«Mein Körper gehört mir!»

Rund 200 Eltern von Schülern der Unterstufe der Gemeinden Hedingen, Kappel und Obfelden besuchten am letzten Montag die dreiteilige Theateraufführung «Mein Körper gehört mir!» des interaktiven Theaters «vitamin a» im Singsaal des Schulhauses Chilefeld in Obfelden.

Jacqueline Vetterli und Martin Maurer vom Theater vitamin a regten dazu an, sich mit dem Thema sexuelle Gewalt auseinanderzusetzen. <em>(Bild Regula Zellweger)</em>
Jacqueline Vetterli und Martin Maurer vom Theater vitamin a regten dazu an, sich mit dem Thema sexuelle Gewalt auseinanderzusetzen. <em>(Bild Regula Zellweger)</em>

Bereits im Dezember luden Schulleitung, Lehrerschaft und Schulsozialarbeit der Primarschule Obfelden die Eltern ihrer Unterstufenschüler zur Elternveranstaltung am 20. Januar ein. Deren Kinder besuchten zwischen dem 13. und 27. Januar im Klassenverband die dreiteilige, interaktive Theateraufführung «Mein Körper gehört mir!» Damit wurden Fragen, denen Eltern, Sozialarbeiterinnen und Lehrpersonen begegnen können, aufgenommen und beantwortet. Beispiele: «Wie kann ich mich wehren, wenn mir ein anderes Kind Schmerzen zufügt?» «Kann ich Nein sagen, wenn ich ein Nein spüre?» oder «Darf ich das auch einem Erwachsenen gegenüber tun, der meine Grenzen nicht respektiert – und wo hole ich mir Hilfe?»

Das Präventionsprogramm von «vitamin a» sensibilisiert Grundschulkinder in der Schweiz seit über 15 Jahren für das Thema des sexuellen Missbrauchs. Einfache Geschichten und ein lustiger Körpersong ermutigen die Kinder, ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen.

Aktuelles Thema

Eine E-Mail mit sexuellem Inhalt, ein obszönes SMS: Die Belästigungen über die neuen Medien nehmen zu. Eine Studie der Uni Zürich zeigt, wie sehr Kinder und Jugendliche unter diesen Misshandlungen leiden. Die Zahlen sind erschreckend hoch. «Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist in der Schweiz alarmierend weit verbreitet.» Dies berichten Mediziner der Universität, des Kinderspitals und des Unispitals Zürich aufgrund einer neuen Studie.

Für Schulleiter Kaspar Oettli und die Schulsozialarbeiterin Patrizia Pedone gab es keinen konkreten Fall als Anlass für dieses Projekt: «Wir vertreten die Überzeugung, dass eine spielerische, unkomplizierte und dadurch für ein Kind gut verständliche Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig und richtig ist. Im geschützten, vertrauten Rahmen werden Kinder präventiv vorbereitet, sich selber zu schützen, zu erfahren wo und wie sie Hilfe holen können und lernen – oft zum ersten Mal in ihrem Leben – Nein zu sagen und dass dieses von den Mitmenschen, auch Erwachsenen, respektiert werden muss. Wir haben unterschiedliche Angebote geprüft und uns für «vitamin a» entschieden, weil wir diese kinder-zentrierte Theater-Arbeit als sehr wirkungsvoll und nachhaltig einstufen.»

Eltern integrieren

Bewusst haben Patrizia Pedone und Kaspar Oettli die Eltern integriert: «Wir wünschen uns, dass sie sich mit dem Thema «sexuelle Ausbeutung» auseinandersetzen, dass sie anerkennen, dass auch Kinder eine Privatsphäre haben und diese einfordern und verteidigen dürfen. Dass nicht jedes Nein eines Kindes falsch ist. Dass Eltern lernen, ihr Kind gegenüber Dritten, etwa Verwandten und Freunden, zu unterstützen, wenn sie nicht geküsst und umarmt werden wollen.»

Eltern sollen den Kindern gegenüber signalisieren: «Mit mir kannst du darüber sprechen. Ich nehme dich ernst und wenn du mit jemand anderem darüber sprichst, ist es für mich auch in Ordnung.» Schüler sollen erfahren: «Du darfst Nein sagen, du darfst dir Hilfe holen. Es gibt gute und schlechte Geheimnisse, schlechte tun dir nicht gut, also hol dir Hilfe. Lehrpersonen sollen sensibilisiert werden, Augen und Ohren offenzuhalten. Sie sollen wissen, dass sie sich Hilfe von Spezialisten holen dürfen, ohne Versagensgefühle zu haben.

Zudem gilt es für alle, sich bewusst zu sein, dass es oft Vertrauenspersonen sind, die Grenzüberschreitungen begehen. Laut der Studie wird die Mehrheit der jugendlichen Opfer von jugendlichen Tätern missbraucht, die sie bereits kennen. «Unsere Resultate unterscheiden sich auch deutlich von offiziellen Polizeiberichten, wonach Täter sehr oft erwachsene, männliche Verwandte sind», auch dies eine Erkenntnis der neuen Forschung.

Nein sagen

Am vergangenen Montagabend begeisterten Jacqueline Vetterli, Primarlehrerin und Musicaldarstellerin, und Martin Maurer, Schauspieler und Mitgründer von «vitamin a», das Publikum mit Szenen zum Thema sexuelle Ausbeutung von Kindern. Anschaulich zeigten sie auf, dass man den Signalen des eigenen Körpers vertrauen darf: Empfinde ich ein Ja- oder ein Nein-Gefühl? Bei einem Nein-Gefühl gilt es, nicht vor Angst oder Schrecken zu erstarren, sondern zu handeln. Wenn nötig laut «Nein» zu schreien, wegzurennen und sich bei Erwachsenen Hilfe zu holen.

In einer weiteren Szene ging es um die Begegnung mit einem Exhibitionisten, der ein Mädchen zum Auto lockte und plötzlich sein Hemd hochhob. Das Mädchen holte sich den verständnisvollen Abwart zu Hilfe und gemeinsam mit den Eltern erstattete man Anzeige bei der Polizei. Eine weitere Geschichte zeigte auf, wie ein Junge von seinem älteren Bruder sexuell belästigt wurde, die Mutter dem jüngeren aber nicht glaubte. Auch der Fussballtrainer, dem sich der Junge anvertraute, reagierte nicht adäquat. Erst die Lehrerin nahm den Jungen ernst und ergriff mit ihm zusammen Massnahmen. Dieses Beispiel ermutigt Kinder, dranzubleiben, auch wenn sie nicht gleich auf Verständnis stossen. Die Eltern sangen den Refrain zum Lied, das auch die Kinder in der Schule gelernt haben, und machten aktiv mit, wenn Fragen ins Publikum gestellt wurden.

Neue Risiken durchs Internet

Unter die Haut ging die Szene, in der gezeigt wurde, wie ein Mädchen in einem Chat durch einen vermeintlich Gleichaltrigen zu einem Treffen im Park überredet wurde. Das Mädchen liess sich vor allem dadurch überzeugen, dass der «falsche Gleichaltrige» ein junges Hündchen mitbringen wollte. Allen Zuschauern stockte der Atem, als beim Treffen im Park ein erwachsener Mann das Mädchen ins Gebüsch zerrte.

Sexuelle Belästigungen durch Exhibitionisten oder «gute Onkel» sind bekannt. Das Internet hat aber auch diese Welt verändert. «Grooming» nennt man die Online-Kontaktsuche durch Erwachsene zu Kindern, mit dem Ziel, diese später sexuell zu missbrauchen. «Sexting» ist der Austausch selbst produzierter, intimer Fotos von sich oder anderen via Internet oder Mobiltelefon.

Jacqueline Vetterli und Martin Maurer sprachen Sexualität direkt und offen an, nahmen kein Blatt vor den Mund. Für viele der anwesenden Eltern keine Selbstverständlichkeit, aber hilfreich. Insbesondere bei diesem Thema gilt es, nicht verklemmt herumzudrucksen und in Hieroglyphen zu kommunizieren, sondern Klartext zu sprechen. Erfolgreiche Prävention gegen sexuelle Gewalt an Kindern braucht eine klare Sprache, klare Anweisungen und eine tragende Vertrauensbasis. Es braucht von Bezugspersonen die Bereitschaft, Kindern geduldig zuzuhören, Mitgefühl auszudrücken, die Bereitschaft, sich fachliche Hilfe zu holen, die Information, dass man dem Kind glaubt und vertraut und die Botschaft, dass die Opfer keinerlei Schuld tragen.

Den Organisatoren war es ein Anliegen, den Eltern auch konkrete Anlaufstellen zu nennen, beispielsweise die Fachstelle Castagna, castagna-zh.ch, www.limita.ch und www.147.ch von Pro Juventute. Patrizia Pedone meinte zum Schluss: «Lassen Sie uns alle zusammen ein Netz knüpfen, das Kinder auffängt, wenn sie in eine belastende oder gefährliche Situation kommen.»

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