Leidenschaft zwischen Linse und Lerche
Wie Gianni Gliott vom Sportfotografen zum begeisterten Vogelbeobachter wurde

Eigentlich wollte Gianni Gliott nur bessere Sportfotos von seinem Sohn machen. Eine Kamera mit starkem Zoom sollte helfen, dynamische Unihockey-Szenen festzuhalten. Doch irgendwann fragte er sich: Was kann ich sonst noch fotografieren? Die Antwort flatterte ihm buchstäblich vor die Linse – Vögel. «Ich machte ein Foto und schickte es meinen Eltern, die beide den feldornithologischen Kurs absolviert hatten, um den Vogel bestimmen zu lassen», erinnert sich Gliott. «Das wurde dann aber mit der Zeit etwas mühsam.» Seine Frau hatte eine pragmatische Idee: Sie meldete beide zu einem Grundkurs in Ornithologie an. «Und da hat es mich richtig gepackt.»
Was als fotografisches Nebenprojekt begann, wurde schnell zur Leidenschaft. Nach dem Grundkurs folgten der feldornithologische Kurs (FOK), der erweiterte Lernkurs Ornithologie (ELK), der FOK 3 und verschiedene Spezialkurse. Heute leitet Gianni Gliott den Grundkurs des Natur- und Vogelschutzvereins Bezirk Affoltern (Nvba). «Ich hätte nie gedacht, dass mich das Thema so faszinieren würde», sagt er.
Vom Sehen zum Hören
Am Anfang stand für Gliott – als Fotograf naheliegend – das genaue Hinschauen: «Nur ein Vogel, den man sieht, ist ein guter Vogel», sagt er. Inzwischen denkt er anders: «Auch ein Vogel, den man hört, ist ein guter Vogel.» Das Gehör sei für die Beobachtungen fast wichtiger als das Auge. «Man hört, welcher Vogel im Gebüsch sitzt, und ob es sich lohnt, genauer hinzuschauen.» Doch selbst erfahrene Ornithologinnen und Ornithologen stossen an ihre Grenzen. «Warnrufe sind oft schwer zu unterscheiden.»
Heute helfen Apps beim Erkennen – eine moderne Ergänzung zur klassischen Feldarbeit. «Dank solcher Tools ist das Lernen viel einfacher geworden. Aber das Hören bleibt ein Bereich, in dem man nie auslernt.»
Faszination der Vielfalt
Ob stilles Beobachten in der Natur oder das Aufspüren seltener Arten – für Gliott hat beides seinen Reiz. «Früher bin ich viele Kilometer gefahren, um eine seltene Art zu sehen. Heute muss der Vogel mit dem E-Velo erreichbar sein.»
Die Freude liege längst nicht nur in der Seltenheit, sondern im Erleben selbst. «Auch auf einem Spaziergang rund ums Dorf gibt es schöne Beobachtungen. Es hängt einfach davon ab, wie viel Zeit man hat.»
Ein Vogel hat es ihm besonders angetan: der Pirol, ein leuchtend gelber Zeitgenosse, den man in der Schweiz nur selten antrifft. «Auf einer Exkursion des Grundkurses sahen wir ihn kurz zum ersten Mal. Später ging ich mit meiner Mutter nochmals dorthin – vergeblich. Ich fand zwar ein Nest mit einem «grünlichen» Vogel, behielt das aber vorerst für mich. Auf dem Rückweg sagte meine Mutter, das Weibchen des Pirols sei grün. Wir kehrten also um, fanden das Nest wieder – und tatsächlich: Es war ein weiblicher Pirol.»
Wer mit der Vogelbeobachtung beginnen möchte, braucht laut Gliott keine teure Ausrüstung – aber das richtige Werkzeug. «An einem guten Feldstecher führt kein Weg vorbei», sagt er. «Am besten leiht man sich im Bekanntenkreis ein Fernglas aus und probiert verschiedene Modelle aus.» Entscheidend sei, wofür man es nutzen will: «Geht man frühmorgens oder in der Dämmerung los, sollte das Glas lichtstark sein. Wer lieber wandert, achtet auf das Gewicht.» Für Einsteigerinnen und Einsteiger sei ein gutes Fernglas die einzige wirklich notwendige Investition – alles andere komme mit der Zeit.
Guter Vogelschutz fängt im Garten an
Neben der Beobachtung liegt Gliott auch der Schutz der Vogelwelt am Herzen. «Man kann viel bewirken – auch im eigenen Garten», sagt er. Nistkästen, einheimische Pflanzen und etwas Unordnung seien die besten Voraussetzungen. «Laub liegen lassen, vertrocknete Stauden stehen lassen – das bietet Futter und Schutz.» Ein Thema, das ihm besonders wichtig ist: Katzen. «Man sollte sie nicht frei jagen lassen. Sie sind für Singvögel eine grosse Gefahr.» Jede kleine Massnahme zähle, betont Gliott.
Vögel im Winter
Wenn die Tage kürzer werden, zieht es viele Vogelbeobachterinnen und -beobachter weniger oft hinaus ins Freie – zu Unrecht, findet Gliott. «Der Winter ist gar nicht schwieriger – nur kälter.» An Flüssen und Seen lassen sich zahlreiche Wintergäste entdecken: Enten, Taucher oder Rohrdommeln. «Im laubfreien Wald sind Meisen, Bergfinken oder Rotdrosseln gut zu sehen. Man muss sich einfach wärmer anziehen. Auch bei der Hilfe für Vögel im Winter plädiert er für Gelassenheit. «Oft ist das Beste, gar nichts zu tun. Beim Heckenschnitt höchstens ein Drittel zurückschneiden, damit Schutz bleibt.» Ein vogelfreundlicher Garten sei weit wertvoller als jede Futterstelle. «Und am See oder Fluss gilt Fütterungsverbot – das hat gute Gründe. Falsches Futter kann mehr schaden als helfen.»