«Eine gute Demokratie lebt vom Wettstreit der Ideen und Meinungen»

In seiner Rede zum Geburtstag der Schweiz lieferte SVP-Nationalrat Claudio Zanetti in Bonstetten ein Plädoyer für die freie Meinungsäusserung und übte auch leise Kritik an der eigenen Partei. Abstimmungskämpfe verkämen immer mehr zu wüsten Schlachten, bei denen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstünden.

Nationalrat Claudio Zanetti zeigt die Grösse der Schweiz. (Bild Martin Platter)
Nationalrat Claudio Zanetti zeigt die Grösse der Schweiz. (Bild Martin Platter)

Claudio Zanetti hatte einen schweren Stand, gegen den Lärm in der grossen Halle anzureden. Der Gemeinderat Bonstettens hatte bereits am 31. Juli auf dem Bauernhof der Familie Weiss ins Dachenmas geladen, wo schon in den letzten Jahren die Bundesfeiern abgehalten wurden. Gemeindepräsident Frank Rutishauser, seit drei Monaten im Amt, begrüsste die Anwesenden gut gelaunt, nachdem der Musikverein Bonstetten den Abend feierlich eröffnet hatte.

In seiner Rede stellte der von der FDP zur Schweizer Volkspartei konvertierte Zanetti fest, dass die Eidgenossen seinerzeit wohl kaum einen Staat gegründet hätten, um eine Adresse zu haben, wohin die Steuern geschickt werden können.

Es sei darum gegangen, dass man sich im Falle drohender Gefahr gegenseitige Hilfe zusicherte. «Jeder Einzelne hatte einen handfesten Vorteil vom Bündnis, das vor 726 Jahren auf dem Rütli geschlossen wurde», erklärte Zanetti. Das Konzept «Einheit in der Vielfalt» unter Wahrung der Unabhängigkeit sei die Grundlage unseres föderalistischen Staatsaufbaus. So stehe es bis heute im Zweckartikel der Bundesverfassung.

Entscheide breit abstützen

Bei aller Vielfalt verbinde uns die Liebe zur Schweiz: «Wir feiern nicht, weil wir uns einer bestimmten Ideologie verbunden fühlen, sondern weil uns die Staatsidee gefällt. Eine Demokratie lebt vom Wettstreit der Ideen und Meinungen.» Diese sieht Zanetti in Gefahr. Er sagte: «Die direkte Demokratie droht nachhaltig Schaden zu nehmen. Deren Grundgedanke besteht nicht darin, so lange abzustimmen, bis man das gewünschte Resultat hat. Es geht darum, einen Entscheid möglichst breit in der Bevölkerung abzustützen.» Die Minderheit habe sich dabei der Mehrheit zu fügen.

Die Abstimmungskämpfe in den letzten Jahren seien jedoch oft zu wüsten Schlachten zweier Lager verkommen, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Das sei keine gute Entwicklung. So bestehe die Gefahr, dass das Trennende stärker werde als das Einigende – dabei sollte es gerade umgekehrt sein. Eine funktionierende Demokratie ertrage in der Sache zwar harte Auseinandersetzungen. Niemals jedoch sollte dem Gegenüber die Liebe zur gemeinsamen Heimat abgesprochen werden.

Zanetti ging mit der leisen Kritik auch an der eigenen Partei noch weiter: Man solle nicht mit Feindbildern arbeiten und aufhören, dem politischen Gegner Etiketten anzuhängen, die es verunmöglichten, ohne Gesichtsverlust wieder zusammenzuarbeiten. Er kritisierte auch die Medien und staatliche Bildungseinrichtungen: «Es sollte nicht sein, dass sich Bundesräte von bestimmten Medien feiern lassen, kritischen Medien jedoch konsequent das Gespräch verweigern; dass unliebsame Referenten an der Uni Zürich niedergeschrien und an Auftritten gehindert werden.» Zanetti plädierte für die freie Meinungsäusserung: «Gewisse Meinungen sollten nicht a priori als moralisch richtig gelten und Andersdenkende als Unmenschen behandelt werden.» Als Beispiel erwähnte der 50-Jährige Jurist die Debatte «Ehe für alle». Persönlich habe er ein unverkrampftes Verhältnis zur Vorlage; er könne verstehen, dass jemand ein Recht einfordere. Doch dies geschehe mittlerweile mit einer Militanz, dass sich viele nicht mehr getrauten, eine abweichende Meinung zu äussern. Die sozialen Medien verschlimmerten die Situation.

Grenzen, die nicht verhandelbar sind

Dasselbe gelte auch für den Umgang mit anderen Religionen, etwa dem Islam. Jeder dürfe hierzulande glauben und anbeten, was und wen er wolle. «Wenn er allerdings beginnt, aus den eigenen Wertvorstellungen Verbote für mich abzuleiten, ist Schluss mit lustig. Denn damit wird eine Grenze übertreten, die nicht verhandelbar ist.» Zanetti forderte: «Wir müssen auf der Hut sein, wenn jemand unter dem Deckmantel der ‹politischen Korrektheit› versucht, unser Denken zu verändern. Wenn der lautstark eingeforderten ‹Toleranz› mit intoleranten Mitteln Nachdruck verliehen wird.»

Im Feldversuch habe die Schweiz bewiesen, dass ein System, das unterschiedlichste Ideen, Traditionen, Ansichten und lokale Begebenheiten in sich vereint, erfolgreich funktionieren kann. Föderalismus sei gelebte Toleranz und Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung der Bescheidenheit und Zurückhaltung. Eine Geisteshaltung, die davon ausgehe, dass es in vielen Fragen wohl keine absolute Wahrheit gebe.

Zanetti schloss mit einem Zitat von Gottfried Keller aus dem «Fähnlein der sieben Aufrechten» und bekam von den Zuhörern Applaus und von Frank Rutishauser das Buch «Bonstetten kocht». Der Gemeindepräsident landete damit einen Volltreffer – Zanetti outete sich als begeisterter Hobbykoch.

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