Ein Sprint durch neun Jahrhunderte
Der Weg begann in Kappel im 12. Jahrhundert und endete im 21. Jahrhundert in Rifferswil. Die Nahreise fand diesmal bei sommerlichem Wetter statt, was erlaubte, das anschliessende Pizza-Essen vom Dorfbackofen Rifferswil coronakonform durchzuführen.
Das Zugerseebecken ist seit der letzten Eiszeit durchgehend besiedelt, während die Moränenlandschaft, in der sich Kappel und Rifferswil befinden, jahrtausendelang für Streifzüge von Jägern diente, aber nicht ständig bewohnt wurde. Die erste dauerhafte Siedlung war ein römischer Gutshof, der zwischen Hauptikon und Ober-Rifferswil lag.
Die heutigen Siedlungen gehen auf das Frühmittelalter zurück. Alemannische Sippen gründeten Höfe in Rifferswil, Uerzlikon und Hauptikon sowie einen Hof Tagebrechtswil, der vermutlich am Standort des heutigen Weilers Näfenhüser lag. Er wird nur in Urkunden erwähnt, ohne Ortsangabe. Aufgrund fehlender Fundstücke und der Tatsache, dass Moorlandschaften die Gegend dominierten, ist dieser Standort aber wahrscheinlich.
Das Kloster Kappel wurde um 1185 gegründet, doch erst um die Mittel des 13. Jahrhunderts wurde der mächtige, gut befestigte Bau errichtet. Die Befestigung war nötig angesichts regelmässiger Plünderzüge von unbeschäftigten Innerschweizer Söldnern. Dies akzentuierte sich nach der Eroberung der Stadt Zug 1352 durch Schwyz. Nun rückte der wichtigste Gegner der Stadt Zürich, die im 15. Jahrhundert die Herrschaft über das Knonauer Amt aufbaute, auf Sichtdistanz heran – mit bekannten Folgen: Kappel war der Zürcher Vorposten in den Kappeler- und den Villmergerkriegen. Die Konflikte zwischen Zürich und Schwyz blieben oft kriegerisch bis zum Sonderbundskrieg von 1847, der zur Gründung des Schweizer Bundesstaates führte.
«Schweizer Freund» von Goethe
In Rifferswil angelangt, führte das Doktorhaus zu einem Blick in die Medizingeschichte: Der Ottenbacher Arzt Hegetschweiler hatte einen Sohn, der ebenfalls zum Arzt ausgebildet wurde. Als der Rifferswiler Dorfarzt starb, erhielt der junge Hegetschweiler das Angebot, die Praxis in Rifferswil zu übernehmen und die Witwe zu heiraten. Der Sohn des Paares, Johannes Hegetschweiler, durfte als einer der ersten Landärzte studieren. Da dies in Zürich Landleuten verboten war, bestand er die Maturaprüfung im damals etwas liberaleren Aarau. Als der Dorfarzt von Stäfa starb, liess die Witwe ihren Bruder einen akademisch ausgebildeten Landarzt suchen, um ihm Praxis, Arzthaus und die Ehe mit ihrer Tochter anzubieten. Er wurde in Rifferswil fündig und Johannes zog nach Stäfa.
Johann Wolfgang von Goethe bezeichnete Johannes Hegetschweiler als seinen «Schweizer Freund». Dieser verfasste ein von Goethe inspiriertes Buch über seine drei Expeditionen zur – gescheiterten – Erstbesteigung des Tödi, in dem er unzählige botanische und geografische Beobachtungen schilderte. Auf besonderen Wunsch des Dichterfürsten zeichnete er minutiös das Wachstum der Gletscher auf. Er gehörte zu den massgebenden Liberalen, die 1830 die erste demokratische Verfassung des Kantons Zürich durchsetzten – demokratisch wenigstens für die Männer, bis die Demokratie auch für die Frauen galt, dauerte es weitere 140 Jahre. Hegetschweiler wurde Regierungsrat. Beim Versuch, 1837 zwischen der Regierung und den konservativen Putschisten zu vermitteln, wurde er erschossen.
Wärme aus der Region
Der Abschluss der Wanderung war der nachhaltigen Energiegewinnung gewidmet. Vom Zeisenberg aus erläuterte Gemeindepräsident Christoph Lüthi, wie im denkmalgeschützten Rifferswil Solarenergie genutzt werden kann, ohne das Dorfbild zu beeinträchtigen. Zum Abschluss führten Rudolf und Walter Kehrli durch die Holzschnitzelheizung des Wärmeverbunds Rifferswil: Hier wird Holz aus der Region praktisch emissionsfrei und CO2-neutral in Wärme umgewandelt. Die Fotovoltaikanlage auf dem Dach erzeugt einen Grossteil des für den Betrieb notwendigen Stroms.
«Ich nahm Auseinandersetzungen immer als bereichernd wahr»
Wie üblich fand zum Abschluss der Nahreise des Kulturkellers LaMarotte ein Gespräch mit dem Gemeindepräsidenten des Zielorts statt. Der Rifferswiler Christoph Lüthi schildert, wie er die Entwicklung der Gemeinde in den letzten fünf Jahrzehnten erlebt hat und welche Prioritäten er heute setzt.
«Anzeiger»: Christoph Lüthi, zuerst eine persönliche Frage: Ihr Geburtsort ist nicht Rifferswil. Sie wurden im Kongo geboren?
Christoph Lüthi: Meine Mutter war Kindergärtnerin, mein Vater Lehrer in Affoltern. 1962 entschieden sie sich, einen Job in der Entwicklungszusammenarbeit im Kongo anzunehmen, denn nach dem Ende der Kolonialzeit waren Schweizerinnen und Schweizer für solche Projekte aus naheliegenden Gründen wesentlich gefragter als die ehemaligen belgischen Kolonialherren. Im folgenden Jahr kam ich zur Welt. Nach der Rückkehr meiner Eltern in die Schweiz ging ich in Mettmenstetten in den Kindergarten, der in Rifferswil damals noch nicht geführt wurde. Als ich in der ersten Primarklasse war, übernahmen meine Eltern Funktionen in einem Projekt in Ruanda. Nach unserer Rückkehr beendete ich die Primarschule in Rifferswil.
Ihre Eltern engagierten sich auch in der Schweiz politisch. Wie haben Sie dies als Kind wahrgenommen?
Ich habe dies bewusst wahrgenommen und habe in der Pubertät auch die Auseinandersetzung mit ihnen gesucht. Als ich eine Landwirtschaftslehre antrat, haben sich die Diskussionen akzentuiert, was ich aber immer als bereichernd wahrnahm.
Vor allem Ihre Mutter, Margreth Lüthi, war in der ganzen Region bekannt als Sozialdemokratin. Wie war die Akzeptanz im Dorf für dieses Engagement?
Anfangs nahm ich uns als Aussenseiter wahr, nicht nur, weil wir als «Linke» galten, sondern schlicht auch als «Neuzuzüger». Als ich mich nicht in Richtung soziale Arbeit entwickelte, sondern mit der Landwirtschaftslehre begann, änderte sich dies rasch. Einheimische stellten fest: «De cha ja au schaffe.»
Analysiert man die Abstimmungsresultate der letzten Jahre im Schema von links nach rechts, steht zuerst die Stadt Zürich, direkt gefolgt von Rifferswil. Wann begann diese Entwicklung?
Rifferswil ist stark geprägt von Menschen wie meinen Eltern, die aufs Land hinausziehen wollten und ihr Gedankengut mit sich nahmen. Dies führte zu Auseinandersetzungen, aber wenn die Einheimischen feststellten, dass die Zugezogenen Leistungen für die Gemeinschaft erbringen, stieg die Akzeptanz rasch, etwa, als meine Mutter den Kindergarten in Rifferswil gründete. In den letzten zwei Jahrzehnten ihres Lebens war sie sehr gut akzeptiert.
Sie wurde auch zur Gemeinderätin gewählt, als Gemeindepräsidentin scheiterte sie nur knapp. Wie fühlte sie sich selbst im Gremium?
Damals war der Gemeinderat ziemlich konträr zur Bevölkerungsmeinung, die sich in den Abstimmungsresultaten spiegelte. Auch die Gemeindeversammlung ist politisch oft anders ausgerichtet als der Teil der Bevölkerung, der an der Urne abstimmt. Insofern war sie als einzige Sozialdemokratin grundsätzlich in der Minderheit, doch sie war eine starke, engagierte, durchsetzungsfähige Persönlichkeit und wurde deshalb akzeptiert.
Sie dagegen wurden vor drei Jahren nach kurzem Wahlkampf auf Anhieb gewählt.
Dies lag sicher auch an der Konstellation: Sechs Plätze im Gemeinderat mussten neu besetzt werden, ich entschied mich zur Bewerbung für das Präsidium und war weniger umstritten als mein Gegenkandidat.
Ein Thema, das in Rifferswil vor Ihrer Wahl zu Auseinandersetzungen geführt hat, ist der Steuerfuss.
Die Wogen haben sich geglättet. Es ist unbestritten, dass er nach dem Höchstwert von 2016 weiterhin sinken muss, wir können ihn Jahr für Jahr um zwei, drei Prozent reduzieren und wollen dies weiterhin tun, weshalb er nicht mehr so zentral in der Diskussion ist. Es ist aber klar, dass niemand wegen des Steuerfusses nach Rifferswil kommt. Die Gründe für den Zuzug sind andere: die Landschaft, das intakte Dorfbild, die gute Atmosphäre zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern.
Treten Sie in einem Jahr wieder an als Gemeindepräsident?
Ja, ich habe das vor. In den ersten zwei Jahren mussten wir uns im neuen Gremium einarbeiten, mussten viel lernen. Jetzt läuft die Arbeit so, dass wir wirklich etwas umsetzen können. Dies möchte ich fortführen.
Welches sind Ihrer Meinung nach die zentralen Themen in Rifferswil während der nächsten fünf Jahre?
Wir haben einen erheblichen Sanierungsbedarf bei den Gemeindeliegenschaften, den wir so planen müssen, dass er finanziell verkraftbar ist. Rifferswil ist noch immer weiter am Wachsen, es ist mir ein Anliegen, dass uns dies schonungsvoll und integrativ gelingt. Es gibt aber auch wichtige Themen, die sich nicht so einfach quantifizieren lassen, vor allem im Bereich der Zusammenarbeit im Dorf. Wir wollen Energien, Aktivitäten aus der Bevölkerung unterstützen, sei es für ein Fest, sei es mit der Realisierung eines konkreten Projektes wie beispielsweise das des Dorfbackofens.