«Es gibt Tage, da gelingt einfach alles»

Drei Tage nach dem Triumph in Paris stellte sich Boulder-Weltmeisterin Petra Klingler den Fragen des «Anzeigers»

Petra Klingler konnte im entscheidenden Moment ihre Bestleistung abrufen. (Bild David Schweizer, SAC)
Petra Klingler konnte im entscheidenden Moment ihre Bestleistung abrufen. (Bild David Schweizer, SAC)

«Anzeiger»: Petra Klingler, haben Sie schon realisiert, was Sie da geschafft haben?

Petra Klingler: Noch nicht ganz. Die Erinnerungen ans Finale sind ganz verschwommen. Das sind ganz grosse Emotionen. Ich habe es noch nicht geschafft, das Finale anzuschauen. Am Montag war bereits wieder Uni-Start. Ich lasse mir noch etwas Zeit.

Mit welchem Ziel sind Sie nach Paris gereist?

Ziel war das Finale. Ich wusste, dass ich das erreichen kann, ich wusste auch, dass ich die Fitness habe für einen Podestplatz. Damit das klappt, muss der Kopf bereit sein.

Im Finale habe ich gewusst: Jetzt ist alles möglich, das Ziel ist erreicht, jetzt kann ich nur noch gewinnen. Entsprechend locker bin ich an den Wettkampf gegangen, um mit Freude am Klettern das Beste herauszuholen. Trotz der Lockerheit konnte ich auch die Spannung halten. Der eigene Ehrgeiz wollte noch mehr.

«Im Finale hat der Körper das Steuer übernommen.»

Die WM war erstmals das grosse Ziel des Jahres, auf das ich hingearbeitet habe. Die Weltcups habe ich auf dem Weg dorthin mitgenommen und versucht herauszufinden, was es braucht. Im letzten Monat habe ich sehr viel und intensiv trainiert.

Wie haben Sie den Wettkampf erlebt?

Am Anfang war ich sehr nervös. Ich habe zwar gewusst, dass die Fitness da ist, aber man muss trotzdem jede Runde überstehen. Dar Halbfinal war dann sehr emotional. Ich bin zweimal zuoberst rausgefallen und habe mir gedacht: Wenn ich so weit komme, schaffen das andere auch und toppen. Im letzten Boulder konnte ich nochmals fokussieren und die ganze Leistung abrufen. Das hat ein emotionales Hoch ausgelöst. Ich war erleichtert und wusste: Jetzt kommt es auf die Leistungen der andern an. Bis zuletzt habe ich gezweifelt, ob es fürs Finale reicht.

Im Finale war das Selbstvertrauen dann gross. Der Körper hat das Steuer übernommen und ich war überrascht, wie leicht es mir fiel. An einzelne Bewegungen kann ich mich allerdings nicht erinnern. Ich war in einem «Flow». Es gibt so Tage, da gelingt einfach alles und man fühlt sich übermächtig.

Was war für Sie der Schlüsselmoment?

Den letzten Boulder habe ich ganz anders wahrgenommen als andere. Ein Zug hat mich selber überrascht. Es war eine riesige Erleichterung, als dann die ganze Spannung der letzten Tage wegfiel. Ich wusste nicht, wie gut ich gewesen war und dachte, mit Glück könnte es für Rang 3 reichen. Aber ich spürte eine grosse Zufriedenheit mit mir selber. Schon da hat mir der Trainer gratuliert und auch die Physios.

Die Stimmung war bombastisch. Weil alle drei Disziplinen am selben Ort ausgetragen wurden, waren enorm viele Zuschauer da. Und die haben realisiert, wie hart es ist und was wir Athleten leisten müssen. Das Publikum war fair und hat alle angefeuert.

Was haben Sie besser gemacht als die Konkurrenz?

Ich hatte den Kopf am richtigen Ort und habe vor Selbstvertrauen nur so gesprudelt. Ich wusste: Solange ich Freude habe, kann ich meine Leistung abrufen. Andere waren sicher nervöser.

«Es war unglaublich, wer mir alles geschrieben und gratuliert hat.»

Wann haben Sie gemerkt, dass es zum Titel reicht?

Als ich hinten meine Sachen gepackt hatte und fragte, ob ich zur Familie dürfe, hiess es: Nein, die Medaillenanwärter müssen bleiben. Da habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Vor dem entscheidenden Boulder der letzten Konkurrentin hat mich ein Funktionär gefragt, ob ich auf dem Bildschirm zuschauen wolle. Als sie es nicht geschafft hat, war es klar, aber bis ich die Bedeutung tatsächlich realisiert hatte, brauchte ich eine halbe Minute bis eine Minute.

Wie haben Sie den Titel gefeiert?

Gross gefeiert haben wir noch nicht, nur kurz angestossen: Am selben Abend ging es mit dem Zug zurück in die Schweiz. Heute (am Mittwoch, Anm. d. Red.) feiere ich mit der Familie, am Wochenende – dann ist bereits der nächste Wettkampf – mit den Athleten und auch mit dem Verband wird es ein Nachtessen geben.

Wie waren die Reaktionen in der Schweiz?

Es war unglaublich, wer mir alles geschrieben und gratuliert hat. Auch Athleten haben gesagt, sie würden es niemandem mehr gönnen als mir. Ehemalige Mitschüler aus Bonstetten und ehemalige Lehrer haben sich gemeldet – es ist schön, wer sich alles mit mir freut. Ich staune auch immer wieder, wie viele an den Säuliämtler Sports Awards für mich abstimmen.

Was ändert sich für Sie mit dem WM-Titel?

Das weiss ich selber nicht so genau. Ich hoffe, dass es dem Verband und dem Klettersport hilft, mehr Wertschätzung und mehr Fördergelder bringt. Persönlich hoffe ich, finanziell besser abgesichert zu sein und mehr aufs Klettern setzen zu können. Ich werde sicher weiterhin klettern.

Für Sponsoren sind Sie noch attraktiver geworden, hat sich schon etwas getan?

Ein bisschen, aber noch nicht gross. Die Möglichkeiten haben sich sicher verbessert.

Sportklettern wird ja nun olympisch, was bedeutet Ihnen das?

Noch weiss man nicht, wie selektioniert wird. Es ist vieles offen und es ist sicher eine grosse Entscheidung, ob man sich für vier Jahre verpflichten will. Ich habe mir dazu noch nicht so Gedanken gemacht. Aber das ist eine riesige Chance für uns Kletterer. Ich hoffe, dass die familiäre Atmosphäre unter den Athleten bestehen bleibt.

Was macht die Faszination des Sportkletterns und insbesondere des Boulderns aus?

Bouldern ist eine unglaublich abwechslungsreiche Sportart mit immer wieder neuen Bewegungen. Es ist taktisch, fordert Kraft, Explosivität, Beweglichkeit und Ausdauer.

Wird man Sie im Winter weiterhin beim Eisklettern sehen?

Sicher, vielleicht nicht mehr ganz so häufig. Viele Wettkämpfe sind ausserhalb von Europa und über den Winter ist es an der Uni streng. Ich will sicher an zwei, drei Weltcups dabei sein.

Interview: Thomas Stöckli

 

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