sich im riesigen Websaal, voller ratternder Webstühle, wie unter «gereizten, knurrenden Hunden und stampfenden Pferden» anfühlte, als er 1919 die Weberlehre
in der Fabrik absolvierte.