Die Kündigung kam nach wenigen Wochen
Eine geflüchtete syrische Familie, die seit bald sechs Jahren in Ottenbach direkt an der Kreuzung wohnte, hatte Glück und fand mit eigener Initiative eine schöne, ruhige Wohnung im Dorf. Doch nicht allen Nachbarn passte das. Und so dauerte das Glück der Familie keine zwei Wochen.

Der syrische Familienvater beschreibt die ehemalige Wohnsituation am Dorfplatz so: «Wir kamen mit schrecklichen Bildern vom Krieg in Syrien in der Schweiz an und wollten nur Ruhe und Sicherheit. Die Altwohnung direkt an der Kreuzung ist sehr laut, die Fenster kann man wegen des Lärms und Drecks kaum öffnen. Auch nachts ist der Verkehrslärm gross und die Lichter schreckten uns immer wieder hoch.» Die Familie fing schon früh an, eine Wohnalternative zu suchen, aber bei einem Maximalbudget von 1800 Franken für sieben Personen war das keine leichte Aufgabe. Dann im November wurden sie fündig. Der Eigentümer freute sich, dass er der syrischen Familie ein neues, ruhiges Zuhause bieten konnte. «Ein sehr freundlicher Mann», äusserte sich die Mutter über ihn.
Aber bereits beim Zügeln hatten die Geflüchteten den Eindruck, dass ihr Einzug wohl nicht allen gefiel. Eine Nachbarin machte sie darauf aufmerksam, dass Schuhe im Treppenhaus nichts zu suchen hätten. Das war den jungen Töchtern zwar auch klar, nur waren sie gerade am Zügeln, gingen rein und raus aus der Wohnung und wollten die Wohnung nicht unnötig verdrecken. Nach dem Einzug stellten sich die «Neuen» den Mitbewohnern des Hauses persönlich vor. Zu zweit, mal Mutter und Vater, mal Mutter und eine Tochter klingelten sie bei den Nachbarn, reichten ihnen die Hand zur Begrüssung, die nicht überall genommen worden sei, und überreichten selbstgemachtes Sesamgebäck.
Zwei Wochen genügten den Nachbarn
Nach zwei Wochen war ihr Wohntraum schon geplatzt. Sie erfuhren vom Sozialamt, dass die Nachbarn dem Eigentümer, dem Sozialamt und der Gemeinde einen Brief geschrieben hatten mit der Forderung, dass die syrische Familie wieder ausziehen müsse. Die Familie erhielt aus Datenschutzgründen nur einen Auszug des Briefes. Darin steht, worüber sich die Nachbarn beklagten, beispielsweise: «Zu jeder Tageszeit werden Türen zugeknallt.» «Kickbords werden im Treppenhaus deponiert.» «Die Kinder laufen über den Rasen, dann ins Treppenhaus, ohne die Schuhe zu reinigen oder auszuziehen.» «Das Treppenhaus ist vom Hauseingang bis zur Wohnungstür massiv verschmutzt.» Seither putzt die Mutter die eine halbe Treppe von der Haus- zur Wohnungstür täglich, damit ihre Familienmitglieder nur ja keine Spuren hinterlassen. Ein Nachbar habe einer Tochter vorgerechnet, dass sie von seinen Steuern lebten.
Bestürzter Wohnungseigentümer
Der Besitzer der Wohnung hat mit der Vermietung eine Welle losgetreten, die ihn nun selbst überrollt. «Die Haltung der Nachbarn ist für mich total unverständlich», sagt er. Die Familienmitglieder seien «ja gar keine Ausländer mehr», seit sechs Jahren wären sie nun in der Schweiz und gut integriert, die drei erwachsenen Töchter sowieso, jetzt seien sie im Dorf 300 Meter weitergezogen und ihre Welt sei erneut aus den Fugen, meint er. Die beiden jüngeren Buben der Familie, getrauten sich ja nicht einmal mehr allein ins Treppenhaus. Darüber und dass ihn nun die Nachbarn gar eingeklagt hätten, weil er sieben Personen in seiner 4½-Zimmer Wohnung unterbringe, ist er völlig konsterniert. Er habe einen Anwalt einschalten müssen.
Verärgerte Nachbarn
Eine Nachbarin macht ihrem Ärger Luft: Insbesondere die Überbelegung sei unhaltbar. Sieben Personen in einer 4½-Zimmer-Wohnung das gehe einfach nicht. Jeden Abend um zehn Uhr würden Möbel hin und her geschoben, für die alleinstehende, ältere Mieterin in der oberen Wohnung ein unhaltbarer Zustand. Es sei laut und es stinke. Stinken? Kreuzkümmel statt Fondue? Ja, sie kochten ganz anders und in ganz anderen Mengen, es sei halt eben eine völlig andere Kultur. Als ihr Ehemann den Familienvater beim Parkieren darauf aufmerksam machte, dass sein Auto gleich hinter seinem stehe, sei er einfach davongefahren. Mittlerweile sei schon das halbe Quartier dafür, dass die Syrer ausziehen müssten. Sie seien einfach zu laut, auch auf dem Gartensitzplatz. Wenn die Familie ins Auto steige, würde erst sieben Mal die Wohnungstüre zugeschlagen, siebenmal die Haustüre und dann noch siebenmal die Autotür, in dieser Zeit lasse der Vater das Auto warmlaufen. Die Nachbarin gibt selber zu, dass man mittlerweile auf alles achte, sie ärgert sich auch über den Vermieter der Wohnung, ihren einstigen Nachbarn, und lässt kein gutes Haar an ihm. Die Mehrheit der Nachbarn im Haus sind Pensionierte, die sich auf einen ruhigen Lebensabend eingestellt haben, die syrische Familie mitten unter ihnen verunmögliche das.
Und wie gehts weiter?
Der Eigentümer hat die mündliche Kündigung bereits ausgesprochen, die schriftliche werde folgen. Auch für die syrische Familie ist klar, dass sie ausziehen will. Sie will nicht in einem Haus leben, wo ihr eine derartige Ablehnung entgegenbrandet. Nur zurück an den Dorfplatz möchten sie nicht mehr. «Im Leben sollte es weitergehen, nicht zurück», meint die 21-jährige Tochter bestimmt, die dieses Jahr die Fachmittelschule abschliesst.