Mit Video: Heilige Blüten aus Knonau fürs Ricola-Zeltli

Die tellerförmigen crème-weissen Dolden verströmen einen ­betörenden Duft. Sie sind zurzeit das begehrteste Gut auf dem Biohof Margel. Gross und Klein werden eingespannt, um die Blüten zu ernten. Der «Anzeiger» lässt die Pflanzen zu Wort kommen.

Seit 2001 stehen wir Holunderbüsche auf dem Hof Margel in Knonau, idyllisch zwischen sanften Hügeln. Früher war der Hof ein Viehbetrieb, geführt von Landwirt Jakob Frei. Er suchte nach ­einer wenig flächenintensiven Kultur für seinen Hof. Erst dachte er daran, Kräuter anzubauen. Mit dieser Idee ­gelangte er an das Unternehmen Ricola. Doch die Verantwortlichen winkten ab. Die Kräuter im Ricola-Bonbon stammen ausschliesslich aus dem Schweizer Berggebiet. Und das sollte auch so bleiben. Gleichzeitig offenbarte sich, dass die Firma den Anbau von Holunderblüten in der Schweiz zu fördern gedachte. So kam es, dass Jakob Frei mit finanzieller Unterstützung seitens der Bonbonfirma mich und 614 weitere Holunderbäume der Sorte Haschberg pflanzte. Er sollte es nicht bereuen!

Als Tor in die Unterwelt verehrt

Es werden uns ja zahlreiche sagenumwobene Wunderkräfte nachgesagt. Die Germanen verehrten uns als heilige Bäume, denn wir galten für sie als Baum der Ahnen und wurden als Tor in die Unterwelt betrachtet. Um die guten Geister nicht zu verärgern, hielt sich eine Zeit lang gar der Brauch, vor uns den Hut ziehen. Diese Zeiten sind jedoch vorbei! Noch heute bekannt ist allerdings, dass wir über Heilkräfte verfügen. Der Saft aus unseren Blüten und Früchten gilt als bewährtes Hausmittel gegen Fieber, Schnupfen und Husten.

Zurück zum Hof Margel. Seit knapp zwei Wochen werden unsere fleischig blühenden Dolden von geschickten Händen gepflückt. Kathrin und Lukas Frei, die den Hof seit 2006 in vierter Generation führen, erhalten in dieser geschäftigen Zeit Unterstützung von Familie und Bekannten. Für die Erntearbeit stehen die emsigen Helfer am Boden, ziehen unsere elastischen bis zu vier Meter hohen, ein- oder zweijährigen Triebe runter, knipsen die blühenden Dolden mit den Fingern ab und legen sie sorgfältig in einen Eimer. Dieser wird von ihnen regelmässig geleert. Gesammelt wird die weisse Pracht vorerst in einer grossen Box, die zwischen zwei Baumreihen im kurz geschnittenen Gras steht.

Sanft und schonend trocknen

Das Mähen der Wiese kommt uns zugute. So müssen wir mit dem Gras weniger um lebenswichtige Nährstoffe buhlen. Auch fühlen sich die Mäuse in einer kurz geschnittenen Wiese seltener wohl. Die kleinen Nagetiere halten uns, aber auch Kathrin und Lukas Frei ständig auf Trab. Es gab Zeiten, da fanden sie hier paradiesische Zustände vor. Wir alle fürchteten ständig um unsere Wurzeln. Seit drei Jahren ist die Plantage glücklicherweise mit einem ungefähr 30 Zentimeter hohen Gitterzaun umgeben, der beinah gleich weit ins Erdreich hinunterreicht. Die Blattläuse können uns ebenso zu schaffen machen. Bei einem aussergewöhnlich hohen Befall mussten unsere jungen Äste auch schon von Hand befreit werden. Was für ein Zusatzaufwand! Im Winter werden wir jeweils vom Altholz befreit und später biologisch gedüngt und gespritzt. Das verleiht uns zusätzliche Kräfte.

Doch jetzt ist Erntezeit. Die Ladung Blüten, die mittlerweile in der Box liegt, muss frei von Ungeziefer, Blättern und Ästen sein, bevor sie auf dem Hof getrocknet wird. Unsere gepflückten Dolden werden in geräumige Container mit mehreren Schubladen gefüllt, wo ihnen während ungefähr vier Tagen die Feuchtigkeit entzogen wird. Sanft und schonend. Das Gewicht der Blüten reduziert sich dabei um das sieben- bis achtfache. Während des Trocknungsprozesses wird der intensiv duftende Blütenberg immer wieder mit einer Gabel gelockert, so dass die Luft gut zirkulieren kann. Fertig getrocknet werden die Holunderblümchen in Säcke verpackt. Sobald die Ernte abgeschlossen ist, transportiert die Familie Frei die rund 500 Kilogramm schwere Ware eigens ins Werk von Ricola nach Laufen, Baselland.

Exklusiv für den Zeltlihersteller

Die gesamte Ernte wird exklusiv an den Zeltlihersteller verkauft. Die Zusammenarbeit mit diesem Weltkonzern bezeichnet Kathrin Frei als sehr gut und fair. «Sie sind überaus bemüht und nah am Produzenten.» Da ihr Hof ein zertifizierter Biobetrieb ist, erhalten sie von Ricola einen entsprechenden Preis pro Kilo Blüten.

Nach der intensiven Erntezeit wird es wieder ruhiger um uns Holunderbüsche. Wir bündeln unsere Kräfte nun, um weiter böse Geister von Haus, Hof und Stall fernzuhalten, und um im nächsten Frühling erneut mit den bezauberndsten Blüten aufzutrumpfen.

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