Ringer-Zwillinge mit hohen Zielen

Sie gleichen sich wie ein Ei dem andern, sie treiben denselben Sport und hegen beide grosse Ambitionen: Die Zwillinge Nils und Nino Leutert streben die erste Medaille an einer EM oder WM an. Ihr Fernziel ist Olympia 2024.

An der Farbe ihrer Ringertrikots kann man sie unterscheiden: Die Ringerzwillinge Nino (in rot) und Nils Leutert (in blau). (Bilder Stefan Schneiter)

An der Farbe ihrer Ringertrikots kann man sie unterscheiden: Die Ringerzwillinge Nino (in rot) und Nils Leutert (in blau). (Bilder Stefan Schneiter)

Wenn seine Söhne ringen, ist Vater Marcel Leutert ganz besonders angespannt.

Wenn seine Söhne ringen, ist Vater Marcel Leutert ganz besonders angespannt.

Sie sind erst 22-jährig, doch zusammen haben sie schon elf Schweizer Meister-Titel gewonnen: Nils holte den Titel viermal bei den Junioren, zweimal bei den Aktiven, Nino viermal bei den Junioren und einmal bei den Aktiven. Ihre ersten Titel gewannen sie 2016. Inzwischen sind sie in ihrem Verein, der Ringerstaffel Freiamt, von den «Leistungsträgern» und «Erfolgsgaranten», wie sie in den Medien betitelt werden, schon zu Kaderringern von Swiss Wrestling und damit zu den grossen Hoffnungsträgern im Schweizer Ringsport herangereift.

Die beiden Brüder trainieren in der Halle der RS Freiamt im aargauischen Aristau. Geboren und bis heute wohnhaft sind sie aber in Ottenbach, von wo es nur einen Katzensprung nach Aristau ist. Ihr Talent haben sie quasi in die Wiege gelegt bekommen; von ihrem Vater Marcel Leutert. Der 48-jährige Landwirt, der in Ottenbach einen Ackerbau-Biohof führt, war selber 18 Jahre lang aktiver Ringer und wurde fünfmal Zweiter an Schweizer Meisterschaften. «Der einzige in der Familie, der nicht Schweizer Meister ist», wie Marcel Leutert mit einem scherzhaften Bedauern sagt, «doch am Familientisch, wo Ringen immer und eigentlich das einzige Thema ist, reden wir nicht darüber». Nach seiner Ringerkarriere wurde er 2006 Trainer beim Nationalliga-A der Freiämter und ist dies seit einer Auszeit seit 2019 wieder. Als die Zwillinge dreijährig waren, brachte der Vater eine 2 x 2 m grosse Matte nach Haus. «Da rangen die beiden Stöpsel schon mit- und gegeneinander», erzählt Marcel Leutert. Mit sechs Jahren traten Nils und Nino Leutert in die RS Freiamt ein, als «Piccolos» und bestritten kurz darauf, mit gerade mal 16 ½ kg Gewicht auf der Waage, ihren ersten Wettkampf. «Beim ersten Nachwuchsturnier, das wir bestritten, hatten wir extrem viele Gegner, doch mein Bruder und ich wurden Erster und Zweiter», erinnert sich Nils zurück.

Die Hälfte des Jahres im Ausland

Inzwischen sind die beiden Halbprofis. Nils arbeitet im Sommer auf dem elterlichen Hof in Ottenbach als Landwirt, im Winter als Aushilfe bei der Heizungsfirma Pelletmobil in Mühlau. Nino ist im Stundenlohn als Sanitärinstallateur angestellt bei der Firma Ritschard AG in Ottenbach, die ihn in seiner Karriere als Ringer mit flexiblen Arbeitszeiten grosszügig unterstützt. Bis zu zehnmal die Woche trainieren die beiden: täglich ausser Mittwoch und Sonntag, zweimal täglich, morgens und abends.

Als Angehörige des Nationalkaders sind sie 150 bis 200 Tage pro Jahr im Ausland unterwegs, vornehmlich in Trainingslagern in Osteuropa, in Polen, Moldawien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien bis hin nach Aserbaidschan, in Ländern, in denen das Ringen zu Sowjetzeiten Sportart Nr. 1 war und noch heute einen hohen Stellenwert hat.

Nils und Nino ringen in unterschiedlichen Klassen, Nino in der zweitkleinsten Gewichtsklasse (bis 61 kg), Nils in der untersten Gewichtsklasse (bis 57 kg). Zumindest treten sie so bei internationalen Turnieren an. Bei nationalen Wettkämpfen ringen beide je eine Gewichtsklasse höher, was zwar im Ringen kein Vorteil ist, da jeder Ringer versucht, das zulässige Gewicht in seiner Klasse möglichst auszuschöpfen. Doch sind die beiden dadurch nicht gezwungen, sich dauernd auf das zulässige Wettkampfgewicht «herunterzuhungern», was bei einem aktuellen Gewicht von 66 kg (Nils) respektive 63,5 kg (Nino) keine einfache Sache ist und an der körperlichen Substanz zerrt.

Die Bulldogge und der Taktiker

Sparringkämpfe untereinander bestreiten die Brüder kaum noch. Als sie klein waren, taten sie das oft, vielleicht zu oft. «Mit der Zeit hatten wir genug davon. Heute gehen wir uns kämpferisch eher aus dem Weg», sagt Nino. «Gegen den eigenen Bruder kann man nicht voll ringen.»

Vom Kampfstil her unterscheiden sich Nils und Nino. «Nils ist die Bulldogge, ein richtiger Fighter, ein Offensivringer», beschreibt Vater Marcel seine Söhne, «Nino dagegen ist eher der Taktiker, der gut von der Defensive in die Offensive umstellen kann. Diese Neigung hat sich bei beiden schon von klein an abgezeichnet.»

Wenn Nils sagt, im Freistilringen gehörten sie in ihren Gewichtsklassen zu den Besten der Schweiz, so mag das unbescheiden tönen, entspricht aber der Realität. Entsprechend hoch setzen sich die Brüder ihre Ziele. Ihr Fernziel ist Olympia 2024 in Paris. Die Latte liegt allerdings hoch. Dazu müssen sie neben einem aufwendigen Qualifikationsverfahren an der Weltmeisterschaft 2023 unter die Top 5 kommen und zudem können bei Olympia nur acht Teilnehmer aus Europa an den Start gehen. «Es muss vieles zusammenstimmen, dass es klappt», meint Nino und relativiert die eigenen Ansprüche: «Neben Olympia ist der Gewinn einer Medaille an einer EM oder WM ein mindestens ebenso grosses Ziel für uns.» Die nächste Chance dazu bietet sich an der U-23-WM in Serbien Anfang November.

Und noch ein weiteres Ziel ist für die nahe Zukunft gesetzt: Der Schweizer Mannschaftsmeistertitel mit dem Team Freiamt. Die Aussichten stehen nicht schlecht. Die letzten zwei Jahre landete RS Freiamt auf dem 2. Platz hinter Willisau, im vergangenen Jahr fehlte nur ein winziger Punkt zum Titelgewinn. Diese Woche beginnt die Rückrunde der Meisterschaft, die bis Weihnachten entschieden wird. Die RS Freiamt liegt in aussichtsreicher Position auf dem zweiten Platz – einen Punkt hinter…Willisau.

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