«Wichtig ist, sich selber nicht zu viel Druck zu machen»

Vom 23. August bis 8. September messen sich die besten Volleyball-Nationen des Kontinents an der Europameisterschaft. Dass die Schweiz dabei ist, dazu hat die 20-jährige Passeurin Olivia Wassner aus Affoltern massgeblich beigetragen.

Als Passeurin setzt Olivia Wassner die Schweizer Angreiferinnen in Szene. <em>(Bild Marc Raeber)</em>

Als Passeurin setzt Olivia Wassner die Schweizer Angreiferinnen in Szene. <em>(Bild Marc Raeber)</em>

Mit ihrer Grösse und Übersicht ist die Affoltemerin (Nummer 20) auch als Blockspielerin wertvoll – wie hier gegen Kroatien. <em>(Bild zvg.)</em>

Mit ihrer Grösse und Übersicht ist die Affoltemerin (Nummer 20) auch als Blockspielerin wertvoll – wie hier gegen Kroatien. <em>(Bild zvg.)</em>

«Anzeiger»: Erstmals hat sich die Schweiz auf sportlichem Weg für eine EM-Endrunde qualifiziert. Was bedeutet es Ihnen, Teil dieser Mannschaft zu sein?

Olivia Wassner: Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Das ist das, wofür ich in den letzten sieben, acht Jahren gearbeitet habe. Es bedeutet mir viel, ein Teil dieser Mannschaft zu sein.

Was zeichnet die Mannschaft aus?

Wir sind eine sehr junge Mannschaft. Das hilft uns, weil wir auf der gleichen Stufe des Lebens sind und uns gut verstehen. Das fördert den Teamgeist. Wir haben einen sehr guten Zusammenhalt.

«Ich muss sehen, was die Gegnerinnen machen, wo die schwachen Block-Spielerinnen stehen.»

In Montreux haben Sie jüngst Gelegenheit gehabt, sich mit anderen Nationen zu messen. Was sind die Erkenntnisse?

Das waren die weltbesten Nationen und wir haben gegen jeden Gegner einen Satz gewonnen. Das zeigt, welches Potenzial wir haben. Jetzt müssen wir noch die Konstanz erreichen, über die ganze Spieldauer mithalten zu können. Natürlich war es auch toll, gegen die besten Spielerinnen der Welt zu spielen.

In der EM-Qualifikation erhielten Sie in entscheidenden Momenten das Vertrauen des Trainers. Wie haben Sie das erlebt?

Es hat mir sehr viel bedeutet, auf dem Feld zu stehen im Moment der Qualifikation. Der Trainer hat mir das Vertrauen gegeben, weil er wusste, dass ich es durchziehen kann.

Wie waren die Reaktionen aus Ihrem Umfeld?

Es waren alle überglücklich und sehr stolz auf uns.

Wie sieht die weitere Vorbereitung aus im Hinblick auf die EM?

Jetzt haben wir Ferien. Das nächste Training ist am 20. Juni. Vom 1. bis 15. Juli spielen wir an der Universiade. Dort wird das EM-Kader endgültig festgelegt. Am 3. August beginnt dann die EM-Vorbereitung. Es werden nur 14 Spielerinnen mit an die EM genommen. Wir sind drei Passeusen, da ist es noch nicht sicher, ob ich mitdarf. Ich hoffe es natürlich schwer (lacht).

Was machen Sie persönlich, um im entscheidenden Moment in Form zu sein?

Ich gehe drei Mal die Woche ins Fitness und gebe natürlich in den Trainings alles. Für die mentale Unterstützung habe ich mich mit einer Sportpsychologin in Verbindung gesetzt, um besser mit dem Druck umgehen und im entscheidenden Moment meine Bestleistung abrufen zu können. Wichtig ist, sich selber nicht zu viel Druck zu machen. Das lastet sonst zusätzlich auf einem.

Als Passeurin setzen Sie die Angreiferinnen in Szene. Worauf gilt es dabei zu achten?

Ziemlich viel (lacht). Ich muss taktisch überlegen: Welche Angriffssituation macht Sinn? Ich muss sehen, was die Gegnerinnen machen, wo die schwachen Block-Spielerinnen stehen. Ich muss Rücksicht nehmen auf die eigenen Mitspielerinnen: Wenn eine einen Ball retten musste, ist sie nicht mehr anspielbar. Und ich muss spüren, wann ich schnell spielen kann und wann die Angreiferinnen noch Zeit brauchen.

Wenn eine Angreiferin ein- zweimal nicht durchkommt, können auch die Nerven zu flattern beginnen, wie gehen Sie damit um?

Dazu muss man seine Mitspielerinnen kennen: Soll ich sie sogleich nochmals anspielen, damit sie den Punkt machen kann, oder gebe ich ihr eine Pause.

Wo sehen Sie ihre grösste Stärke?

Mit meiner Grösse – für eine Passeuse – habe ich beim Block sicher einen Vorteil. Auch taktisch kann ich viel einbringen mit meiner Spielintelligenz und den Überblick behalten.

In der Schweizer Gruppe D (Spielort: Bratislava) sind mit Russland und Deutschland die beiden stärksten Teams der letzten EM. Wie schätzen Sie die Ausgangslage ein?

Wir sind als letzte rangiert. Aber gegen Deutschland haben wir in Montreux einen Satz gewonnen. Wenn wir dieses Niveau länger halten können, können wir auch gegen die Grossen mitmischen. Wenn alle gut spielen, liegt es drin, uns für die nächste Runde zu qualifizieren. Dazu müssen wir zwei Teams schlagen. Am besten stehen die Chancen gegen die Slowakei und gegen Spanien.

Was braucht es, um auch mal gegen einen favorisierten Gegner reüssieren zu können?

Manchmal hilft der Überraschungs-Effekt. Aber es braucht sicher viel Teamgeist und Arbeit. Alle müssen etwas mehr machen als sonst. Der Wille ist sehr wichtig.

Begonnen haben Sie mit dem Volleyballspiel in Obfelden. Was haben Ihre ersten Trainer richtig gemacht?

Nach einem Jahr bei den Juniorinnen in Obfelden haben sie mich bereits für die SAR-Sichtung angemeldet (SAR ist das Sichtungsgefäss für das regionale Trainingszentrum, Anm. d. Red.). Dabei konnte ich da noch gar nicht richtig Volleyball spielen. Wegen meiner Grösse wurde ich trotzdem ausgewählt.

Mittlerweile haben Sie ein Sportstipendium, was bedeutet Ihnen dies?

Das ist unglaublich viel Geld. Die Privatuni wäre sonst sehr teuer. Fürs Volleyballspielen alles bezahlt zu bekommen, das ist sehr grosszügig. Und es ist eine gute Möglichkeit, Volleyball und das Studium zu kombinieren.

Was zeichnet die Bedingungen an Ihrer Uni in Washington DC aus?

Wenn ich in der Nationalliga A spielen würde, hätte ich zweimal am Tag Training. Wir trainieren nur einmal, dafür drei Stunden am Stück. Das Umfeld ist sehr professionell organisiert. Wir haben drei Vollzeit-Trainer, die besten Nati-A-Teams haben einen oder zwei. Während der Saison von Ende August bis November reisen wir mit dem Bus der ganzen Ostküste entlang. Das sind bis zu sieben, acht Stunden Fahrt.

Und wie ist das Spielniveau?

Sehr unterschiedlich. Es sind 300 Teams in der Division 1, die besten auf Schweizer Top-Niveau, die schlechtesten etwa Nationalliga B. Wir sind in der Mitte.

«Wenn alle gut spielen, liegt es drin, uns für die nächste Runde zu qualifizieren.»

Was ist Ihr grösstes Karriereziel?

Ich möchte an die EM und es geniessen können. Der Druck ist etwas gross im Moment. Bei so viel Volleyball muss man sich immer wieder motivieren können. Manchmal geht dabei der Blick auf das Positive etwas verloren. Drum ist die mentale Arbeit so wichtig.

Können Sie dazu eine konkrete Übung nennen?

Nach jedem Training schreibe ich mir drei Sachen auf, die gut waren. Ich bin ein ehrgeiziger Mensch und mache mir selber grossen Druck. Viele Leute verstehen nicht, dass es nicht so einfach ist, mit diesem Druck umzugehen.

Was würden Sie einem jungen Mädchen empfehlen, das in Obfelden mit dem Volleyballspiel beginnt und Sie als Vorbild bewundert?

Es ist cool, Vorbilder zu haben, aber man muss sich auch bewusst sein, dass viel Arbeit dahintersteckt.

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