Das Urgestein der Volksmusik feiert
Die Klarinette setzt er noch täglich an seine Lippen, und auch als Komponist ist Leo Kälin weiter aktiv: Morgen Mittwoch feiert der ungekrönte «Volksmusik-König» aus Obfelden seinen 90. Geburtstag.
«Es geht mir gut, ich bin zufrieden», sagte auf die Frage nach seinem Befinden, die bei Menschen im fortgeschrittenen Alter nicht aussergewöhnlich ist. Und tatsächlich sitzt da ein vitaler, wacher und gut gelaunter Musikant in seiner Stube, zusammen mit Ehefrau Agatha (Agi), mit der er seit 1957 verheiratet ist, zwei Söhne Richard und Leo (2019 verstorben) sowie Tochter Lucia hat. Er übt täglich und komponiert weiter seine Tänzli. Inzwischen sind es 398 Titel, und allesamt tragen die unverkennbare Handschrift des Meisters aus Obfelden. «Ich bekäme Angst, wenn mir jemand sagen würde, dass er die Melodie schon mal gehört habe», sagt Leo Kälin. In seinem Archiv lagern über 14 000 Titel – eine Sammlung aus 77 Jahren Musikerleben.
Daraus erzählt er aus dem Stegreif und erinnert sich an Details, die Jahrzehnte zurückliegen. Als Elfjähriger hat Leo Kälin in der Harmonie Hausen geübt, im Saal des Restaurants Hirschen. Als Schüler hat er auch ein Schwyzerörgeli zur Hand genommen. Und natürlich erinnert er sich an den 3. November 1945, als er im Rahmen einer Hochzeit zum ersten Mal öffentlich aufspielte, im Restaurant Post in Rifferswil – dort, wo er 2015 im Beisein von SRF-Präsentator Nicolas Senn sein 70-jähriges Bühnenjubiläum feierte, und hernach, auf dessen Einladung in der Samstagabendsendung «Viva Volksmusik» in der Bodensee-Arena auftreten durfte. Und immer als «stehender Klarinettist». Seit er bei einem Auftritt auf der Bank zu wenig Platz vorfand, blies er stehend in die Klarinette. Das ist bis heute so geblieben.
«7-Klarinetten-Ländler» – eine Meisterleistung
Leo Kälin erinnert sich auch an seinen ersten Titel, der 1951 im Restaurant Schmitte an der Chilbi in Alosen entstanden ist. «Nur äs Tänzli», heisst der Titel dieser Premiere. Zu seinen bekanntesten Werken gehören «de Tousser Füürwehr-Schottisch», «auf froher Fahrt» und «Agi macht Kafi» – eine Ode an seine Frau, die ihm zahlreiche Titel seiner Kompositionen geliefert hat. Oder eben der «7-Klarinetten-Ländler», an welchem der frühere «Fernseh-Volksmusikpapst» Wysel Gyr beteiligt ist. «Wir suchten eine H-Dur-Klarinette; er machte einen entsprechenden Aufruf und gab mir den Tipp. Ich wurde in Einsiedeln fündig», erinnert sich der Jubilar. So kam es, dass Leo Kälin in diesem Stück auf sieben verschiedenen Klarinetten spielt: Innerhalb viereinhalb Minuten siebenmal das Instrument wechseln – auch eine sportliche Leistung. Die Uraufführung erfolgte 1985 in einer Sendung von Wysel Gyr. Dieser holte die Obfelder Kapelle, die damals noch Käppeli-Kälin und später Kälin-Föllmi hiess, mehrmals ins Fernsehstudio. Die ersten Radio- und Fernsehaufnahmen gab es im Jahr 1962. Damals wurde zwischen Kappel und Hausen gedreht. Seit längerer Zeit heisst die Formation «Kapelle Leo Kälin», in der Sohn Richard sowie Walter Rickenbacher (beide Handorgel) und Guido Bürgler (Bass) aktiv sind. Letztere stammen aus Illgau.
Bundesrat Kurt Furgler zum Tanzen gebracht
Und da sind auch die zahlreichen Weltreisen, auf denen Leo Kälin mit seiner Formation für Schweizer Volksmusik warb – unter anderem in den USA, in Südamerika, Südkorea und Japan. Da erinnert sich Leo Kälin an eine Begebenheit im Hotel Hilton in Tokio, wo er auf Einladung von Nestlé in die Tasten griff. Als ihn Wysel Gyr zum Spielen aufforderte, schwang auch der damalige Bundesrat Kurt Furgler das Tanzbein. Leo Kälin, der Weltenbummler und einer, der in früheren Jahren auch in der Deutschschweiz viele Auftritte bestritt. «Ich habe eine verständnisvolle Frau», sagt er, und sie antwortet: «Ich habe ja schon 1957 gewusst, dass ich einen Musiker heirate.»
Klar, heute ist Leo Kälin mehr zu Hause als in Konzert-Restaurants. Das ist auch auf Corona zurückzuführen. An Wochenenden ist er mit seiner Formation in Baar anzutreffen, einer Hochburg, in der alle Volksmusikgrössen auftreten. Oder im «Kreuz» in Meienberg. «Ich spiele einfach, denn Musik ist die Sprache der Seele», sagt Leo Kälin, der an sogenannten Stubete dabei ist, bei denen jeweils alle mit allen spielen. «Bekomme ich eine Anfrage, dann gehe ich», hält Leo Kälin fest.
Ein wichtiger Termin steht nun an: Am 14. Oktober trifft sich die «Volksmusik-Gemeinde» im Restaurant Biberegg in Rothenthurm, um den Jubilaren zu feiern – zwei Tage nach seinem runden Geburtstag. «Das Urgestein wird 90 Jahre alt», heisst es in der Einladung.