Mutiger Neustart: Vom Auto zum Wein
Sabine Reber aus Stallikon ist ihrer inneren Stimme gefolgt und produziert nun alkoholfreie Weine

Auf den ersten Blick schien Sabine Rebers Weg wie eine klassische Erfolgsgeschichte im Konzern – Studienabschlüsse in General Management, eine vielversprechende Karriere bei Mercedes-Benz und eine glänzende Zukunft in Reichweite. Doch zwischen glänzenden Autos und beruflicher Stabilität wurde eine leise innere Stimme immer lauter. Es war nicht der Klang der Motoren, der ihre Seele bewegte, sondern die Sehnsucht nach Natur und Handwerk. Die innere Stimme wurde lauter und wuchs bald zu einer mutigen neuen Vision heran – nicht getrieben von Geschwindigkeit, sondern von der Beschaffenheit des Erdbodens, der Trauben und der Kunst der Neuschöpfung. Der Wunsch nach einem eigenen Unternehmen.
Diese Vision führte sie schliesslich aus der Welt der Konzerne hinaus – direkt in die Weinberge. Sie gründete Amesco, ein Start-up für alkoholfreie Weine mit Charakter – keine einfachen Imitate oder Traubensäfte, sondern sorgfältig entwickelte Getränke, die auf den Werten und der Komplexität des traditionellen Weinbaus basieren.
Diverse Vinifikationssysteme
«In meiner Freizeit habe ich oft Weingüter besucht, fasziniert von der Kultur und den verschiedenen Vinifikationsstilen. Es hat mich immer wieder erstaunt, wie zwei benachbarte Weingüter völlig unterschiedliche Weine hervorbringen können. Ich habe nach einem alkoholfreien Wein gesucht, der diese Kultur widerspiegelt – und nichts gefunden. Das war der Moment, der mich inspiriert hat, es selbst zu versuchen», erzählt Sabine, 35 Jahre alt und wohnhaft in Stallikon.
Was Sabine schon immer fasziniert und motiviert hat, ist die Herausforderung des scheinbar Unmöglichen. Viele Lebensmitteltechnologen und Ingenieure sagten ihr: «Was Sie versuchen, ist einfach nicht machbar.» Doch sie dachte: Wie kann das sein? Es muss doch einen Weg geben.
Und sie fand ihn. Über eineinhalb Jahre hinweg entwickelte Sabine ein Membranfiltrationsverfahren – eine schonende, nicht thermische Methode, die den Alkohol entfernt, ohne Aroma oder Struktur zu beschädigen. Im Gegensatz zur Vakuumdestillation kommt dabei keine Hitze zum Einsatz, wodurch die Frische und Identität des ursprünglichen Weins erhalten bleiben.
Kultur des Weinbaus
«Ich wollte nicht einfach einen weiteren alkoholfreien Wein herstellen, der versucht, wie echter Wein zu schmecken. Ich wollte eine Technologie entwickeln, die den Vinifikationsstil, die Qualität und die Kultur des Weinbaus respektiert», erklärt sie.
In Zusammenarbeit mit dem Bio-Winzer Roland Lenz, der in Thurgau ein eigenes Weingut besitzt, basierte Sabine ihre Produkte auf Piwi-Rebsorten – pilzresistent und ökologisch nachhaltig. Lenz war schnell überzeugt: «Als Sabine uns von ihrem Projekt erzählte, dachte ich sofort: Es gibt keine Zufälle. Ihre Begeisterung und ihr Optimismus, charaktervolle, entalkoholisierte Weine herzustellen, waren ansteckend. Unsere Erfahrung im Piwi-Weinbau und ihre technische Innovation – das passte perfekt zusammen», sagt Lenz.
Das Ergebnis ist eine wachsende Produktlinie: eine leichte, halbtrockene Cuvée aus dem Edelstahltank, ein Muscaris im Eichenfass mit Karamell- und Blütennoten sowie ein erfrischender Rosé aus Muscat Blanc und Cabernet Jura. Ein alkoholfreier Rotwein ist in Entwicklung.
Nun schlägt Sabine ein spannendes neues Kapitel auf – sie erweitert ihr Portfolio in Zusammenarbeit mit verschiedenen Weingütern aus den Weinregionen der Schweiz. Jede Partnerschaft bringt einen neuen Wein, ein einzigartiges Terroir, eine neue Geschichte und ein gemeinsames Bekenntnis zur Qualität mit sich. Wenn alles nach Plan läuft, werden bald sieben weitere charaktervolle alkoholfreie Weine die Amesco-Familie bereichern.
Sabines Mission geht weit über die Entwicklung alkoholfreier Weine hinaus – es geht ihr darum, die Seele des Weinbaus zu bewahren. Ihr Ziel ist es, das Wesen von Terroir und Tradition in ein neues, inklusives Genusserlebnis zu übertragen. «Ich versuche nicht, Wein zu ersetzen», erklärt Sabine. «Ich biete mehr Auswahl.» Für sie ist das kein Geschäft, sondern eine persönliche Überzeugung. «Wer keinen Alkohol trinkt, bekommt oft Saft oder Limo – das wirkt schnell wie eine Notlösung, fast schon ausgrenzend. Ich will das ändern. Ich möchte, dass sich Menschen gesehen, gefeiert und verbunden fühlen – mit einem schönen Glas in der Hand, das genauso dazugehört wie jedes andere», sagt Sabine.
Der skeptische Vater ist begeistert
Sabines Vater, ein lebenslanger Weinliebhaber, war zunächst skeptisch – bis sie ihm bei einer Blindverkostung ihr Produkt servierte. «Ja, ich war anfangs skeptisch – mit begrenzten Mitteln einen alkoholfreien Wein auf den Markt zu bringen, schien nahezu unmöglich», gibt ihr Vater Ulrich Reber zu. «Aber Sabine hat mich eines Besseren belehrt. Mit Beharrlichkeit, Kreativität und Mut hat sie ihre Idee in die Realität umgesetzt. Ihre Geschichte zeigt, dass Innovation auch als Quereinsteigerin möglich ist – besonders in einer Welt, in der Wissen nur einen Klick entfernt ist.» Sabine Rebers Geschichte ist mehr als ein beruflicher Neuanfang – sie ist eine Neuinterpretation von Sinn und Tradition. Ein Weg von Prestige zu Leidenschaft. Und sie erinnert uns daran, dass die fruchtbarsten Revolutionen oft ganz leise beginnen – mit dem Mut, der eigenen inneren Stimme zu folgen.