Seit 92 Jahren Generationen verbindend

Sommerserie «Bauten und Menschen»: Das Kinderfreundeheim Mösli am Üetliberg

Das «Mösli» wird primär für Feste und Lagerwochen gemietet. (Bilder Salomon Schneider)

Das «Mösli» wird primär für Feste und Lagerwochen gemietet. (Bilder Salomon Schneider)

Das Kinderfreundeheim ist ein schlichter, funktionaler Holzbau, der durch eine einmalige Lage am Üetliberg überzeugt.

Das Kinderfreundeheim ist ein schlichter, funktionaler Holzbau, der durch eine einmalige Lage am Üetliberg überzeugt.

Der Naturpool wurde schon beim Bau des «Mösli» angelegt. Ein Bach hält das Wasser auch ohne Chlor immer frisch.

Der Naturpool wurde schon beim Bau des «Mösli» angelegt. Ein Bach hält das Wasser auch ohne Chlor immer frisch.

Wer das «Mösli» vom Säuliamt aus erreichen will, steigt am besten in Gamlikon aus dem Postauto und macht sich auf einen sehr steilen Aufstieg bis kurz vor den Grat des Üetlibergs. Alternativ kann das Auto auch auf der Buchenegg abgestellt werden oder auch mit der Felseneggbahn ist das «Mösli» von Adliswil aus einfach erreichbar. Welcher Weg auch gewählt wird, unter 20 Minuten Fussweg ist das «Mösli» nicht erreichbar. Wer den Weg geschafft hat, wird von einer bezaubernden Lichtung begrüsst, die vom rot gestrichenen «Mösli» dominiert wird.

Das Haus bietet im ersten Stock vier Schlafzimmer für gesamthaft 30 Personen. Im Erdgeschoss befindet sich ein grosser, offener Aufenthaltsraum, in dessen Zentrum der grosse Kachelofen steht. Dieser wird von der angrenzenden Küche aus beheizt und ist in den kälteren Jahreszeiten immer noch die einzige Heizungsmöglichkeit im Haus. Heimwartin Marisol Keller: «Vor einigen Jahren haben wir die gesamte Aussenhülle isoliert. Seither lässt sich der Aufenthaltsraum im Winter ganz passabel heizen. Für die Schlafzimmer empfehlen wir aber natürlich trotzdem einen sehr warmen Schlafsack, gerade wenn die Temperaturen unter null Grad fallen.»

Der verrussten Stadt entkommen

Dieses Frühjahr wurde die Küche saniert und mit einer Gastrospülmaschine ergänzt. «Bei einem fast hundertjährigen Haus, das oft von Gruppen genutzt wird, gibt es immer etwas instand zu halten. Dies bietet immer auch die Chance, ­Modernisierungen umzusetzen», erzählt Marisol Keller.

Gebaut wurde das «Mösli» von 1932 bis 1934 im Auftrag der «Roten Falken» Zürich (siehe Kasten), die Kindern von Arbeiterfamilien die Chance bieten ­wollten, aus der verrussten Stadt hinauszukommen – gerade die Industriegebiete Zürichs verursachten viel Kohlerauch und auch fast alle Häuser wurden mit Holz beheizt. Über der ganzen Stadt lag vor allem im Winter und bei Windstille immer ein dichter Rauchnebel.

Die Hälfte der Baukosten konnten die «Roten Falken» durch eine Sammlung stemmen, der Rest wurde über eine Hypothek finanziert. Zudem führte die Zentralstelle für erwerbslose Jugendliche der Stadt Zürich in den Baujahren fünf Lager mit gesamthaft 150 jungen Erwachsenen durch, die zuerst die Strasse zum Mösli anlegten und anschliessend beim Aushub des Naturschwimmbads halfen – dieses existiert heute noch und erfreut sich im Sommer anhaltender Beliebtheit.

Optimal für Gruppen

Beim Hausbau setzte der Architekt der «Roten Falken» auf einen Holzständerbau, der es ermöglichte, den grossen Aufenthaltsraum freitragend zu bauen. Dieser Aufenthaltsraum ist bis heute Dreh- und Angelpunkt des Zusammenseins im Mösli. In einer Ecke spielen Kinder, an einigen Tischen werden ­Brettspiele oder ein Jass gespielt und in der Nähe der Küche steht immer etwas zu essen bereit, falls jemand Hunger kriegt.

Auch die Wiese vor dem Haus bietet viel Platz für Spiel und Spass und gerade für Kinder lädt der Wald zu Abenteuern ein. Am Abend versammeln sich alle um die Feuerstelle, es werden Würste gebraten und ab und zu macht eine Wachsbombe die Nacht zum Tag. Dazu wird eine Stahldose mit Kerzenwachs gefüllt und im Feuer erhitzt, bis das Wachs kocht. Dann wird eine zweite Stahldose an einer langen Stange befestigt und mit Wasser gefüllt. Wenn sich alle einige Meter entfernt haben, wird das Wasser in den kochenden Wachs geleert und es entsteht eine bis zu fünf Meter hohe Stichflamme.

Blick in die Zukunft

Das «Mösli» steht mitten im Naturschutzgebiet des Üetlibergs und könnte heute nicht mehr gebaut werden. Es ­gehört auch nicht mehr den «Roten ­Falken», sondern einer Stiftung, die mit dem Erhalt des Kinderfreundeheims ­betraut wurde, im Sinne der in den ­Falkenversprechen niedergelegten Ideale. Zudem gibt es einen Verein Freundeskreis Mösli.

Marisol Keller: «Das Mösli ist auch heute noch eine einmalige Oase, die ­Gemeinschaft, Entschleunigung und das Zusammenkommen verschiedener ­Generationen ermöglicht. Ich bin überzeugt, dass es auch für meine Kinder und ihre Kinder noch ein Rückzugs- und Kraftort sein wird.»

Die Roten Falken

Die Roten Falken sind eine sozialistische Jugendorganisation, die vor 101 Jahren in Bern gegründet wurde. Ziel war es, dass Kinder von Jugendlichen mit sozialistischen Erziehungskonzepten erzogen wurden, während die Erwachsenen eine begleitende Funktion haben. Ähnliche Konzepte, jedoch auf militärischer Basis haben die Pfadfinder – gegründet 1907 – und die katholische Jungwacht-Blauring – gegründet 1932.

Die Gründerin der Roten Falken – damals unter dem Namen Kinderfreunde – Anna Klawa-Morf ging davon aus, dass eine Erziehung zu Sozialismus und Solidarität im Erwachsenenalter zu spät sei, wenn royalistische oder kapitalistische Konzepte in den Köpfen bereits festgefahren sind. Aufgrund der guten Vernetzung der Sozialisten in der Schweiz entstanden innerhalb weniger Monate auch in den Industriestädten Zürich, Basel, Burgdorf und Winterthur Sektionen der Kinderfreunde. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es 40 Sektionen schweizweit; geblieben sind heute noch die Sektionen in Zürich und Bern.

Die ­Aktivitäten der Roten Falken sind Gruppenstunden und Lager, wie bei anderen Jugendorganisationen. Der Wahlspruch heisst Freundschaft. Ziel der Roten Falken heute ist es, Kinder in der Gemeinschaft der Gruppe zu solidarischem, kritischem und ökologischem Denken und Handeln anzuregen. Die Gruppenstunden finden samstags, um 13.30 Uhr, auf der Josefswiese in Zürich statt.

Infos: www.zuerich.rotefalken.ch