«Irgendwann sagte ich mir: Okay, Eveline, du brauchst jetzt wirklich Freunde!»

Eveline Furters Start ins Auslandsjahr in den USA verlief durchmischt – wie lautet ihr Fazit kurz vor der Heimreise?

Eveline vor dem Abschlussball, der in Amerika «Prom» genannt wird. (Bilder zvg)

Eveline vor dem Abschlussball, der in Amerika «Prom» genannt wird. (Bilder zvg)

Eine traditionelle Blumen-Corsage fürs Handgelenk durfte am Abschlussball nicht fehlen.

Eine traditionelle Blumen-Corsage fürs Handgelenk durfte am Abschlussball nicht fehlen.

In den Ferien hat Eveline mit ihrer Gastfamilie Disney-World 
in Florida besucht.

In den Ferien hat Eveline mit ihrer Gastfamilie Disney-World in Florida besucht.

Bis vor einigen Monaten kannte Eveline Furter, aufgewachsen im beschaulichen Affoltern, die USA vor allem aus den sozialen Medien. Das lässige Highschool-Leben, die pompösen Schulbälle, die ekstatischen Footballspiele. Mit jedem neuen Bild auf Instagram und Co. erlag Eveline den Verlockungen des «American Way of Life» ein Stückchen mehr. Es schien, als tippe Uncle Sam mit seinem Zeigefinger bei jedem Werbespot direkt auf sie.

I want you!

Es wirkte. Amerika kriegte auch Eveline. Ende Juli kam sie bei ihrer Gastfamilie in Hollingshed an, einer kleinen Ortschaft im Bundesstaat Georgia. Drei ­Monate später berichtete sie im «Anzeiger» ein erstes Mal aus ihrem neuen ­Leben als Austauschschülerin: Begeistert war Eveline von der Highschool. Mit den Spinds, dem Campus, den freitäglichen Footballspielen und den Herbst- und ­Abschlussbällen war der Alltag tatsächlich so, wie ihn Eveline sich vorgestellt hatte.

Anderes dagegen entsprach weniger ihren Vorstellungen oder Erfahrungen: In der Familie vermisste sie im Alltag die Gespräche und manchmal auch die ­Zuneigung, wie sie es von ihren Eltern gewohnt war. Der Lebensstil mit viel Fast Food war ihr fremd. Hinzu kam wenig Bewegung: Selbst in die Schule kutschierte die Gastmutter sie am liebsten mit dem Auto, obwohl Eveline die paar hundert Meter gerne gelaufen wäre.

Am einschneidendsten war aber die soziale Komponente: In den ersten drei Monaten hatte Eveline noch keine Leute kennengelernt, die sie als Freunde hätte bezeichnen können. Erschwerend kam hinzu, dass das ÖV-Netz an ihrem Wohnort schlecht war, sodass sie ständig auf die Fahrdienste ihrer Gastmutter angewiesen war. Die Zeit nach der Schule verbrachte Eveline deshalb meistens zu Hause. «Ich wünschte, es hätte mir jemand gesagt, dass man am Anfang recht alleine ist», bilanzierte sie. Hin und wieder wurde die 16-Jährige damals von Heimweh geplagt.

Den Freundeskreis bewussterauswählen

Mitte April, wenige Wochen vor ihrer Rückreise in die Schweiz, berichtet Eveline dem «Anzeiger» noch einmal, wie es ihr seither ergangen ist. «Mein Alltag ist noch gleich», sagt sie zunächst, wobei sich im Gespräch zeigen wird, dass das so nicht ganz stimmt: Bis Ende März war ihre Freizeit nach der Schule ausgefüllt von Fussballtraining. Für die erste Mannschaft hat es zwar erneut nicht gereicht (im Herbst war es ihr beim Volleyball gleich ergangen), doch immerhin durfte Eveline die Vorbereitungszeit mitabsolvieren. Sechs Wochen jeden Tag Training und am Wochenende Match. «Krass» findet es Eveline, welchen Stellenwert dem Sport an amerikanischen Highschools zukomme. «Die nehmen das alles mega ernst.»

Im Training gelang es Eveline, weitere Kontakte zu knüpfen. Das hatte sie im Herbst zu einer ihrer dringlichsten Prioritäten erklärt: «Irgendwann sagte ich mir: Okay, Eveline, du brauchst jetzt wirklich Freunde!» Und siehe da: Eines Novembertages setzte sich Genesis in der Schule neben Eveline – und blieb. Seither sind sie beste Freundinnen und treffen sich regelmässig auch ausserhalb der Schule.

Genesis war es auch, die Eveline nun mitnahm, wenn ihre Familie ein Footballspiel besuchte oder einen Ausflug an den Weihnachtsmarkt machte. So wurden die Adventstage für Eveline zur schönsten Zeit, die sie in ihrem Auslandsjahr erlebte.

In den vergangenen Monaten hat Eveline auch ein paar vermeintliche ­Gewissheiten über Freundschaften revidiert: «In der Schweiz hat sich mein Freundeskreis in den letzten Jahren kaum verändert. Die meisten kenne ich seit meiner Kindheit», sagt sie. In den USA sei mehr Eigeninitiative nötig, was ihr auch ermögliche, bewusster auf Leute zuzugehen, die ihr sympathisch sind. Gleichzeitig hat sich nicht jede Freundschaft in der Schweiz so entwickelt wie erwartet: «Es gab Freunde, die mir in der Schweiz sehr nah standen, in Amerika aber kaum noch präsent waren. Und andere, die ich bis dahin eher als Bekannte gesehen hatte, schrieben mir nun jeden Tag oder schickten Postkarten, sodass zwischen uns in den vergangenen Monaten eine Freundschaft entstanden ist.»

Über ihren Freundeskreis und darüber, wie sie den Anschluss wieder findet, macht sich Eveline momentan viele Gedanken: Während ihre Kolleginnen aus der Sek im vergangenen Sommer ins Berufsleben gestartet sind, hat Eveline diesen Schritt erst noch vor sich. Anfang August beginnt sie eine Lehre als Tiermedizinische Praxisassistentin.

Chlorfreies Wasser und Schlussmit Elterntaxi

Anfang Juni wird Eveline von ihrem Vater abgeholt, dann unternehmen die beiden vor der Abreise einen dreiwöchigen Trip quer durch die USA. «Wie richtige Touristen», lacht sie. Zurück in der Schweiz freut sich Eveline auf Dinge, die hierzulande als Selbstverständlichkeit gelten: Sie will Wasser vom Hahn trinken, das nicht nach Chlor schmeckt und Brot essen, das diesen Namen auch verdient. Sie will wieder den Bus nehmen und in die Berge fahren, obwohl sie sich bisher nicht unbedingt so als «Bergmensch» gesehen habe.

Sie sei in Amerika viel selbstständiger geworden, sagt Eveline. Am prägendsten sei aber die Erkenntnis gewesen, dass vermeintliche Enttäuschungen letztlich immer für etwas gut gewesen seien: Mit der ersten Fussballmannschaft hat es nicht geklappt, dafür konnte sie in der spielfreien Zeit nach Florida. Am Lieblingskurs in der Schule konnte sie nicht teilnehmen, doch im Ersatzkurs lernte sie Genesis, ihre neue beste Freundin kennen.

Würde Eveline sich noch einmal für ein Auslandsjahr entscheiden? Da muss sie nicht lange überlegen: «Auf jeden Fall!»

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