«Am Freitag hatten wir bereits 100 Fälle»

In einer Zeit, in der sich das Spital Affoltern für die Zukunft in Stellung bringen muss, wird es von Covid19 zusätzlich gefordert. Im Interview gibt VR-Präsident Stefan Gyseler Auskunft über die Coronasituation, die Strategie, die Bewerbung um Leistungsaufträge und die Suche des neuen CEO.

Stefan Gyseler, VR-Präsident des Spitals Affoltern: «Bei der Erarbeitung der ‹Alters- und Gesundheitsstrategie für den Bezirk Affoltern› hat sich gezeigt, dass die Spitalzukunft für alle Beteiligten eine wichtige Rolle spielt.» (Bild Thomas
Stefan Gyseler, VR-Präsident des Spitals Affoltern: «Bei der Erarbeitung der ‹Alters- und Gesundheitsstrategie für den Bezirk Affoltern› hat sich gezeigt, dass die Spitalzukunft für alle Beteiligten eine wichtige Rolle spielt.» (Bild Thomas Stöckli)

«Anzeiger»: Die Corona-Fallzahlen steigen derzeit wieder rasant. Wie ist die Lage am Spital Affoltern?

Stefan Gyseler: Im Moment haben wir pro Tag im Schnitt 60 Fälle, am Freitag sogar bereits 100. Vor zwei Wochen waren es noch halb so viele. Aktuell haben wir zwei Covid-19-positive Patienten, welche stationär behandelt werden.

Für wie viele Corona-Patienten ist ­Affoltern überhaupt eingerichtet?

Wir haben zehn Plätze, vier davon mit einer 24-Stunden-Überwachung und einen Platz, der für einen künstlich zu ­beatmenden Patienten genutzt werden kann

Muss man auf den Winter hin mit einer Flut an Hospitalisierungen rechnen?

Unsere Verantwortlichen sind besorgt. Einerseits aufgrund der Tatsache, dass die Leute sich mehr in Innen­räumen statt im Freien bewegen, andererseits weil sich in der Bevölkerung eine zunehmende Sorglosigkeit im Umgang mit dem Virus zeigt.

Verglichen mit dem Frühling: was ist ­heute anders?

Wir konnten unsere Lehren aus dem Frühling ziehen und die Betriebsabläufe verbessern. Für die kalte Jahreszeit mussten wir nun allerdings Wartezonen einrichten. Im Sommer konnten wir das noch problemlos draussen machen. Im Moment läuft der Spitalbetrieb. Im Frühling hat ja der Bund eingegriffen und wir mussten auf nicht dringliche Behandlungen und Eingriffe verzichten. Das stellt die Spitäler vor zusätzliche Herausforderungen.

Wie steht es aktuell um die Auslastung?

Im Vergleich zum Vorjahr haben wir gut 20 bis 30% weniger Fälle.

Gilt das spezifisch fürs Spital Affoltern oder auch für andere?

Wir tauschen uns mit dem Stadtspital Triemli und dem Kantonsspital Zug intensiv aus und die haben ähnliche Zahlen. Das grosse Problem für Spitäler: Sie müssen einen 24-Stunden-Betrieb aufrechterhalten, ob die Patienten kommen oder nicht. Und als öffentlich-rechtliche Institution kann man nicht einmal Kurzarbeit anmelden.

Im Fallkosten-Vergleich der Spitäler im Kanton hat Affoltern letztes Jahr einen grossen Sprung nach vorne gemacht – woran lag das und setzt es sich fort?

Letztes Jahr haben wir die Organisation enorm gestrafft. Mit der Akutgeriatrie und Palliative Care bieten wir Leistungen, die von der Fallkosten-Entschädigung her attraktiv sind. Diese Kernkompetenzen haben wir über Jahre aufgebaut. In der Psychiatrie konnten wir stark zulegen, sowohl bei den Patientinnen und Patienten als auch in der Rentabilität. Dieses Jahr werden die Fallkosten sicher höher. Weil wir nicht ausgelastet sind und doch dieselben Kosten haben. Aber die Fallkosten werden bei allen steigen und es kommt drauf an, um wie viel sie wo steigen.

Wie wird das Spital Affoltern im Coronajahr 2020 finanziell abschneiden?

Es wird eine grosse Herausforderung, eine schwarze Null zu erreichen.

Das ist also das Ziel?

Ja, aber das ist eine grosse Herausforderung. Von der Eigenkapitalbasis her sind wir so gut aufgestellt, dass wir auch ein schlechtes Jahr überleben können. Die Coronazeit haben wir genutzt, Reorganisationen in Angriff zu nehmen, im Zuweiser-Management, bei den ­Betriebsabläufen und in der Raumkonzeption, wie zum Beispiel ein neues ­Ambulatorium für Gynäkologie und ­Geburtshilfe. Bei solchen Massnahmen ist es allerdings so, dass sie kosten, bevor sie greifen.

Wie ist die Stimmung bei den Mitarbeitenden?

Die Coronasituation beeinflusst die Stimmung nicht extrem, auch wenn sie die Abläufe natürlich komplizierter macht. Aber das ist ja in jeder Firma so. Die Mitarbeitenden sind eher angespannt im Hinblick auf die Vergabe der Leistungsaufträge – wie in anderen ­Spitälern übrigens auch. Das ist kein Selbstläufer.

Die neue Spitalliste wurde ja verschoben auf 2023 – welche Leistungsaufträge muss Affoltern unbedingt haben und welche werden darüber hinaus angestrebt?

Ich will mal so sagen: Gute Karten haben wir in den Bereichen Akutgeriatrie, Palliative Care und Psychiatrie. In der Akutgeriatrie sind wir die Zweitgrössten im Kanton, in der Palliative Care haben wir einen zusätzlichen Leistungsauftrag aus dem Kanton Zug und die Psychiatrie wächst stark und ist auch profitabel. In der Inneren Medizin und Chirurgie werden wir kämpfen müssen. Und wir müssen überlegen, wie wir uns ­aufstellen – auch im Notfall. In unserem Einzugsgebiet haben wir pro Nacht sehr stark variierende Zahlen. Der Notfall ist wichtig als Eintrittspforte. 60% der ­Patienten kommen hier herein. Da ist die betriebswirtschaftliche Abhängigkeit der anderen Bereiche riesig.

Und wie steht es um den Rettungsdienst?

Da sind wir in einem Projekt mit Schutz und Rettung Zürich. Das Spital Affoltern möchte den Rettungsdienst fusionieren. Das würde bedeuten, dass unsere Mitarbeitenden von der Stadt ­Zürich angestellt würden und Schutz und Rettung in Affoltern einen Stützpunkt betreibt. Wir sind am Entwurf für eine Leistungsvereinbarung mit den ­Gemeinden und einen Vertrag mit Schutz und Rettung.

Wieso nicht mit dem Limmattalspital, das ebenfalls Interesse zeigte?

Schutz und Rettung ist bereit, in den Stützpunkt Affoltern zu investieren. Und mit dem «Limmi» hatten wir schon mal eine Vereinbarung und sie sind dann abgesprungen. Wir sehen Schutz und Rettung als verlässlicheren Partner – und sie haben kein eigenes Spital.

Zurück zur Spitalliste: Ist der Leistungsauftrag Geburtshaus denn auch noch ein Thema?

Momentan nicht. Im Ambulatorium für Gynäkologie und Geburtshilfe bietet die Fachärztin Frau Dr. med. Nina ­Viktorin vom Triemli Sprechstunden in Affoltern an und führt auch ambulante Eingriffe aus.

Kommen in Zusammenarbeit mit den ­Partnerspitälern weitere Angebote dazu?

In Planung ist ein Ausbau der Radiologie mit einem Partner, der auch die Finanzierung übernimmt. Und mit Professor Schmid und Professor Weckbach kommen zwei renommierte Wirbelsäulenchirurgen dazu. Die Mutter-Kind-­Abteilung haben wir bereits von neun auf 14 Plätze erweitert. Dabei hat uns die Stiftung Spital Affoltern stark unter die Arme gegriffen.

Und was ist mit der für Mitte bis Ende 2021 angekündigten Dialysestation?

Da sind wir noch am Rechnen. Die Kosten für Anpassungen an den Gebäudlichkeiten und die Wasseraufbereitung gehen gegen 1 Mio. Franken.

Spielt da auch eine Rolle, dass Muri seine Dialysestation Anfang Jahr ausgebaut hat?

Nein, wir sehen den Bedarf, glauben auch an eine Auslastung, machen uns aber Gedanken zu Finanzierungsmöglichkeiten. Das Coronajahr lässt für grössere Investitionen zögern.

Sie haben die Finanzierung angesprochen: Das Spital hat die Ämtler Gemeinden ja bereits verpflichtet, die Solidarbürgschaft in vollem Umfang zu übernehmen. Wozu braucht das Spital das Geld?

Wir haben nicht mehr Geld ­gebraucht, sondern im Gegenteil Fremdkapital abgebaut. Die Solidarbürgschaften waren Bestandteil der Abstimmung, damit das neue Konstrukt der Spital AG die Kreditlimiten weiterhin nutzen kann. Der Zweckverband hatte Kredite für 23 Mio. Franken. Wir haben bei den Banken um 18 Mio. wieder angefragt.

Die 14 Ämtler Gemeinden haben sich unlängst auf eine «Alters- und Gesundheitsstrategie für den Bezirk Affoltern» ­geeinigt. Was bedeutet das fürs Spital?

Ich habe die Zusammenarbeit als wertvoll und die Beteiligten als engagiert erlebt. Es hat sich gezeigt, dass die Spitalzukunft für alle Beteiligten eine wichtige Rolle spielt. Als Spital möchten wir noch intensiver eine Funktion als Drehscheibe wahrnehmen.

Fragen nach der Zusammenarbeit stellen sich nach dem Splitting insbesondere mit dem Pflegezentrum Sonnenberg. Wie laufen da die Verhandlungen?

Wir CEOs ad interim, Daniel Eugster und Franziska Marty vom Pflegezentrum, Lukas Rist und ich vom Spital, sitzen alle zwei Wochen zusammen und tauschen uns aus. Wir haben sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die beim Spital angestellt sind und auch Leistungen fürs Pflegezentrum erbringen: Gastronomie, Marketing, Informatik, Finanzen, Personalwesen, Wäscherei und Reinigung. Seitens Spital glauben wir, es ist am besten, das auch künftig gemeinsam zu machen. Das Know-how ist da und die Mitarbeitenden haben eine grosse Identifikation mit beiden Institutionen. Doch: auch wenn die ­Eigentümerschaft in beiden Institutionen dieselbe ist, müssen beide Seiten schauen, das Bestmögliche herausholen. An diesen Verhandlungen sind natürlich auch die Mitarbeitenden sehr interessiert. Schliesslich betrifft das ihren ­Arbeitsplatz.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im neuen Verwaltungsrat?

Der Verwaltungsrat ist sehr ausgewogen. Das sind professionelle Leute, die viel Know-how aus dem Gesundheitswesen, der Politik und dem Rechtswesen einbringen. Wir treffen uns im ersten Jahr einmal im Monat – zusätzlich zu den Ausschuss- und Kommissions­arbeiten.

Sie haben es angetönt: Seit dem Abgang von Michael Buik sind Sie selber in der Operativen Führung, gemeinsam mit ­Lukas Rist – wie lange noch?

Der Stand ist so: Der Verwaltungsrat hat ein Anforderungsprofil für den neuen CEO verabschiedet und wir haben einen Ausschuss gebildet mit Lukas Rist, Dominique Wegener und mir aus dem Verwaltungsrat sowie Personalleiterin Nadine Arnold. Wir haben 30 Bewerbungen erhalten, darunter einige sehr gute. Das zeigt, dass sich die Reputation des Spitals Affoltern wieder verbessert hat. Mit sieben von ihnen haben wir ein ­Erstgespräch geführt und vier bis fünf werden in den nächsten zwei Wochen vor die Geschäftsleitung eingeladen. In der dritten Runde folgt dann ein halbtägiges Assessment bei einem externen Anbieter. Der Verwaltungsrat soll dann zwischen zwei bis drei Kandidaten ­auswählen. Bis Ende Jahr soll der neue CEO bekannt sein. Der Startzeitpunkt hängt dann von der Kündigungsfrist ab.

Was sind denn die Anforderungen an den neuen CEO?

Er oder sie muss aus dem Gesundheitswesen kommen und einen betriebswirtschaftlichen Background haben. Wir suchen eine dynamische Persönlichkeit, die begeistern kann – sowohl die Mitarbeitenden als auch gegen aussen. Eine Person, die vorlebt, was sie fordert, die dem Verwaltungsrat hilft bei den Entscheidungsgrundlagen für die ­Strategiedefinition und die diese Strategie dann auch umsetzt.

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