Ein nicht freiwillig gewähltes Zuhause

Sommerserie «Bauten und Menschen»: Mike lebt in einem Zimmer im Wohnhuus Meilihof in Ebertswil

Die Plüschtiere auf dem Schrank von Mike haben alle eine Geschichte.

Die Plüschtiere auf dem Schrank von Mike haben alle eine Geschichte.

Der Hofplatz des Wohnhuuses Meilihof mit dem Haus 3A, wo Mike sein Zimmer bewohnt.

Der Hofplatz des Wohnhuuses Meilihof mit dem Haus 3A, wo Mike sein Zimmer bewohnt.

Das Zimmer von Mike im Wohnhuus Meilihof. Auf dem Bett der Plüschhund seines Bruders. (Bilder Marianne Voss)

Das Zimmer von Mike im Wohnhuus Meilihof. Auf dem Bett der Plüschhund seines Bruders. (Bilder Marianne Voss)

Das Hofkafi im Wohnhuus Meilihof in Ebertswil ist offen für die Bevölkerung, sei es für ein Mittagessen, einen Brunch am Sonntag oder einen Firmenanlass. Auch auf dem grossen Hofplatz darf jede und jeder an einem Tisch Platz nehmen und etwas essen oder trinken. In die Wohnhäuser hingegen kann man nicht einfach eintreten, denn das ist die ­Privatsphäre der betreuten Frauen und Männer. Das Wohnhuus Meilihof gehört zur Stiftung Wohnraum für jüngere Behinderte (Wfjb) und bietet 23 erwachsenen Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung oder Hirnverletzung persönlichen und gemeinschaftlichen Wohn- und Lebensraum.

Mike ist einer von ihnen. Er wohnt seit 2016 im Meilihof und ist bereit, den Besuch vom «Anzeiger» in seinem ­kleinen privaten Reich zu empfangen. «Normalerweise kommen nur Angehörige meiner Familie in mein Zimmer», erklärt er. Aber er hat sich auf den ungewöhnlichen Besuch heute gefreut.

Ein Unfall im Alter von 21 Jahren

Er wohnt im Erdgeschoss in einem Raum mit zwei grossen Fenstern. Es ist gemütlich hier, der Stuhl für den Gast ist mit Edelweiss-Stoff bezogen. «Die Möbel habe ich alle selber mitgebracht. Diese Kommode stammt von meiner ­Urgrossmutter, der Schrank auch. Das Gestell dort in der Ecke habe ich selbst gebaut.» Sogar um das verstellbare Bett hat sich Mike persönlich gekümmert. Der Rahmen aus Nussbaumholz wirkt edel und lässt keine Spitalatmosphäre aufkommen.

Mike sitzt in einem Elektrorollstuhl. Er kann nur die Arme sowie die Finger bewegen und sich mündlich verständigen. Ein Unfall im Alter von 21 Jahren veränderte das Leben des jungen Appenzeller Landwirts von einem Moment zum anderen. Er spricht offen darüber: «Ich hätte nicht beim Velofahren mein Handy bedienen sollen. Ich fuhr ganz schön schnell auf einem Feldweg und sah den entgegenkommenden Traktor zu spät.» Er berichtet von der Zeit, als gar nichts mehr ging. «Ich konnte auch nicht mehr reden, das war schlimm.» Langsam kam die Sprache zurück, dann auch die Motorik. «Als ich den ersten Arm wieder ein bisschen lupfen konnte, war das extrem toll.»

Alles in einem Zimmer

Mike lebt nun seit mehr als sieben Jahren in diesem Zimmer. «Es ist schon auch zu meinem Zuhause geworden. Aber meine Heimat ist halt eigentlich das Elternhaus im Appenzellerland.» Doch in jenem 300 Jahre alten Haus sei an ein Leben im Rollstuhl nicht zu denken. In seinem Zimmer hier ist fast alles sichtbar, was Mike wichtig ist, und sein Leben ausmacht. Im Zentrum stehen der Computer und das Handy. Mit diesen technischen Mitteln kann er kommunizieren, aber auch das Licht, die Tür, die Storen oder den Lift bedienen. In zwei Glasvitrinen hat er seine Liebhabereien ausgestellt: Modelle von alten Postautos und Apple-iPhones fast aller Generationen. Auf dem Schrank sitzen unzählige Plüschtiere in allen Grössen wie zum Beispiel Hunde, Bären oder auch ein Elefant. «Hinter jedem dieser Plüschtiere steckt eine Geschichte», sagt er und berichtet: «Dieser Hund ist über 30 Jahre alt und gehörte meinem Cousin, der tödlich verunglückt ist. Und der grosse Hund dort ist von meinem Bruder, der auch nach einem Unfall gestorben ist. Er hat den Hund an der Olma gewonnen.» Einen Moment ist es still. Dann seufzt er und meint: «Ja, in meiner ­Familie sind viele Unglücke passiert.»

Mike malt Bilder

Mike sitzt nicht immer nur in seinem Zimmer. Gerne ist er mit seinem Rollstuhl unterwegs. «Ich fahre weit, durchaus auch mal aufs Albishorn. Und manchmal fahre ich auch schnell.» Er schmunzelt auf seine Art. Unterwegs macht er Fotos von alten Häusern, die er dann am Bildschirm malt. So hat er bereits verschiedene Häuser aus der ­Umgebung selber gezeichnet. Einige hat er gerahmt und in seinem Zimmer aufgehängt – eindrückliche Kunstwerke. «Auf Bestellung mache ich auch Kalender und Karten mit meinen Bildern», informiert er dazu. Plötzlich blickt er irritiert zur gegenüberliegenden Zimmerwand. «Ein Kalb ist umgefallen», sagt er besorgt. Die Besucherin geht hin und schaut nach. Dort ist an einem Holzbalken eine Glocke mit wunderschön verziertem Band aufgehängt. Die Aufschrift lautet: «Zum 20. Geburtstag.» Auf dem Balken steht eine Holzkuh. Das Kalb daneben ist tatsächlich umgefallen. Als es wieder auf seinen vier Beinen steht, ist Mike beruhigt.

Zum Schluss geht es noch ums Thema Landwirtschaft. Er vermisse seinen Beruf schon. «Wenn ich wünschen könnte, würde ich gerne wiedermal Traktor fahren. Das ist halt schon ein schönes Gefühl, auf so einem Gefährt zu sitzen und der Chef zu sein.»

Mehr zu den Kunstwerken mit Webshop unter mike-kellenberger-finder.jimdofree.com

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