Fazit am ersten Tag des zweiten Lehrjahres
Serie «Start ins Berufsleben»: Alina Babula begann nach zwei Jahren in der Schweiz ihre Berufslehre

Am 24. Februar 2022 startete Russland die militärische Invasion in der Ukraine. Alina Babula hatte eben erfolgreich die Schule abgeschlossen und freute sich auf ihr Studium in Gastronomie und Hotellerie. Doch plötzlich änderte sich ihr Leben radikal: Der Vater musste zum Militär und in Kriegseinsatz, die Mutter floh mit ihr und ihrem Bruder in die Schweiz.
Alina Babula erzählt voller Dankbarkeit von der schulischen und beruflichen Förderung, die sie in der Schweiz erhielt. Vom Kanton wurde formuliert: «Den geflüchteten ukrainischen Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren stehen unterschiedliche Bildungsangebote wie der Einstieg in ein Berufsvorbereitungsjahr, der Besuch des Angebots START! Berufsbildung, eine Integrationsvorlehre, eine Berufslehre oder bei vergleichbarer gymnasialer Vorbildung eine Hospitation an einer Mittelschule zur Verfügung.» Alina Babula absolvierte verschiedene Integrationskurse, bekam Deutschunterricht und schloss diesen mit dem Telc-Deutsch-Zertifikat ab.
Lehrbeginn 2024
Den Berufswahlfindungsprozess hatte Alina Babula bereits in der Ukraine abgeschlossen: Ihr Ziel war die Welt der Gastronomie. Sie mag den Kontakt mit Menschen und ist eine geborene Dienstleisterin, welche die Bedürfnisse der Gäste aufmerksam wahrnimmt und selbstständig entsprechend handelt – dies bestätigt auch ihr Lehrmeister Philipp Karpf, Wirt im Restaurant Central in Affoltern.
Der Krieg hatte ihren Berufswunsch nicht verändert, aber den Weg zum Ziel verlängert. Scheu meint sie: «Ich bin im Vergleich mit anderen Lernenden alt.» Sie ist gerade mal 20!
Alina Babula wohnt mit Mutter und Bruder in Affoltern. Spontan bewarb sie sich im Central, durfte schnuppern und in Windeseile erledigte Philipp Karpf die nötigen Formalitäten. Es gilt: «Jugendliche mit Schutzstatus S können in der Schweiz eine Lehre anfangen und abschliessen, auch wenn der Bundesrat den Schutzstatus S vor Ende der Lehrzeit aufhebt. Der Lehrbetrieb muss den Lehrvertrag vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt genehmigen lassen und ist auch dafür zuständig, die nötige Arbeitsbewilligung beim Amt für Wirtschaft einzuholen.» Neben Alina Babula ist ein weiterer Ukrainer als Küchenchef im Central beschäftigt, andere stammen aus Deutschland, Kosovo, Italien und der Schweiz. Auch in der Berufsschulklasse, in der sich vier Frauen und zehn Männer auf den Abschluss vorbereiten, finden sich verschiedene Nationalitäten.
Nach einem Jahr
Alina Babula hat sich gut eingelebt und kein Problem, auch Dialekt zu verstehen. «Die Gäste sind verständnisvoll, wechseln oft ins Schriftdeutsche, wenn sie realisieren, dass ich noch nicht lange Deutsch sprechen kann», erzählt sie.
Philipp Karpf ist mit Herzblut Lehrmeister und Gastronom. Er bringt umfassende Erfahrung als gastronomischer Allrounder mit und gibt sein Wissen engagiert an die Lernenden weiter. Alina Babula hat besonders Spass am Mixen von Cocktails. Ihr Lehrmeister arbeitete als Betriebsleiter in der Cranberry Bar in Zürich und verfügt über einen Abschluss der European Bartending School in Kapstadt. Einer von Alina Babulas Lieblingsdrink ist der Flowerpower Spritz, der nach Lavendel, Rosen und Hibiskus duftet. Gekonnt mixt sie Eis, Sirupe, alkoholfreien Schaumwein und Waldbeerentonic, das dem Getränk eine lila-rosa Farbe verleiht. Und alles ohne einen Tropfen Alkohol, wie es die sportliche junge Frau schätzt. Sie besucht regelmässig ein Fitnesszentrum. Sie legt Wert auf gesunde Ernährung und lobt das Essen im Central.
Die Arbeitszeiten sind unregelmässig. Sie arbeitet auch abends und an Wochenenden, dafür hat sie unter der Woche jeweils zwei Tage frei. Ihr Arbeitsweg beträgt lediglich fünf Minuten – ein grosser Vorteil.
Das Leben in Affoltern gefällt ihr. In der Ukraine lebte sie mit ihrer Familie in einer ähnlich kleinen, eher ruhigen Stadt. Ihre Grosseltern leben noch dort, sie vermisst sie.
Die Berufsschule besucht sie gern, sie hatte schon immer problemlos und mit Freude gelernt. In der Klasse ist sie auch nicht die Älteste, zudem besuchen mehrere andere Ukrainerinnen und Ukrainer die Berufsschule.
Perspektiven
Alina Babula spricht leise, wirkt eher scheu – aber sie weiss, was sie will. Ganz bewusst hat sie intensiv Deutsch gelernt und bemüht sich, die Schweizer Kultur zu verstehen und sich anzupassen. Sie selbst befürchtete, keine Lehrstelle zu bekommen – doch überraschend schnell fand sie eine passende Stelle. Auch ihr Bruder bekam eine Woche vor Lehrbeginn eine Lehrstelle. Sie ist ehrgeizig und erklärt: «Ich habe die Möglichkeit bekommen, gebe mir Mühe und nutze meine Chancen.» Im Verlauf des ersten Lehrjahres ist ihr Selbstvertrauen gewachsen. Sie kann sich vorstellen, nach der Lehre die Berufsmatura anzupacken und in weiterer Zukunft selbst ein schönes Restaurant zu führen.
Auch von einem eigenen Hund träumt sie wieder – so wie früher in der Ukraine. Ob sie eines Tages zurückkehrt, ist offen. Ihre Lehre will sie auf jeden Fall in der Schweiz abschliessen. Philipp Karpf ist überzeugt, dass sie ihren Weg gehen wird: «Sie ist super in der Schule, fleissig, lernfreudig, ruhig, selbstständig und reif für ihr Alter. Das Team arbeitet gern mit ihr zusammen und die Gäste schätzen sie.»
Ein erstes Lehrjahr, das Mut macht – und Hoffnung gibt.