Laufen im Backofen der Sahara

Anfang Oktober ist Beat Fraefel von Affoltern nach Marokko gereist, um am Marathon des Sables in sieben Tagen rund 250 Kilometer durch die Wüste zu laufen. Er hat sich minutiös vorbereitet – doch Temperaturen von 56 Grad brachten seinen Körper an den Anschlag.

Der 62-jährige Beat Fraefel aus Affoltern war in Marokko mit am Start.

Der 62-jährige Beat Fraefel aus Affoltern war in Marokko mit am Start.

Der Massenstart, morgens um 9 Uhr.

Der Massenstart, morgens um 9 Uhr.

Die Route führte rund 250 Kilometer über die Dünen der Sahara.

Die Route führte rund 250 Kilometer über die Dünen der Sahara.

Geschafft! Beat Fraefel mit der Medaille. (Bilder zvg.)

Geschafft! Beat Fraefel mit der Medaille. (Bilder zvg.)

Seit anderthalb Tagen ist Beat Fraefel wieder in Affoltern, als wir am vergangenen Mittwochmorgen miteinander telefonieren. Am Montagabend gegen 21 Uhr ist er in Kloten gelandet. Er fühle sich gut, sagt er nach der Begrüssung, am Anfang eines zweistündigen Gesprächs, in dessen Verlauf deutlich wird, dass Beat Fraefel am Marathon des Sables eine intensive Zeit durchlebt hat.

«Ich habe gedacht, im Zentrum des ­Marathon des Sables stehe das Laufen. So war es nicht. Im Zentrum stand die Hitze. Es war ein Kampf gegen die Temperatur.»

Am Freitag, 1. Oktober, landete Beat Fraefel in Marokko, am Flughafen von Errachidia. Mit einem Bus wurde er ins Vorbereitungs-Camp gefahren. Bis zum Start des Rennens am Sonntagmorgen hatte er zwei Tage Zeit, um sich ein­zuleben und die anderen Läuferinnen und Läufer kennenzulernen. Darunter waren auch elf aus der Schweiz, mit fünf von ihnen teilte er sich in den kommenden Tagen ein halboffenes Beduinen-Zelt.

«Die erste Nacht war speziell. Es windete stark, am Morgen lag ein feiner Sandschleier auf meinem Körper, in meinem Mund knirschte es. ‹Unter diesen Bedingungen verbringst du die nächsten Tage›, dachte ich. Die Temperaturen nachts waren angenehm – wärmer, als gedacht. Doch am Tag war die Hitze gewöhnungsbedürftig. 45 Personen brauchten noch vor dem Start medizinische Hilfe – wegen Dehydrierung. Mir ging es körperlich gut, doch kurz vor dem Start wurde es brenzlig: Als ich meinen Rucksack schliessen wollte, brach der Reissverschluss entzwei. Zum Glück hatte ich Nadel, Faden und Sekundenleim dabei und konnte improvisieren.»

Die erste Etappe führte 31 Kilometer über Sand und Dünen. Unterwegs gab es zwei sogenannte «Check-Points», an denen die Läuferinnen und Läufer ­Wasser erhielten und sich ausruhen konnten. Sie alle trugen einen GPS-Peilsender auf sich. Über diesen liess sich ein Notruf absetzen, der direkt bei den zwei Helikoptern einging, die während des Rennens einsatzbereit waren.

«Ich sah die Helikopter während der ersten Etappe häufig in der Luft. Mich wunderte das, doch ich konzentrierte mich auf mein Tempo. Es lief gut, bis ich am zweiten Checkpoint einen Fehler machte. Um Gewicht zu sparen, beschränkte ich mich auf eine ­Anderthalb-Liter-Flasche Wasser. Am Nachmittag wurde es extrem heiss, ich trank immer kleinere Schlucke, bis ich nicht mehr konnte und mich ein paar Kilometer vor dem Ziel unter einen Busch legen musste. Die Laufzeit wurde irrelevant, mein Ziel war, mich irgendwie im Rennen zu halten. Schliesslich erreichte ich das Camp, wo man mir sagte, es seien heute 56 Grad gemessen worden. Erst da wurde mir bewusst, wie heiss es tatsächlich war – und wie viele Läuferinnen und Läufer fehlten. Mehr als fünfzig gaben unterwegs auf oder wurden aus dem Rennen ­genommen.»

In der Nacht auf Montag kämpfte Beat Fraefel mit Blähungen, musste sich übergeben. Der zweite Lauftag wurde noch viel zäher, wie er am Telefon schildert. Wieder war es ausserordentlich heiss, er musste unverhofft Pausen einlegen, was ihn Zeit kostete. Gemeinsam mit einer Amerikanerin, die unterwegs ebenfalls zu kämpfen hatte, erreichte er das Camp – 15 Minuten bevor das Ziel geschlossen wurde.

«Als wir eintrafen, war es gegen 20 Uhr und bereits dunkel. Ich erfuhr, dass es einen Todesfall gegeben hatte. Die Nachricht verbreitete sich rasant: Ein Läufer hatte unterwegs einen Herzstillstand erlitten, die Hilfe aus der Luft war zu spät gekommen. Meine Zeltgenossen hatten sich grosse Sorgen um mich gemacht, und als ich ihnen sagte, dass ich die Etappe gerade noch so geschafft hatte und weiter dabei sei, antworteten sie: ‹Wir steigen aus.› Das war ein trauriger Moment für mich. Bis dahin waren wir in unserem Zelt noch zu fünft gewesen, nun schlief ich dort allein – auf der Matratze, die mir ein Kollege nach seinem Ausscheiden geschenkt hatte. Meine war in der zweiten Nacht kaputt ­gegangen.»

Auf die dritte Etappe am Dienstag bereitete sich Beat Fraefel vor, wie er das jeden Morgen tat. Um sechs Uhr wachte er auf, geweckt vom Lärm, um sich in aller Ruhe dem Frühstück – Porridge, Pulver-Cappuccino und Trockenfleisch – der Rennvorbereitung und der Körperpflege zu widmen. Mit am wichtigsten war Beat Frafel dabei die Fusspflege. Seine Fettcrème, die er täglich einrieb, bewahrte ihn vor Blasen. Sein Material, das er mitgenommen hatte, um die Füsse zu verarzten, überliess er anderen Läufern.

In diese dritte Renn-Etappe wurden die Teilnehmenden nicht mit dem Klassiker «Highway to Hell» entlassen. Zu Ehren des Verstorbenen wurden eine ­Gedenkminute abgehalten und eine Startzeremonie durchgeführt.

«Da flossen Tränen, diese Minuten waren ergreifend. Auch später an jenem Tag erging es mir ähnlich. Nach zwei zähen Etappen fand ich in der dritten ins Rennen, die Temperaturen wurden erträglicher, und ich empfand eine extrem tiefe Dankbarkeit, einen Körper zu haben, der so perfekt funktioniert. Irgendwann habe ich Selbstgespräche geführt, mich bei meinen Füssen bedankt und bei anderen Körperteilen. Man ist heulend unterwegs, da geht etwas vor sich. Man beginnt, ein wenig zu spinnen.»

Am Mittwoch, dem vierten Renntag, wartete die Doppeletappe mit 82,5 Kilometern. Diese nahm Beat Fraefel zunächst allein in Angriff, bis er an einem Check-Point eine Kollegin aus dem zweiten Schweizer Zelt traf. Mit ihr absolvierte er die Nachtetappe, die über felsige Dünen führte.

«Da habe ich mich richtig gefreut: Endlich mal eine Bergstrecke! Der Aufstieg war steil und nur möglich, indem man sich an einem Seil festhielt. Ich empfand diese Passagen als grenzwertig, nur mit Stirnlampen, in der Nacht … Und doch habe ich die Etappe genossen: Es war das erste Mal, dass ich nicht bloss wegen der Hitze ausser Atem war, sondern, um einen Berg hochzukommen.»

Um Donnerstagmorgen, kurz nach fünf Uhr, kamen Beat Fraefel und seine Kollegin im Camp an. Den Rest des Tages hatten sie Zeit, sich auszuruhen. Am frühen Abend wurden die rund 400 verbliebenen Läuferinnen und Läufer überrascht. Vier Streicher und eine Sopranistin gaben ein kleines, klassisches Konzert, zur Feier des Tages erhielten alle eine Dose Cola.

«Was für ein Luxus! Längst nicht jedes Nahrungsmittel schmeckte bei diesen ungewöhnlichen Temperaturen so gut. Das Pulver mit Minze, das einen Kühlungseffekt haben sollte, schmeckte bei 55 Grad nach Erbrochenem. Und die Haferriegel mit Nüssen konnte ich kaum runterschlucken. Unterwegs fühlte es sich bei starkem Wind an, als würde ich den Körper in einen Heissluft-Backofen halten.»

Am Freitagmorgen warteten auf Beat Fraefel noch die letzten 42 Kilometer. Diese Etappe lief er alleine, kam gut vorwärts und wurde im Ziel vom Rennveranstalter Patrick Bauer in Empfang genommen. Er erhielt seine Medaille und die Gewissheit, dass er mit einer Gesamtlaufzeit von 53 Stunden den 240. Rang erreicht hatte. In seiner Altersklasse, bei den Ü60ern, sind von 45 Läufern elf ins Ziel gekommen. Beat Fraefel war der Viertschnellste. Gewonnen hat das Rennen zum siebten Mal der Marokkaner Rachid El Morabity. Er lief die knapp 250 Kilometer in 21 Stunden.

«Da kämpft man so lange, um überhaupt im Rennen zu bleiben, man kämpft mit dem Wind, mit den Temperaturen, und plötzlich hat man die Medaille vor Augen. Der Ziel­einlauf war wunderschön.»

Am Samstag spazierte er mit den fünf verbliebenen Schweizern die letzten ­Kilometer aus der Wüste hinaus, dann wurden die Läuferinnen und Läufer mit Bussen zu ihren Hotels gefahren. Und dort wartete die Amerikanerin, mit der er die zweite Etappe gemeistert hatte. Sie war später zwar ausgeschieden, wollte sich bei ihm aber für die Unterstützung bedanken.

«Als ich in meinem Hotelzimmer stand, wusste ich: ‹Jetzt gehts ans Duschen.› Eine Minute habe ich die Dusche angestarrt, ‹soll ich wirklich…?› Ich zögerte, weil ich das Gefühl hatte, dass sich ein Kapitel schliesst, indem ich den Staub von meinem Körper spüle.»

Es folgten dann doch die Dusche und ein grosses Hotel-Buffet, ein Ruhetag und der Heimflug am Montag. Die erste Nacht im eigenen Bett und die zweite, bei der Beat Fraefel plötzlich aufwachte.

«Auf meinem Nachttisch steht eine Trinkflasche. Derselbe Typ, den ich in der Wüste dabeihatte. Ich erwachte und dachte: ‹Ich muss dringend diese Flasche auffüllen, das Wasser wird nicht bis am Morgen reichen!› Ich bin aufgestanden, habe sie gefüllt und erst dann gemerkt: ‹Easy! Es gibt genug Wasser.› Von den Tagen in der Wüste ist schon etwas übriggeblieben.»

Als Beat Fraefel am Schluss unseres Telefongesprächs gefragt wird, ob er noch einmal am Marathon des Sables teilnehmen will, sagt er: «Fragen Sie mich in einer Woche nochmals.»

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