«Es waren Punkte und Striche ohne Emotion»

Das Zeichnen hat Elian Tanner schon in ihrer Jugend fasziniert. Nun, im «Ulmenhof» in Ottenbach, hat sie die Kunst neu für sich entdeckt. Im Interview erzählt sie, weshalb sie anfangs nicht malen wollte und was sich durch die Therapie in ihr verändert hat.

Für Elian Tanner ist das Malen heute ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Ihre Bilder malt sie mit Acryl-Farben, für die Mandalas benutzt sie Edding-Stifte. <em>(Bild Mohammed Shahin)</em>
Für Elian Tanner ist das Malen heute ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Ihre Bilder malt sie mit Acryl-Farben, für die Mandalas benutzt sie Edding-Stifte. <em>(Bild Mohammed Shahin)</em>

«Anzeiger»: Seit acht Monaten wohnen Sie im «Ulmenhof» in Ottenbach. Wie kam es dazu?

Ich war seit meinem elften Lebensjahr drogenabhängig. Während der Schwangerschaft mit meinem Sohn habe ich zwar nichts konsumiert, doch nach der Geburt vor anderthalb Jahren war ich schnell wieder im selben Fahrwasser. Den Entschluss zur Therapie fasste ich, nachdem die Kesb meinen Sohn fremdplatziert hatte.

Wie wurde die Behörde auf Sie aufmerksam?

Meine Mutter hatte eine Meldung gemacht. Mir wurde dann eine Suchttherapie vorgeschlagen, die ich gemeinsam mit meinem Sohn machen kann. Er wurde im «Ulmenhof» betreut, bis ich eintreten konnte, seither habe ich ihn bei mir. Für mich war es ein Schock, als man mir mein Kind wegnahm. Heute bin ich meiner Mutter dankbar. Dieses Erlebnis hat mir die Augen geöffnet. Ich habe be- gonnen, mich damit auseinanderzusetzen, was Sucht mit einem macht.

Was hat sie mit Ihnen gemacht?

Leider habe ich einen grossen Teil meines Lebens «verdrögelet» und der Sucht alles untergeordnet. Meine Lehre in der Gastronomie habe ich abgebrochen, überhaupt habe ich kaum etwas zu Ende gebracht, weil die Drogen am Schluss stets wichtiger waren. Ich habe meine gesamte Jugendzeit auf Drogen erlebt und habe nicht gelernt, reale Gefühle wahrzunehmen.

Wie meinen Sie das?

Früher hätte ich beim Verlust eines Menschen keinen Schmerz wahrgenommen, ich hätte diese Emotionen gar nicht an mich heran- gelassen und die schlechten Gefühle einfach mit Drogen wegkonsumiert.

Wie war es, zu lernen, mit den eigenen Emotionen umzugehen?

Nicht leicht. Anfangs habe ich mich der Therapie verweigert, auch dem Malen und Zeichnen.

Weshalb?

Ich habe schon früher gerne gezeichnet. Während der Zeit meiner Sucht am liebsten Mandalas. Ich nutzte die Bilder, um mich zu entspannen, während ich den Flash genoss. Ich zeichnete jahrelang, während ich auf Drogen war, deshalb war ich anfangs nicht bereit, diese Kunst mit einer Therapie zu verbinden. Ich dachte, das ruiniere das Künstlerische.

Sie sind tätowiert. Stammen die Zeichnungen auf Ihrem Körper auch aus der Zeit der Sucht?

Ja. Ich habe damit angefangen, als ich 17 Jahre alt war. Nach zwei Jahren war mein Körper komplett tätowiert.

Was war der Reiz daran?

Heute denke ich, meine Tätowierungen waren dazu da, um mich zurückzuziehen. Die Tattoos verdecken, ich konnte mich hinter meiner Haut verstecken. Auch das Gesicht hatte ich teilweise tätowiert, was einer meiner grössten Fehler war. Zwar gefallen mir Tattoos nach wie vor, doch auf den Wangen stören sie mich, deshalb bin ich seit zwei Jahren in einer Laserbehandlung.

Sie malten schon früher besonders gerne Mandalas. Was hat Sie an diesen Bildern fasziniert?

Das Wiederkehrende. Teilweise waren es komplexe Mandalas, es waren Kreise in Kreisen, in Kreisen. Die aber im Grunde nichts darstellten.

Wie meinen Sie das?

In den Bildern war nichts von mir drin.

Weil Sie nichts preisgeben wollten?

Genau. Damals habe ich einfach darauflosgezeichnet. Es waren Punkte und Striche ohne eine Emotion.

Und heute?

Inzwischen habe ich gelernt, Emotionen wahrzunehmen, sie zu beschreiben und durch meine Bilder auszudrücken.

Wann kam dieser Wendepunkt?

Nach vier Monaten. Ich suchte nach etwas, an dem ich mich festhalten konnte, um die Therapie durchzustehen. Eines Tages ging ich in den Kunstraum und malte einfach los, das hat mich in diesem Moment so befreit. Endlich konnte ich das Chaos in mir auf das Papier bringen und abgeben.

Die Mandalas sind in Ihren Bildern noch immer präsent…

Ja, in den Bildern verarbeite ich meine Vergangenheit. Es stecken so viele Emotionen drin, dass die Mandalas inzwischen eine Art Ruhe hineinbringen.

Wählen Sie für Ihre Bilder heute andere Farben als noch vor vier Monaten?

Nein, ich wähle sie nach Gefühl. Wenn mich etwas beschäftigt, dann laufe ich an die Farbe heran. Sie ändert sich, je nach dem, was ich ausdrücken will.

Wie viele Bilder sind im Lauf der Therapie entstanden?

Es dürften mindestens 30 Bilder sein. Meine ganze Wohnung ist voll (lacht).

In den Bildern sind Emotionen, auch negative. Macht es Ihnen keine Mühe, sie in den eigenen vier Wänden täglich zu sehen?

Nein, im Gegenteil. Jedes Bild gibt mir etwas zurück. Früher konnte ich meine Emotionen nicht beschreiben, heute kann ich das. Ich bin stolz darauf, das geschafft zu haben. Deshalb habe ich zuhause viele Bilder aufgehängt.

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