Ho ho holy shit!

Was in den Säuliämtler Stuben am 6. Dezember wirklich abgeht – ein Samichlaus packt aus

Samichlaus und Schmutzli in einem Wohnzimmer im Säuliamt. (Bild zvg)

«Mein erster Einsatz muss ungefähr im Jahr 2007 gewesen sein. Wie die meisten begann ich als Schmutzli. Da gibt es nicht allzu viel zu tun, ein bisschen brummeln, ein bisschen nicken und ab und zu eine Breitseite vom Samichlaus kassieren. Ideal, um reinzukommen. Zwei oder drei Jahre später wurde ich Chlaus.

Das Ganze läuft so: Wir sind in einem Dreier-Team unterwegs. Der Esel – so nennen wir unseren Fahrer – lädt den Schmutzli und mich im Quartier ab. Die letzten Meter laufen wir. Es wäre ein ungünstiger Start, wenn die Kinder sähen, wie wir aus dem Auto steigen. Als Erstes holen wir die Geschenke ab. Meist sind sie im Briefkasten deponiert. Dann verschaffen wir uns einen Überblick: Sind sie angeschrieben, oder erhalten alle das gleiche? Auch wichtig: Das Couvert mit dem freiwilligen Batzen der Eltern rausfischen, nicht dass es der Schmutzli aus Versehen an die Kinder weiterschenkt, wenn er den Sack ausleert. Gar nicht so einfach, das alles im Dunkeln zu meistern, sag ich euch! Der Samichlaus hat schliesslich keine Taschenlampe. Und ein Handy erst recht nicht; das bleibt im Auto. In meinen Anfängen trug ich es in der Hosentasche. Bis es mal mitten in einem Besuch vibrierte. Ungünstig!

Sie meinen es gut und platzieren den Chlaus neben dem Cheminée

Vor der Haustüre gibts eine letzte gegenseitige Kontrolle: Sitzt der Bart, lugen unter der Kapuze keine braunen, blonden, roten oder schwarzen Haare hervor? Wäre etwas seltsam bei einem alten Mann mit schneeweissem Bart, nicht? Ebenso weiss: die künstlichen Augenbrauen. Früher musste man die wiederholt andrücken oder ankleben. Der neue Leim hält besser. So gut, dass wir sie hinterher kaum wieder wegbringen.

Natürlich klingeln wird nicht an der Haustüre. Wir klopfen stilecht (ausser bei Glastüren, da ist Vorsicht geboten, sonst wirds teuer!) und bimmeln mit dem Glöcklein. Während des Besuchs darf eines der Kinder darauf aufpassen. Dieses Ritual hab ich mir eines Tages einfallen lassen ... Weil ich das Glöcklein ständig bei den Familien vergass.

Die Kinder reagieren ganz unterschiedlich auf den Samichlaus. Manche strahlen mich an und sind überhaupt nicht schüchtern. Andere sind überfordert oder haben Angst. Wenn sie bereits weinen, wenn wir zur Türe herein kommen, dann weiss ich: O-ooouu!

Ich erinnere mich an eine Familie, bei der die Kinder heulten wie am Spiess, als wir reinkamen. Es schien aussichtslos. Aber dann haben wir doch noch die Kurve gekriegt und am Schluss sogar zusammen Papierflieger gebastelt. Damit das gelingt, braucht es Fingerspitzengefühl. Ich passe meine Stimme an, damit sie weniger forsch klingt, oder ich schwäche manches, das im Sündenregister steht, ein bisschen ab. Mein Ziel ist es, dass die Kinder den Samichlaus in positiver Erinnerung behalten.

Manche blühen nach anfänglicher Zurückhaltung richtig auf, zeigen mir stolz ihre Spielsachen, stellen Fragen und erzählen. Die Freude der Kinder ist für mich das Schönste an der Chlaus-Arbeit.

So ein Samichlaus-Besuch hat auch etwas Intimes. Plötzlich steht man im Wohnzimmer einer fremden Familie. Es kam schon vor, dass Eltern uns Überschuhe hinlegten, damit der Fussboden sauber bleibt. Ich bin mal aus Versehen mit den dreckigen Schuhen über den hellen Teppich gelaufen. Auch das: ungünstig!

Die meisten Familien meinen es gut und platzieren den Samichlaus direkt neben das eingefeuerte Cheminée. Sieht bestimmt toll aus, ist für mich aber der Horror. Unter meinem Gewand schwitze ich schon genug. In solchen Fällen muss halt Schmutzli sich für das Team opfern und den Platz am Feuer einnehmen.

Wir stehen bei unseren Besuchen übrigens nie, sondern sitzen immer. Das ‹goldene Buch› mit dem Sündenregister ist zu schwer, um es zu halten und gleichzeitig darin zu blättern. Einmal wäre das fast schiefgegangen: Da schlich sich eines der Kinder von hinten an mich ran! Die Mutter konnte es im letzten Moment noch zurückpfeifen. Phu! Es wäre vermutlich entgeistert gewesen, dass der Samichlaus keine Handnotizen macht, sondern Computer-geschriebene Seiten in sein Buch einklebt...

Der Esel hat Bauchweh und Schmutzli hat die gleiche Schrift wie Mami

Das Wichtigste, was ein Chlaus können muss, ist Improvisation. Wenn die Eltern zu ihrem Kind sagen: ‹Will du de Nuggi abgeh hesch, bringt de Samichlaus es Gschänk›, muss ich sofort einhaken: ‹Dä Nuggi isch acho, dä Schmutzli hät en jetzt.› Hin und wieder übergeben die Kinder ihre Nuggi auch direkt uns. Manchmal sind das ganze Säcke. Mindestens einen legen wir später zurück in den Briefkasten. Für Rückschläge.

Am meisten Improvisation ist beim Esel gefragt, der von den Kindern Jahr für Jahr schmerzlich vermisst wird (also das Tier, nicht der schlotternde Fahrer im Auto): Darauf muss man vorbereitet sein! Mein Esel hat meistens Bauchschmerzen, weil er zu viele Guetzli gefressen hat. Oder er ist über einen Wurzelstock gestolpert und ist verletzt.

Apropos: Stolperfallen lauern überall: Es kam schon vor, dass wir in der Hitze des Gefechts vergassen, den beschrifteten Zettel abzunehmen, bevor wir das Geschenk dem jeweiligen Kind überreichten. ‹Der Schmutzli kann genauso schön schreiben wie dein Mami›, beschwichtige ich dann. Aber der Schaden ist natürlich angerichtet.

Es kam auch schon vor, dass drei Kinder vor mir sassen, mir aber nur für zwei davon ein Sündenregister geschickt wurde. Dann möchte der Schmutzli halt spontan kontrollieren, ob die Kinderzimmer aufgeräumt sind. Damit ich währenddessen bei den Eltern nachfragen kann.

Auch tricky: seltene Namen. Mädchen? Junge? Manchmal bin ich unsicher, und selbst von der Frisur lässt es sich natürlich nicht zuverlässig ableiten, das musste ich schon auf die harte Tour lernen. Dann tadeln plötzlich die Kinder den Samichlaus: ‹Das isch imfall min Brüeder und nöd mini Schwöschter!›

Wenn das Baby mit seinen Händchen nach dem Kunstbart greift

Die Klassiker, die Eltern uns fürs Sündenregister angeben: Räumt das Zimmer nicht auf, isst zu wenig Gemüse; streitet sich mit den Geschwistern. In seltenen Fällen gibt es Eltern, die nur negative, aber keine positiven Verhaltensweisen notieren. Dann erfind ich was! So viel Freiraum nehm ich mir.

Einmal war eine Familie der Meinung, Schmutzli und Samichlaus seien zu wenig streng gewesen. Also hat die Grossmutter die Kinder in die Küche zitiert und nochmals ‹zämegfräst›. Das fand ich des Guten deutlich zu viel!

Nach Lob und Tadel sagen die meisten noch ein Versli auf. Ich bin jedes Mal erleichtert, wenn es einer der Klassiker ist. Bei den anderen ist nicht so einfach zu erkennen, wann das Versli fertig ist und mein Klatscheinsatz gefragt wäre. Auch schon setzte ich zum Applaus an, als es still wurde. Dabei war die Darbietung nicht zu Ende: Das Kind grübelte nach der nächsten Strophe.

Nach der Geschenkübergabe gibts meistens noch ein Erinnerungsfoto. Einmal legte man mir ein Baby auf den Arm, damit alle Familienmitglieder auf dem Foto sind. Dieses Baby griff dann mit seinen Händchen intuitiv nach dem nächstbesten, was da war. Das war dummerweise mein Kunstbart.

Mit Sirup und Mineral muss dem Samichlaus keiner kommen

Die meisten bieten uns beim Empfang etwas gegen den Durst an. Wenn nicht, sage ich gelegentlich: ‹Isch aber rächt trocheni Luft da inne.› Die meisten verstehen den Wink. Es gibt Samichläuse, die sich einer strengen Null-Promille-Maxime unterwerfen. Ich seh das nicht so eng. Inzwischen bin ich mit allen (gebrannten) Wassern gewaschen:

Hahnenwasser ...

Mineral ...

Orangensaft...

Sirup...

...lasse ich diszipliniert an mir vorbeiziehen, wenn es offeriert wird. Wenn der Tee an der Reihe ist, nähern wir uns langsam an: Für einen kühlen Hopfentee bin ich zu haben.

Nebst Bier bin ich einem Schnäpschen nicht abgeneigt. Oder Rotwein – doch mit dem weissen Bart lässt man das besser. Darauf fallen nur Anfänger rein. Ich erinnere mich an eine Familie, die nur Rotwein zu Hause hatte und mir einen Babyschoppen füllte. Wie rücksichtsvoll! Etwas Zurückhaltung ist beim Alkohol dennoch angesagt: Sonst leidet irgendwann die Performance. Oder man wird flapsig und stellt den Kindern kurz, bevor man es geschafft hätte, noch die Killerfrage:

Habt ihr noch Fragen?

Glatteis, sag ich da nur! Natürlich haben sie noch hundert Fragen an den Samichlaus. Wer jetzt nicht improvisieren kann, ist geliefert!»