Immer mehr häusliche Gewalt
Viermal so viele Fälle am Bezirksgericht im Vergleich zu 2015

Auch im Bezirk Affoltern ist die Zahl von Fällen häuslicher Gewalt stark angestiegen. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren gar vervierfacht. 2015 registrierte das Bezirksgericht 20 Fälle, im vergangenen Jahr gar 80. «Das ist ein grosser Mehraufwand für das Zwangsmassnahmengericht», sagt Reto Barblan, Leitender Gerichtsschreiber und Mitglied der Gerichtsleitung. Er ist am Bezirksgericht Affoltern in seiner Funktion als Ersatzrichter für die Zwangsmassnahmen zuständig, die vorwiegend im Zusammenhang von häuslicher Gewalt, aber auch bei Untersuchungsverfahren notwendig sind. Dabei geht es um Kontakt- und/oder Rayonverbote und bei Strafverfahren um die Frage, ob Untersuchungshaft angeordnet werden muss. Dies erfordert ein schnelles Handeln und viel Koordinationsarbeit, etwa mit der Polizei und den Gefängnissen. Dass dies dem Leitenden Gerichtsschreiber als Ersatzrichter obliegt, hat einen Grund: Richterinnen und Richter, die sich mit solchen Zwangsmassnahmen beschäftigten, dürfen bei den nachfolgenden Gerichtsverfahren aus Befangenheitsgründen nicht mehr mitwirken.
Mehr Arbeit für Einzelgericht
Das Bezirksgericht Affoltern verzeichnete im vergangenen Jahr auffallend wenig Fälle in Strafsachen, die im Kollegialgericht behandelt werden – also in einer Dreierbesetzung, unter anderem, wenn Strafen von mehr als zwölf Monaten beantragt werden. Laut Reto Barblan waren das im vergangenen Jahr gerade mal zwei Fälle, wogegen der mehrjährige Durchschnitt um die zehn Fälle beträgt. Einzelrichterinnen und -richter hatten demgegenüber mehr zu tun. 2024 standen 31 Fälle an, bei denen es um Strafen bis zu zwölf Monaten geht – ein Durchschnittswert. «Im laufenden Jahr haben wir dieses Soll bereits erfüllt», so der Leitende Gerichtsschreiber. Raserdelikte (20 bis 30 Prozent landen beim Einzelgericht), Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Beschimpfung, Betrug, Diebstahl, Veruntreuung, verbotene Pornografie – das Spektrum der Taten ist auch in Affoltern breit. Einen Schwerpunkt gibt es aber nicht. Bei abgekürzten Verfahren, wenn das Gericht nur einen Urteilsvorschlag zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Anwalt des Beschuldigten zu prüfen hat, bewegt sich die Zahl 2024 (13) leicht unter dem Durchschnitt (15 bis 20). Medienträchtige Fälle sind in Affoltern die Ausnahme: Versuchte Anstiftung zum Mord, was in diesem Frühjahr behandelt wurde, ist so einer.
Positiv hebt Reto Barblan die hohe Erledigungsrate am Bezirksgericht hervor. «Die ist so gut wie schon lange nicht mehr. Wir konnten im vergangenen Jahr zahlreiche ältere Fälle und Pendenzen abschliessen.» Viele zusätzliche Ressourcen erfordern aber vor allem Zivilverfahren. Familienrechtliche Verfahren wie Scheidungen und Eheschutzprozesse stechen da heraus – und in den letzten Jahren auch die (unstrittigen) Erbschaftsangelegenheiten, wo Testamente eröffnet und (später) Erbschaftsscheine ausgestellt werden. Vor wenigen Jahren bewegte sich diese Zahl im Durchschnitt um die 400 Fälle pro Jahr, 2024 waren es beinahe 700.
Die Zahl der Mietschlichtungen lag 2024 mit 120 im langjährigen Durchschnitt. 2023 erfolgte ein «Ausreisser» mit 300 Fällen. Das war damals auf den veränderten Referenzzinssatz zurückzuführen, der zu Mietzinserhöhungen geführt hat.
Knappe Ressourcen
Schafft das Bezirksgericht die in den letzten Jahren gestiegene Arbeitslast? «Wir sind da an der Grenze, die Ressourcen sind knapp. Wir spüren es, wenn jemand abwesend ist», sagt Reto Barblan. Am Bezirksgericht Affoltern sind sechs Richterinnen und Richter tätig, die sich 400 Stellenprozente teilen. Die Pensen liegen zwischen 40 und 100 Prozent (Gerichtspräsident). Dazu kommt der Leitende Gerichtsschreiber (100 Prozent) sowie sieben Gerichtsschreiberinnen und -schreiber mit insgesamt 650 Stellenprozenten. Und fünf Auditoren (500 Prozent) sowie die Kanzlei mit sieben Beschäftigten. Dort konnte der Beschäftigungsgrad von 380 auf 430 Prozent erhöht werden, was laut Barblan dringend nötig gewesen ist.