Für eine solide und faire Sozialhilfe
Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektionen (Sodk), weitere Organisationen und Fachinstitutionen lancieren gemeinsam die «Charta Sozialhilfe Schweiz». Mit diesem und drei weiteren Artikeln geht der «Anzeiger» in den nächsten Wochen auf diese Grundlage ein, unterstützt von Interviews und Beiträgen aus Politik und Praxis.

Dass die Armutsbekämpfung eine wichtige öffentliche Aufgabe ist, hat 2014 Christoph Blocher in einem Interview hervorgehoben: «Armut bedeutet das Elend, dass der Mensch nicht leben oder nicht würdig leben kann. Der ganze Sinn der Politik besteht darin, die Armut zu bekämpfen. Es wird sie zwar immer geben, aber das Ziel ist, sie möglichst gering zu halten.»
Existenzminimum sichern, umfassende Abklärungen und Kontrollen
Im föderalen System des Schweizer Sozialstaates spielt sie eine wichtige Rolle, die Sozialhilfe: Sie kommt zum Zug, wenn die Möglichkeiten der vorgelagerten Sozialversicherungen, wie Arbeitslosengeld, Verbilligung der Krankenkassenprämie oder Ergänzungsleistungen etc., ausgeschöpft sind. Dann garantiert sie Bedürftigen als letztes Sicherungsnetz ein Leben in Würde. Erst, wenn also ein Haushalt – trotz Sozialversicherungsbeiträgen – die Existenz nicht sichern kann, entsteht Anspruch auf Sozialhilfe. Hauptbestandteil der Sozialhilfe ist der sogenannte Grundbedarf, ein Pauschalbetrag für Essen, Kleider und andere alltägliche Anschaffungen. Für eine alleinstehende Person beträgt dieser in den meisten Kantonen 986 Franken (in einigen weniger, im Kanton Waadt mehr). Dazu kommen die Wohnungskosten im ortsüblichen Rahmen und die medizinische Grundversorgung, zudem können aus wirtschaftlichen, familiären oder gesundheitlichen Gründen situationsbedingte Leistungen hinzukommen, etwa Hortkosten oder Auslagen im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit.
Wer Sozialhilfe bezieht, muss sich nicht bloss kooperativ verhalten und Auflagen einhalten, er hat auch alles zu tun, um die Notlage zu lindern. Ist dies nicht der Fall, können die Leistungen gekürzt werden, und zwar von 5 bis 30 Prozent. Ivo Lötscher, Geschäftsleiter Sozialdienst Bezirk Affoltern: «Sozialhilfe ist kein Selbstbedienungsladen. Für jeden Einzelfall wird auf Grund der konkreten Notlage der individuelle Bedarf ermittelt. Wer ein Gesuch stellt, muss seine finanziellen und persönlichen Verhältnisse völlig offen legen. Die grosse Mehrheit ist ehrlich und kooperativ. Um Missbrauch zu verhindern, sind aber immer Kontrollen notwendig. Solche Abklärungen können rund einen Viertel unserer Ausgaben ausmachen.»
Ein Erfolgsfaktor für die Schweiz
Die «Charta Sozialhilfe Schweiz» wurde Ende März von der Sodk, dem Schweizerischen Städteverband, der Städteinitiative Sozialpolitik, dem Schweizerischen Roten Kreuz, der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und der Skos lanciert. Mit der verpflichtenden Grundsatzerklärung würdigen die Organisationen die Bedeutung der Sozialhilfe als ein zentrales Element zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung sowie als entscheidenden Faktor für die gesellschaftliche Stabilität: «Die Sozialhilfe sorgt dafür, dass Personen, die in eine Notsituation geraten sind, nicht in Armut geraten und ausgegrenzt werden. Und sie verhindert die Entstehung von Elendsquartieren, wie sie in anderen Ländern vorkommen.» Als wichtige und notwendige Absicherung sei sie damit auch ein Erfolgsfaktor für die Schweiz.
Drei Organisationen im Bezirk Affoltern
Die Charta-Unterzeichnenden – sie kann unter www.charta-sozialhilfe.ch unterschrieben werden – sprechen sich für eine solide und faire Sozialhilfe aus, deren Zweck es ist zu integrieren und nicht auszugrenzen. Diese Unterstützung soll ein Leben in Würde ermöglichen und den Betroffenen die Chance geben, wieder in die finanzielle Selbstständigkeit zurückzufinden. Die Grundsatzerklärung ist in die drei Teile «Die Sozialhilfe nützt der Schweiz», «Die Sozialhilfe wirkt für die Betroffenen» und «Die Sozialhilfe ist breit abgestützt» gegliedert, auf die der «Anzeiger» in den Folgebeiträgen eingehen wird.
Im Bezirk Affoltern wird die Sozialhilfe seit etwas mehr als einem Jahr von drei Organisationen geleistet: Die IKA Sozialdienst Bezirk Affoltern, getragen von Aeugst, Hausen, Hedingen, Knonau, Maschwanden, Mettmenstetten, Obfelden und Ottenbach. Bonstetten, Stallikon und Wettswil wickeln die Sozial- und Wirtschaftshilfe über ihre eigene IKA Sozialdienst Unteramt ab, während die Leistungen für Berufsbeistandschaften, Suchtberatung und Asylwesen von der Bezirks-IKA bezogen werden. Die Stadt Affoltern schliesslich führt eine eigene Sozialdienst-Organisation, welcher auch die Gemeinden Kappel und Rifferswil angeschlossen sind. «Die gesamten Aufwendungen aller 14 Gemeinden im Knonauer Amt für die wirtschaftliche Sozialhilfe belaufen sich auf rund 12 Millionen Franken pro Jahr», erklärt Bertram Thurnherr, Verwaltungsratspräsident der IKA Sozialdienst Bezirk Affoltern, und ergänzt: «Rund 75 Prozent sind Leistungen an die Sozialhilfeempfänger, 25 Prozent entfallen auf die Sozialarbeit der drei Einheiten im Unteramt, in der Stadt Affoltern und beim Sozialdienst zur Klärung von Anspruchsberechtigungen und zur Begleitung der Sozialhilfeempfänger im Hinblick auf Wiedererlangung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit.» Sämtliche 14 Bezirksgemeinden sind zudem bezüglich Kindes- und Erwachsenenschutz ein sogenannter Kesb-Kreis und betreiben eine Kesb- Behörde.