Kafi fertig

Steffi Koller und Gina Weibel haben ihren Pachtvertrag für das Affoltemer Märtkafi gekündigt

Eine Erinnerung, die unter die Haut geht: Steffi Koller (l.) und Gina Weibel liessen sich als Erinnerung an die Märtkafi-Zeit ein Tattoo stechen. (Bild Livia Häberling)

Er steht noch auf dem Holzsekretär, der goldene Bilderrahmen mit dem Zeitungsartikel, in dem Steffi Koller und Gina Weibel als neue Pächterinnen des Märtkafi vorgestellt wurden. Vor knapp drei Jahren war das, im März 2021, die Schweiz befand sich im Würgegriff der Pandemie. Ob der Märt in Affoltern plangemäss wieder stattfinden würde? Ungewiss. Trotzdem starteten die Freundinnen bald darauf mit einem Take-away-Angebot in die Saison: «Das finanzielle Risiko war uns bewusst», sagt Steffi Koller, «aber wir dachten, wenn wir das wuppen, dann schaffen wir es nachher erst recht.»

Es kam anders. Im November gab die Stadt Affoltern bekannt, dass sie für das Märtkafi neue Pächter sucht. Dabei waren die beiden mit so viel Euphorie in ihren Traum gestartet: Es war ihr Mitbewohner gewesen, der eines Tages von dem freien Lokal Wind bekommen hatte und zu den Freundinnen sagte: Wär das nicht etwas für euch?

«Doch!», fanden Steffi Koller und Gina Weibel, bewarben sich – und erhielten prompt den Zuschlag.

Schlemmen wie beim Grossmami

«Wie bei Oma oder beim Grossmami», sagt Steffi Koller, die gebürtige Deutsche – so sollte sich der Besuch im Märtkafi für ihre Gäste anfühlen. Damit der «Flashback» möglichst authentisch würde, war den beiden kein Weg zu weit: Mit ihrem VW-Bus fuhren sie in neun Stunden nach Deutschland, wo Kollers Verwandte aus den umliegenden ­Brockenstuben die schmucksten Stücke zusammengetragen hatten. Rustikal durften die Möbel sein und heimelig. Etwas bieder – im besten Sinn.

Wie bei Oma oder eben beim Grossmami sollten sich ihre Gäste aber nicht einzig wegen der Einrichtung fühlen, sondern auch dank herzhafter Rezepte fernab von Low-Carb oder Preisen, die aus einer Zeit stammen, in der man den doppelten Espresso noch für etwas Münz erhielt, statt dass man 12.50 hinblättern muss (im wahrsten Sinn des Wortes), wie eine hässige Kundin jüngst einem Newsportal klagte.

Einen Kaffee trinken, etwas Leckeres schlemmen und dabei in bester Gesellschaft zusammensitzen. So sollten sich die Samstage idealerweise zutragen. Und tatsächlich bildeten sich über die Zeit mehrere Stammtische. Es gab Gäste, bei denen ein Blick genügte, weil die beiden Frauen genau wussten, wie sie ihren Kaffee am liebsten serviert erhielten – und in welcher Tasse (auch das Geschirr bestand ausnahmslos aus Unikaten aus dem Brockenhaus). Und manchmal stach sich der eine oder die andere ein Stück von der Quarktorte oder vom Streuselkuchen ab und sagte: «Das schmeckt ja wirklich wie damals bei meiner Grossmutter!»

In fünf Stunden 20 Franken verdient

So war das, wenn jemand ihre handgebackenen Schlemmereien vertilgte. Doch zum Bedauern von Steffi Koller und Gina Weibel kam das viel zu wenig vor: Von all dem, was die beiden Frauen an Süssem und Salzigem für ihre Gäste bereithielten, wurde kaum etwas konsumiert. So habe etwa das Kuchenbuffet zunächst aus vier Kreationen bestanden. «Mittlerweile sind es noch zwei», sagt Gina Weibel, «und nicht einmal diese werden wir los.» So luden die beiden Samstag für Samstag ihre Familien zu sich ein, damit die vielen Reste wenigstens nicht im Abfall endeten. «Letztlich ist uns beim Angebot nichts anderes übrig geblieben als reduzieren, reduzieren, reduzieren», resümiert Steffi Koller.

Es ist eine simple Rechnung: Wo Verkäufe ausbleiben, fehlen Einnahmen, um den Betrieb auf gesunde Füsse zu stellen. Kostendeckend sei ihr Kafi zwar gewesen, doch aber übrig blieb kaum etwas. Es kam vor, dass sie das Märtkafi öffneten, wenn nebenan eine Kulturveranstaltung stattfand – und in den nächsten fünf Stunden 20 Franken verdienten. So sei es eher ein «Kafi-Spilä» gewesen, ein Hobby. Seit Längerem arbeiteten beide nebenher wieder in ihren ursprünglichen Berufen.

Nach einer ehrlichen Standortbestimmung legten sie im Sommer bei der Stadtverwaltung Affoltern die Karten auf den Tisch: «Als ich unsere Kündigung über die Tischplatte schob, kamen mir die Tränen», erzählt Steffi Koller. Sie hätten sich den Entscheid nicht leicht gemacht, sagen beide.

Ganz aufgeben wollen die beiden ihren Traum vom eigenen Café noch nicht. Die Einrichtung werden sie vorläufig einlagern, bis die Zeit reif ist für ein neues Konzept. Bis dahin bieten die beiden auf Bestellung weiterhin Kuchen und Caterings an.

Und bis am 23. Dezember ist das Märtkafi ja noch offen: Glühwein und Guetzli gibt es zum Abschluss – und sogar noch eine Überraschung? «Wir lassen uns bestimmt noch etwas einfallen», verrät Gina Weibel, «auf jeden Fall gehen wir mit einem Bombenknall!»

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