Vom Duft von frisch gebrautem Bier

Wo heute der Brauipark entsteht, dampften einst die grossen Kessel der Winkelmann-Brauerei

Die Brauerei Winkelmann zählte über Jahrzehnte zu den erfolgreichen Industriebetrieben in Affoltern.(Bild Ortsmuseum Affoltern)

Die Brauerei Winkelmann zählte über Jahrzehnte zu den erfolgreichen Industriebetrieben in Affoltern.(Bild Ortsmuseum Affoltern)

Zeitgemässe Werbung für einen Bieranlass in Affoltern. (Bild Ortsmuseum Affoltern)

Zeitgemässe Werbung für einen Bieranlass in Affoltern. (Bild Ortsmuseum Affoltern)

Auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei Winkelmann entsteht heute ein modernes Wohn- und Gewerbequartier.  (Bild Angela Bernetta)

Auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei Winkelmann entsteht heute ein modernes Wohn- und Gewerbequartier. (Bild Angela Bernetta)

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten Hopfenschwaden und dampfende Braukessel zum Alltag in Affoltern. Die 1874 gegründete Bierbrauerei Winkelmann beeinflusste das Dorfleben über Jahrzehnte. Was im 19. Jahrhundert als vielversprechendes Unternehmerprojekt begann, steht heute beispielhaft für den Aufbruch der Region ins Industriezeitalter.

Der Gründergeist

Rudolf Winkelmann, 1817 in Affoltern geboren, entstammte einer angesehenen Familie. Sein Vater Hans Rudolf war Schreiner, Säckelmeister und Zivilgemeindepräsident. 1840 heiratete er die gleichaltrige Barbara Stäubli aus Horgen. Als vielseitiger Unternehmer gründete, leitete oder erwarb er im Laufe seines Lebens verschiedene Betriebe – von der Sägerei und Mühle über eine Baumwollspinnerei bis hin zu einem Gastronomiebetrieb.

Vier Jahre vor seinem Tod liess Winkelmann am Dorfrand von Affoltern in Richtung Obfelden eine Bierbrauerei bauen. 1874 übergab er das Unternehmen an seine vier Söhne. Die Lage direkt an der Bahnlinie Zürich–Zug–Luzern – seit 1864 in Betrieb – erwies sich als strategischer Vorteil: Rohstoffe kamen schneller an, das Bier gelangte rascher zur Kundschaft. Als Rudolf Winkelmann 1876 mit nur 57 Jahren starb, führten seine Söhne den Betrieb weiter.

Albert und Jean hatten das Brauhandwerk in München gelernt und in Pilsen, Frankfurt und anderen Bierstädten verfeinert. Albert übernahm die kaufmännische Leitung und den Vertrieb, während Jean die Produktion leitete. Arnold kümmerte sich um die Küferei, die zur Brauerei gehörte, und Heinrich führte das vom Vater erbaute Hotel Zum Löwen direkt neben dem Bahnhof Affoltern.

Hinter den Kesseln

Die Bierbrauerei war für die damaligen Verhältnisse ein beachtlicher Betrieb – mit Verwaltungsgebäude, Sudhaus mit markantem Schornstein, grossen Lagerkellern und dem angrenzenden Brauiweiher. Im Winter schlug man Eisblöcke heraus, nutzte sie als natürliches Kühlmittel und verkaufte sie an die umliegenden Gastwirtschaften. Für die Bevölkerung war der Brauiweiher zudem ein Treffpunkt. Sobald die Oberfläche zufror, wimmelte es von Schlittschuhläuferinnen und -läufern. Heute befindet sich dort ein Freizeitpark der Stadt.

Pauline Hofer-Winkelmann, die Tochter von Brauer Jean Winkelmann, erinnerte sich 1950 in einer Chronik an ihre Kindheit in der Brauerei. Eine von Bäumen gesäumte Strasse führte zum Wohnhaus «wie eine Schlossallee», schrieb sie. Von dort sah man über das ganze Dorf, während unten die Züge vorbeiratterten. Im Brauereigebäude führten eiserne Treppen auf eine Galerie, die rund um die mächtigen Braukessel reichte. Der Duft von Hopfen und Malz lag in der Luft, und wenn Bier gebraut wurde, roch man es im ganzen Dorf.

Träume vom Bier

Die Brauerei florierte, begünstigt durch die gute Bahnanbindung und den wachsenden Bierkonsum in der Region. 1894 warb das Unternehmen für sein helles und dunkles Lager- und Exportbier, gebraut aus feinstem mährischem Malz und böhmischem Hopfen. Besonders beliebt war ein hoch vergorenes Flaschenbier, das als bekömmlich beschrieben und laut zeitgenössischen Berichten sogar von Ärzten empfohlen wurde.

Die Hauptabsatzgebiete der Brauerei lagen in den Kantonen Aargau, Zürich, Luzern, Schwyz und Zug. 1895 erhielt der Betrieb einen neuen Namen: Aus der «Bierbrauerei Gebr. Winkelmann» wurde die «Bierbrauerei Affoltern am Albis». Die 1890er-Jahre waren die erfolgreichste Zeit des Unternehmens. Sieben Mitarbeitende stellten rund 4000 bis 5000 Hektoliter Bier her – überwacht von erfahrenen deutschen Braumeistern, die in der Branche als die besten galten.

Ein Abschied

Doch der Aufschwung hielt nicht an. Nach dem Tod von Geschäftsführer Albert Winkelmann im Jahr 1904 übernahm die «Genossenschaft Brauerei Affoltern» den Betrieb. Der wachsende Konkurrenz- und Preisdruck setzte dem Unternehmen weiter zu, und 1907 verkaufte man nur noch rund 1600 Hektoliter Bier. Am 1. Oktober desselben Jahres stellte die Brauerei ihren Betrieb endgültig ein.

Die «Brauerei am Uetliberg» übernahm die verbliebenen Vorräte an Hopfen und Malz, die Transportfässer, die Kundschaft, die Ausschankeinrichtungen sowie Darlehen auf Gastwirtschaften. Das Sudwerk sowie die Kühlanlage gingen an eine neu gegründete Brauerei im oberitalienischen Monza.

Vom Kessel zum Park

Nach dem Ende der Bierproduktion zog auf dem Areal eine chemische Fabrik ein. Sie stellte Petroleumprodukte her – bis eine Explosion mit anschliessendem Grossbrand im Jahr 1925 der industriellen Nutzung abrupt ein Ende setzte. 1938 übernahm der Unternehmer Matthias Störi das Gelände. Er liess die verbliebenen Gebäude abbrechen und baute auf dem sogenannten Feldherrenhügel ein Wohnhaus. Im Keller installierte man Tanks für die Obstverwertungsgesellschaft Affoltern (OVA), verbunden über Röhren direkt mit dem Versorgungsnetz. Von 1952 bis 1992 führte sein Sohn Roland auf dem angrenzenden Land eine Holzwollefabrik. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde das Areal neu erschlossen und für eine zeitgemässe Nutzung vorbereitet.

Heute erinnert nur noch der Name «Brauipark» an die einstige Bierbrauerei. Auf dem Gelände entsteht ein modernes Wohn- und Gewerbequartier – doch die Geschichte der Winkelmann-Brauerei lebt weiter. Sie erzählt von Unternehmergeist, handwerklichem Können und einer Zeit, in der das Säuliamt seine ersten industriellen Wurzeln im Industriezeitalter schlug.

Quellen: Affoltern am Albis, Hans Peter Treichler; Alte Geschichten aus dem Säuliamt, Willy Hug

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