Wo Kunst auf Unternehmertum trifft

Ämtler Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld zwischen Verwirklichung und finanziellem Druck

Fabienne Grimbühler, Malerin. (Bilder zvg)

Fabienne Grimbühler, Malerin. (Bilder zvg)

Fabrizio Vignali, Fotograf.

Fabrizio Vignali, Fotograf.

Katrin Zuzáková, Kunstpädagogin und Bildhauerin.

Katrin Zuzáková, Kunstpädagogin und Bildhauerin.

Marlies Achermann, Künstlerin und Kunstvermittlerin.

Marlies Achermann, Künstlerin und Kunstvermittlerin.

Toni Lengen, Holzbildhauer.

Toni Lengen, Holzbildhauer.

Kunst war schon immer ein Spiegel menschlicher Vorstellungskraft, doch in der heutigen Welt ist sie zugleich ein Beruf, der Organisation, Sichtbarkeit und finanzielle Widerstandskraft verlangt. In der Region Säuliamt, wo Kreativität blüht, aber die strukturelle Unterstützung begrenzt bleibt, müssen Künstler zunehmend zwei Identitäten vereinen: den visionären Schöpfer und den pragmatischen Unternehmer.

Der «Anzeiger» sprach mit fünf lokalen Künstlerinnen und Künstlern darüber, wie sie diese Doppelrolle meistern. Ihre Geschichten zeigen wiederkehrende Themen – das Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit, die Notwendigkeit von Sichtbarkeit und die wachsende Last der Administration. Gemeinsam zeichnen sie das Bild einer Generation, die selbstbestimmt, kommunikativ und strategisch organisiert sein muss, um ihre Karriere zu sichern.

Unternehmertum für Freiheit

In einer Landschaft ohne dichtes Galerienetz bestimmen finanzielle Grundlagen oft, ob kreative Projekte gedeihen können. Der Fotograf Fabrizio Vignali aus Stallikon betont, dass Autonomie mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit beginnt. «Finanzielle Unabhängigkeit ist die Grundlage kreativer Freiheit. Wenn man sich selbst tragen kann, muss man seine Ideen nicht den Erwartungen anderer anpassen», so Vignali.

Für ihn ist die Balance zwischen Auftragsarbeiten und persönlichen Projekten kein Kompromiss, sondern eine Überlebensstrategie. Nur ein kleiner Bruchteil der Künstler lebt ausschliesslich von Galerien. Die meisten bewegen sich zwischen zwei Welten: tief persönlicher Kunst und auf der anderen Seite praktischen Aufträgen, die Rechnungen bezahlen. Fabrizio Vignali sieht darin keinen Misserfolg, sondern Widerstandskraft – eine Möglichkeit, Leidenschaft lebendig zu halten und zugleich den Alltag zu meistern.

Katrin Zuzáková, Kunstpädagogin und Bildhauerin aus Obfelden, hebt eine andere Dimension des Unternehmertums hervor: Kommunikation.

«Ein Künstler, der sich nicht vermarkten kann, wird Mühe haben, von seiner Kunst zu leben – es sei denn, jemand anderes übernimmt diese Arbeit», reflektiert sie.

Für Katrin Zuzáková war Selbstvermarktung anfangs unangenehm, doch die Notwendigkeit zwang sie dazu. Verkauf von Kunst ist für sie jedoch mehr als ein Geschäft – es ist ein Moment der Verbindung. Wenn eine Skulptur ein Zuhause findet, in dem sie täglich Freude bereitet, hat sie ihren Zweck erfüllt.

Anpassung an den Wandel

Flexibilität ist das Fundament von Marlies Achermann. Die Künstlerin und Kunstvermittlerin aus Bonstetten sieht unternehmerisches Denken aus Künstlersicht als untrennbar mit dem Überleben verbunden. «Mein Geschäftsmodell ist einfach, sichtbar zu bleiben – zu zeigen, was ich tue, warum ich es tue und wie ich mich entwickle», sagt sie.

Marlies Achermann verweist auf die digitale Transformation als entscheidenden Faktor. Onlineplattformen haben den Kunstmarkt verändert und bieten Chancen für jene, die sich darauf einlassen. Wer diese Kanäle ignoriert, verpasst wichtige Verbindungen und Anerkennung.

Freiheit jenseits des Verkaufs

Für Toni Lengen, Holzbildhauer aus Stallikon, nimmt Unternehmertum eine andere Form an. Da er nicht mehr auf Kunst als Einkommen angewiesen ist, setzt er auf direkten und informellen Zugang zu seinen Arbeiten. «Ich muss keine Ausstellungen mehr jagen oder von Kunst leben. Die meisten Ausstellungen bedeuten viel Arbeit mit wenig Ertrag. Deshalb zeige ich meine Werke in meinem eigenen Schaulager – einem einfachen Raum zur Ansicht. Jeder Künstler braucht einen Ort, an dem seine Werke gesehen werden können», erklärt er.

Er lehnt die romantische Vorstellung ab, dass reine Kreativität ausreicht. Unternehmerisches Denken ist für ihn ein praktisches Werkzeug, das Komplikationen reduziert und kontinuierliches Schaffen ermöglicht.

Der Arbeit treu bleiben

Die junge Malerin Fabienne Grimbühler aus Kappel verkörpert eine andere Philosophie. Für sie wurzelt Kunst in innerer Motivation, nicht in Ökonomie. «Meine Kreativität wird nicht von Wirtschaft getrieben – sie wird von Liebe getragen, die keinem Geschäftsplan folgt. Sie wächst, wo sie wachsen will, und in ihrem eigenen Tempo», sagt sie.

Auch wenn sie ihr Leben bisher nicht vollständig durch Kunst finanzieren konnte, besteht Grimbühler darauf, dass finanzielle Nachhaltigkeit niemals der Grund fürs Malen werden darf. Sie wählt sorgfältig, wann und wie sie Sichtbarkeitstools wie soziale Medien nutzt, und stellt den Schutz ihrer inneren Motivation über kommerzielle Entwicklung.

Künstler müssen die Last tragen

Die ehemalige Galeristin Elfi Bohrer, mit über drei Jahrzehnten Erfahrung, hat einen tiefgreifenden Wandel erlebt.

«Die Arbeit mit einer Galerie ist echte Zusammenarbeit – sie verlangt Vertrauen, Fairness und Kommunikation von beiden Seiten. Es geht nie nur darum, Kunst an Wände zu hängen; es geht um eine gemeinsame Reise», erinnert sie sich.

Elfi Bohrer betont, dass Selbstvermarktung unvermeidbar geworden ist und Künstler nun Aufgaben übernehmen müssen, die früher Galerien erledigten. Organisation, Zuverlässigkeit und Engagement sind ebenso wichtig wie Kreativität. Ohne diese Fähigkeiten, warnt sie, können Werke buchstäblich verschwinden.

Aus allen Stimmen ergibt sich eine Wahrheit: Künstler müssen heute mehr sein als Schöpfer. Sie sind Strategen, Kommunikatoren und Organisatoren – oft ohne die institutionelle Unterstützung vergangener Jahrzehnte. Doch keiner von ihnen sieht Unternehmertum als Ersatz für seine künstlerische Identität. Vielmehr betrachten sie es als Gerüst, das Leidenschaft in einer anspruchsvollen Umgebung trägt.

Damit die künstlerischen Stimmen des Säuliamts sichtbar bleiben, braucht es geteilte Verantwortung. Künstler werden weiter erschaffen, doch kulturelle Institutionen müssen ihre Sichtbarkeit stärken, und die Öffentlichkeit muss lokale Kunst wertschätzen. Die Zukunft der Kreativität in der Region hängt nicht nur von individueller Widerstandskraft ab, sondern von kollektiver Anerkennung.

Kunst ist schliesslich nicht nur ein Produkt – sie ist ein Dialog zwischen Schöpfer und Gemeinschaft. Und in diesem Dialog ist Unternehmertum zur Sprache geworden, mit der Künstler sicherstellen, dass ihre Stimmen gehört werden.

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