«Jemand sagte kürzlich zu mir, die ‹Klimaerwärmung› im Betrieb sei spürbar»

Seit knapp zwei Jahren amtet Eveline Fenner (EVP) als Stadtpräsidentin von Affoltern – nun zieht sie im Interview mit dem "Anzeiger" Zwischenbilanz

Eveline Fenner (EVP), seit 2022 Stadtpräsidentin von Affoltern. (Bild Livia Häberling)
Eveline Fenner (EVP), seit 2022 Stadtpräsidentin von Affoltern. (Bild Livia Häberling)

Seit knapp zwei Jahren sind Sie Stadtpräsidentin von Affoltern. Welche Erfahrungen waren für Sie in der bisherigen Amtszeit besonders prägend?

Eveline Fenner: Die Fülle an ­wertschätzenden Begegnungen und ­Bekanntschaften war etwas vom Eindrücklichsten. Gleichzeitig habe ich die Sonnen-, aber auch die Schattenseiten dieses Amts kennengelernt: Man erfährt Wertschätzung und Würdigung als öffentliche Person, steht aber auch im Schaufenster.

Sie sind 2022 mit einem Dutzend politischer Kernanliegen in den Wahlkampf ­gestiegen. Wie sieht Ihre persönliche Zwischenbilanz aus?

Man nimmt sich im Wahlkampf viel vor – und merkt sehr bald, wie schnell die Zeit vergeht und dass viele Projekte eben doch länger brauchen. Trotzdem haben wir einiges von dem, was wir uns auf die Fahne geschrieben haben, im Ansatz erreicht oder wir sehen zumindest, dass es in die richtige Richtung geht.

An welche Ziele denken Sie?

Nahbar zu sein, mit den Menschen in Kontakt zu kommen und für sie da zu sein – in diesem Bereich habe ich etwas verändern können und teilweise einen Kulturwandel erreicht. Jemand sagte kürzlich zu mir, die «Klimaerwärmung» im Betrieb sei spürbar, und für einmal war das im positiven Sinn gemeint. Das hat mich sehr gefreut.

Sie sprechen individuell gefühlte Veränderungen an. Welche messbaren Erfolge können Sie vorweisen?

Der ganze Strategieprozess, den wir mit der Bevölkerung zusammen erarbeitet haben, kam gut an. Auch wenn es sich dabei natürlich um einen langfristigen Prozess handelt. Den Stadtpark Brauiweier haben wir saniert und eröffnet, die Kanti ist auf gutem Weg, seit Kurzem haben wir eine neue Website, um auf digitalem Weg verständlicher zu kommunizieren und das neue «Seewadel» ist inzwischen eingeweiht. Wobei ich dieses Projekt natürlich erben konnte, das war nicht mein Erfolg allein. Weiter haben wir das Energiestadtlabel erhalten und die Spitex präsentiert eine ausgeglichene Rechnung bei guter Qualität. Zudem haben wir verschiedene Anlässe durchgeführt, bei denen die ­Bevölkerung involviert wurde und die geschätzt wurden.

Im Wahlkampf hatten Sie damit geworben, dass mit Ihnen als neue Stadtpräsidentin eine Expertin auf die Finanzen schauen werde. Zuletzt wollte der Stadtrat allerdings mehr Geld ausgeben als das Stimmvolk: Das Nein zur 38-Stunden-Woche war deutlich. Lebt Affoltern unter Ihrer Führung über seinen Verhältnissen?

Überhaupt nicht! Wichtig ist, dass wir mit unseren Finanzen gut haushalten. Und die 38-Stunden-Woche wäre ja gerade die Alternative zu höheren Löhnen gewesen. Das Volk wollte keine tiefere Arbeitszeit, gleichzeitig hat sich in der Diskussion gezeigt, dass ein breiter Konsens darüber besteht, dass marktgerechte Löhne okay sind. Wir werden die Löhne nun punktuell anschauen. Ich bin nicht sicher, ob das am Schluss günstiger kommt.

Sie sprechen von einem breiten Konsens für Lohnerhöhungen in der Stadtverwaltung. Wo nahmen Sie diesen wahr?

An Informationsveranstaltungen und an der Gemeindeversammlung wurde das teilweise wortwörtlich so gesagt.

In Einzelvoten?

Ja, und das von Vertretern der Parteien und des Gewerbes.

Mit der Kontroverse um die 38-Stunden-Woche erlebte der Stadtrat in seiner aktuellen Zusammensetzung erstmals Gegenwind. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Wir mussten damit rechnen, dass das Thema Aufmerksamkeit generiert. Trotzdem war es für mich herausfordernd, das erste Mal vor den Medien hinzustehen.

Gelang es Ihnen, Ihre Rolle als öffentliche Person abends abzulegen?

Nein, Ich konnte in dieser Situation schlecht abschalten. Da hat es sehr in mir gearbeitet, auch nachts und zum Teil auch in den Ferien.

Wie gelingt es dem Stadtrat nun, wieder näher am Willen des Stimmvolks zu politisieren?

Wir alle sind in der Stadt vernetzt und regelmässig an Veranstaltungen präsent. Wir sind nahbar. Zudem ist Mitwirkung ein Thema, das dem Stadtrat wichtig ist. Momentan prüfen wir zum Beispiel digitale Plattformen und beschäftigen uns damit, über welche Kanäle wir die junge Generation erreichen und zur Partizipation bewegen können.

Eine wesentliche politische Herausforderung ist das Wachstum der Stadt. Wie geht der Stadtrat diese an?

Wesentlich ist unsere Immobilien-Strategie. Mit ihr planen wir, welche Räume wir wo und wann benötigen. Erste Priorität hat dabei der Schulraum.

Wie ist die Schulraumsituation zurzeit?

Aktuell ist sie händelbar, doch wir wissen, dass wir auf das Schuljahr 2025/26 hin zusätzlichen Bedarf haben. Weil sich diese Zahlen recht zeitnah entwickeln, die Bauplanung jedoch über einen längeren Zeitraum erfolgt, ist es uns wichtig, die Schulräume so multifunktional wie möglich zu bauen. Damit etwa ein Kindergarten auch als Schulzimmer genützt werden kann. Beim Kindergarten Breiten, der momentan gebaut wird, wäre dies bereits möglich.

Im Frühjahr 2025 wird der Kindergarten Breiten in Betrieb genommen. Trotzdem reicht der Platz nicht aus: Auch das alte Gerichtsgebäude an der Zürichstrasse wird von der Primarschule benötigt. Das Familienzentrum muss ausziehen. Wohin?

Diese Abklärungen laufen noch. Wir sind mit dem Familienzentrum in engem Kontakt und haben natürlich auch ein Interesse daran, wieder einen guten Standort zu finden.

Auch die Stadtverwaltung braucht mittelfristig mehr Platz. Wann kommt der Erweiterungsbau vors Volk? Die Rede war einst von einer ersten Abstimmung 2025.

Da stehen wir noch ganz am Anfang der Planung. Hier soll mittelfristig der nötige Raum geschaffen werden.

Ein Projekt, das man im Stadtzentrum nicht sieht, das aber ebenfalls sehr gross und teuer ist, ist die Kläranlage. Wo steht diesbezüglich die Planung?

Die Kläranlage ist ein Bauwerk für die nächsten 60 bis 80 Jahre. An einem bestehenden Standort im Rotationsverfahren eine komplett neue Anlage aufzubauen, ist auch logistisch eine sehr grosse Herausforderung. Das Projekt kommt voraussichtlich 2025 an die Urne und muss auch mit unseren Anschlussgemeinden koordiniert werden.

Und auch der Werkhof und die Stützpunktfeuerwehr werden in absehbarer Zeit an ihre Kapazitätsgrenze stossen…

Genau. Momentan gibt es rund um den Friedhof verschiedene Ideen, wie wir diesen längerfristig gestalten könnten. Direkt daneben, auf dem Giessen­areal, befindet sich unsere letzte grosse Landreserve. Eine Option wäre, dass dort ein Teil des Werkhofs unterkommen könnte. Hier sind aber noch vertiefte Abklärungen nötig.

Wie finanziert die Stadt all diese Projekte?

Wir müssen mit unseren Finanzen sehr behutsam und weise umgehen und die Ausgaben gut staffeln, um das zu stemmen. Bei der Kläranlage helfen uns auch unsere Anschlussgemeinden, welche einen erheblichen Teil der Kosten bezahlen werden. Grundsätzlich sage ich aber immer: Investitionen sind Investitionen in die Zukunft. Wer ein Haus kauft, wird in den meisten Fällen auch zur Bank gehen und eine Hypothek aufnehmen müssen. Bei der Stadt ist das ähnlich. Wir versuchen, alle Projekte so weit wie möglich aus eigenen Mitteln zu finanzieren, und dort, wo es nicht geht, zum Beispiel bei der Kläranlage, werden wir die Abwassergebühren erhöhen müssen.

Das Geld wird also nicht reichen, um die Investitionen aus eigener Kraft zu stemmen?

Wir werden die Investitionen in den nächsten Jahren zu einem grossen Teil selbst finanzieren können, aber nicht komplett.

Der Brutto-Verschuldungsanteil einer Gemeinde zeigt, wie viel des laufenden Ertrags zur Schuldentilgung gebraucht werden muss. Dieser Wert ist in Affoltern seit 2012 von 47,5 auf aktuell 96 Prozent angestiegen. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

1991 hatte Affoltern einen Wert von 133 Prozent. Die zukünftige Entwicklung hängt davon ab, wie sich die Einnahmen entwickeln und wie wir die Ausgaben staffeln. Unsere Strategie sieht vor, einen grossen Teil der Investitionen selbst zu finanzieren, damit die Schulden nicht zu stark ansteigen.

Das bedeutet für die Verschuldung konkret was?

Es wird Jahre geben, in denen wir die Investitionen selbst finanzieren können. Und in anderen, etwa wenn mehrere grosse Investitionen ins gleiche Jahr fallen, werden wir es vielleicht nicht ganz schaffen.

Wird Affoltern die nächsten Jahre ohne Steuererhöhung überstehen?

Für die politische Gemeinde ist das unsere erklärte Absicht.

Sie werden also nicht als Stadtpräsidentin in die Geschichte eingehen, die eine Steuererhöhung zu verantworten hat?

Nein. Das ist definitiv nicht mein Ziel.

Zum Schluss ein Ausblick: Wo liegt in der zweiten Legislatur-Hälfte der Fokus des Stadtrats?

Da gibt es diverse Themen: Uns beschäftigt wie erwähnt die Umsetzung der Immobilien-Strategie, aber zum Beispiel auch die Bau- und Zonenordnung, der Werterhalt der Infrastruktur, die Umrüstung der Strassenbeleuchtung auf LED oder der Ausbau der ÖV-Verbindungen nach Zug. Zudem wird uns die Digitalisierung stark beschäftigen und weiterhin der Fachkräftemangel. Auch ein Stadtfest soll es wieder geben, wobei hier noch nichts Konkretes auf dem Tisch liegt.

Das sind viele Ziele…

Natürlich ist das ein rollender Prozess. Nicht alle Ziele sind in den kommenden beiden Jahren umzusetzen.

Wenn zwei Jahre zu wenig Zeit sind: Wie gross ist die Chance, dass Sie für eine weitere Amtszeit kandidieren?

Grundsätzlich macht mir meine Arbeit Freude, und ich habe schon einmal erwähnt, dass ich gerne zwei Legislaturen machen würde. Aber das hängt auch sehr vom politischen Klima ab und ob ich auch einen Rückhalt spüre. Ich habe diesen Entscheid bisher noch nicht gefällt.

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