«Unser Gesellschaftssytem braucht starke Parteien»

Ökologie und Ökonomie besser verknüpfen und der Bevölkerung klarmachen, dass es Parteien wie die FDP mit breitem Spektrum braucht – solche, die das Feld nicht einfach Ein-Themen-Bewegungen überlassen. Alt Nationalrat Rolf Hegetschweiler aus Ottenbach über Politik und seine Partei.

Nicht mehr an vorderster Front dabei, aber immer noch grosses Interesse am politischen Geschehen: Alt Nationalrat Rolf Hegetschweiler in seinem Haus in Ottenbach. (Bild Werner Schneiter)
Nicht mehr an vorderster Front dabei, aber immer noch grosses Interesse am politischen Geschehen: Alt Nationalrat Rolf Hegetschweiler in seinem Haus in Ottenbach. (Bild Werner Schneiter)

Von 1991 bis 2007 sass er im Nationalrat. Jetzt sitzen wir im einladenden Wohnzimmer seines Hauses in Ottenbach. Auf dem Tisch liegen Zeitungsausschnitte, darunter einer der «NZZ am Sonntag», die kürzlich unter dem Titel «Der Fluch des Freisinns» den Zustand der Staatsgründerpartei kritisch diagnostizierte – und dabei unter anderem parteiinterne ­Differenzen in wichtigen politischen Fragen zur Sprache brachte.

Fast mehr als das sticht das vierspaltige Bild zum Artikel ins Auge, auf dem Rolf Hegetschweiler an der Spitze eines FDP-Kundgebungszugs im September 1979 durch Brunnen SZ marschiert. Im Hintergrund das Banner «Mehr Freiheit – weniger Staat». Er sass damals seit einem halben Jahr im Zürcher Kantonsrat – zu einer Zeit also, als der Freisinn in allen wichtigen Fragen zu den tonangebenden Parteien gehörte und auf ­stolze 25 Prozent Wähleranteil kam. Der Wettswiler Nationalrat Hans Georg ­Lüchinger setzte sich dafür ein, dass die vornehmen Freisinnigen in Demo-­Manier auf die Strasse gingen. «Wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen und müssen uns zeigen», sagte er sinngemäss. «Wir wurden damals als breite Volkspartei wahrgenommen», sagt Rolf Hegetschweiler.

Selbstverantwortung gehört dazu

Es war die Zeit der markanten freisinnigen Figuren wie Ulrich Bremi, Heinz Allenspach, Ernst Cincera, Lili Nabholz, Rico Jagmetti, René Rhinow und anderen. Es gab auch zu dieser Zeit in der FDP den linken und rechten Flügel mit teilweise unterschiedlichen Auffassungen. Zu letzterem zählte Rolf Hegetschweiler, der damals im Nationalrat in der FDP zur etwas übertrieben «Stahlhelmfraktion» genannten Gruppe gehörte. «Aber deswegen haben wir keine Grabenkämpfe ausgetragen; man hat sich gegenseitig respektiert und parteiinterne Entscheide akzeptiert», erinnert sich der alt Nationalrat.

Mehr Freiheit und Selbstverantwortung – weniger Staat: So lautete die freisinnige Original-Botschaft in den 70er- und 80er-Jahren und sie gilt eigentlich heute noch. «Mehr Selbstverantwortung» – dieser wichtige Zusatz ist uns später in den Medien meistens unterschlagen worden», sagt Hegetschweiler. Und genau diese Tugend vermisst er in der heutigen Politik. Er diagnostiziert einen Trend, wonach der Staat Forderungen zu erfüllen hat und einfach zahlen soll – egal, wie hoch sich die Rechnung präsentiert. «Wer Forderungen stellt, muss im Voraus abklären, was es kostet.» Dass sich der Staat in dieser Covid-Krise trotz der Schuldenbremse (unter dem damaligen Bundesrat Kaspar Villiger eingeführt) grosszügig zeigt, findet Rolf Hegetschweiler richtig, aber diese Grosszügigkeit müsse mit Blick auf die kommenden Generationen ein Verfalldatum haben.

Anreize statt Verbote und Vorschriften

Differenzierte Meinungen im Freisinn illustriert das revidierte CO2-Gesetz, über das wir am 13. Juni befinden. 61 Prozent der Parteimitglieder sprechen sich laut einer Umfrage gegen die Vorlage aus. Hier habe die FDP Kompromisse gesucht – anders als SP und SVP. Diese unheilige Allianz habe 2018 die damalige Revisionsvorlage zu Fall gebracht. Einfach nur gegen etwas zu sein, gehöre nicht zur DNA der FDP, die sich im Rahmen der neuen Revision für Verbesserungsvorschläge eingesetzt habe. Die jetzige Vorlage habe durchaus positive Aspekte, weise aber auch Nachteile auf, weil Verbote und Vorschriften die ­Anreize überlagerten, was zum Beispiel aus Sicht der Hauseigentümer zu happigen Mehrkosten führen könne. Also eine typische Kompromiss-Vorlage, über die richtigerweise das Volk entscheiden werde. «Wir müssen den Fokus in Zukunft voll auf neue Technologien und marktwirtschaftliche Lösungen richten. Es braucht Anreize statt ständig neue Subventionen aus Steuermitteln, die den Wirtschaftsstandort Schweiz schwächen.» Hegetschweiler hat in seiner Zeit als Nationalrat im Parlament, auch mithilfe der GLP, durchgesetzt, dass ein Teil der CO2-Abgaben (das Gesetz existiert seit längerem) an die Bevölkerung zurückfliessen muss. Auch fügt er bei, dass die Umwelt in der FDP schon sehr lange ein Thema ist und verweist dabei auf ein FDP-Umweltschutz-Manifest von 1986. «Wir waren also schon grün, bevor die Grünen rot waren», scherzt er.

Bürgerliche Zusammenarbeit hapert

Nun ist die FDP von 25 auf 15 Prozent Wähleranteil geschrumpft, was sich natürlich auf den politischen Alltag auswirkt. «Will man Kompromisse durchbringen, bedarf es einer bestimmten Grösse. Bedauerlich findet Hegetschweiler in diesem Zusammenhang, dass die bürgerliche Zusammenarbeit vielfach nicht optimal funktioniert – auch, weil die SVP oft Opposition betreibt und wenig von Kompromissen hält – zum Beispiel beim Thema ‹Rahmenvertrag mit der EU› oder bei den Sozialversicherungen, wo die ständig höhere Lebenserwartung in Zukunft ein Kriterium sein muss», betont Rolf Hegetschweiler. Für ihn sind Kompromisse auch notwendige Zugeständnisse für Problemlösungen. Erforderlich sei eine breite und offene Diskussion über alle politischen Themen, das heisst: alle Fakten auf den Tisch zu legen – und Mut, wie etwa beim Rahmenvertrag, dem Volk schliesslich das letzte Wort zu überlassen.

Was muss die FDP tun, um ihren Wähleranteil wieder zu erhöhen? Rolf Hegetschweiler sagt: «Der Bevölkerung klarmachen, dass es Parteien wie die FDP mit breitem Themenspektrum braucht, für die eine Gesamtsicht und Langfristigkeit zählen – und nicht in erster Linie zeitgeistige Themen und Einzelfragen, mit denen sich heute neue Bewegungen und NGOs zunehmend inszenieren. Diese foutieren sich anschliessend um die mühsame Gesetzesarbeit, um die Umsetzung von Urnenentscheiden und überlassen diese Knochenarbeit gerne den Parteien. Wir müssen den Leuten sagen, dass Gesamtsicht und Langfristigkeit Stabilität und Transparenz garantieren. Dafür stehen die Parteien und tragen auch die Verantwortung. Damit das gelingt, bedarf es natürlich einer gewissen Grösse der Partei. Da müssen wir Freisinnigen einen Weg zur alten Stärke suchen.»

Rolf Hegetschweiler sitzt zwar als Beirat noch im Vorstand des kantonalen Hauseigentümerverbandes, ist aber als Parteipolitiker nicht mehr an vorderster Front dabei. Gleichwohl lässt er sich bei Anlässen regelmässig blicken und verfolgt das politische Geschehen aufmerksam. Er hofft, dass die Parteien insgesamt, aber besonders seine FDP, ihre wichtige Vermittlerrolle zwischen Bürger und Staat in Zukunft wieder stärker wahrnehmen können.

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