Auf Friedensmission im Kosovo
Die Aeugsterin Roberta Emch berichtet über ihre Erfahrungen als «Peacekeeperin»
Eigentlich hatte Roberta Emch bis vor Kurzem gar nichts am Hut mit dem Militär. Doch ihr Wunsch, als Teil der Swisscoy in den Kosovo zu gehen, machte eine militärische Ausbildung nötig. So absolvierte sie eine allgemeine militärische Grundausbildung sowie den dreimonatigen Ausbildungskurs in Stans-Oberdorf. Und am 3. Oktober 2023 begann ihr sechsmonatiges Abenteuer in der Funktion als Observer des 49. Kontingentes der Swisscoy im Rahmen der Friedensförderung der Schweizer Armee. Inzwischen ist sie wieder zurück in der Schweiz.
«Anzeiger»: Warum wollten Sie einen Einsatz im Kosovo, einem der ärmsten Länder Europas, leisten?
Roberta Emch: Primär wollte ich einen aktiven und persönlichen Beitrag zum Friedensprozess leisten. Ich liebe den Kontakt zu Menschen. Und generell faszinieren mich fremde Kulturen und Länder. Ich suche immer wieder die Herausforderung, möchte Unbekanntes kennenlernen und neue Impulse für mich als Mensch erhalten. Meinen Horizont stets zu erweitern und dabei etwas Nützliches zu tun, gibt mir das Gefühl von Lebendigkeit.
Doch warum ausgerechnet als Swisscoy-Soldatin in den Kosovo?
Vor einigen Jahren war ein Bekannter von mir im Kosovo und berichtete mir von seinem Einsatz. Später, an einem Besuchstag der Swisscoy in der Kaserne in Stans-Oberdorf erfuhr ich Weiteres über den Auslandseinsatz. Der finale Ausschlag gab dann ein interessantes Gespräch mit einer Angehörigen der Armee an einem Informationsstand des Kompetenzzentrums Swissint im Sihlcity in Zürich, welche ebenfalls als Observer im Kosovo einen Einsatz geleistet hatte.
Um Soldatin zu werden, absolvierten Sie einen militärischen Ausbildungskurs in Stans-Oberdorf. Was beinhaltete die Ausbildung?
Zuerst galt es, den Bewerbungsprozess erfolgreich zu bestehen. Bei einer ersten Selektion wurde ich medizinisch durchgecheckt, bei der zweiten Selektion wurden unter anderem meine Sprachkenntnisse getestet sowie persönliche Gespräche geführt. Es gehörte unter anderem das Erlernen der militärischen Umgangsformen, die korrekte Handhabung einer Waffe, Minenkunde, regelmässige Sport- und Schiesstrainings, das Erlernen von Verhaltensweisen bei medizinischen Notfällen und sicherheitsrelevanten Gefährdungen dazu. Wir entwickelten uns zu echten Experten im Kartenlesen und erhielten darüber hinaus umfassendes Wissen über die Kultur, Geschichte und politische Situation des Landes.
Wo wurden Sie nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss eingesetzt?
Ich war Beobachterin in einem sogenannten Liaison-and-Monitoring-Team. Wir wohnten im Kosovo in einem sogenannten LMT-Haus in einem Stadtteil des multiethnisch geprägten Mitrovica. Diese Stadt liegt im Norden des Landes, wird durch den Fluss Ibar in einen nördlichen, vorwiegend serbisch- und in einen südlichen, vorwiegend albanischsprachigen Teil gegliedert. Im Kleinstaat Kosovo sind weiterhin zwei Währungen im Umlauf. Im serbischen Teil wird mit dem Dinar bezahlt, im albanischen mit dem Euro. Der Norden des Landes ist nach wie vor ein Pulverfass. Die serbische Minderheit strebt nach mehr Autonomie und Selbstverwaltung. Bis heute akzeptiert Serbien die völkerrechtliche Unabhängigkeit Kosovos nicht, was regelmässig zu Scharmützeln zwischen den beiden Völkergruppen führt. Die desolate Wirtschaftslage befeuert die Lage zudem.
Was waren Ihre Aufgaben im Kosovo?
Ich stand in engem Austausch mit der lokalen Bevölkerung und Vertretern von örtlichen Institutionen. Unsere Aufgabe war es, der Bevölkerung den Puls zu fühlen. Dazu führten wir Gespräche, hörten zu und bauten Vertrauen auf. Extrem wichtig dabei war, keinesfalls für eine der Bevölkerungsgruppen Partei zu ergreifen. Als Vertreter der neutralen Schweiz wurde unsere Präsenz akzeptiert und geschätzt. Mein Team war unter anderem für Schulen, Spitäler und gemeinnützige Organisationen zuständig. Wenn wir als reines Frauenteam unterwegs waren, erleichterte uns dies den Zugang zur weiblichen Bevölkerung deutlich. Es ergaben sich spontane Gespräche auf der Strasse und somit tiefere Einblicke in den weiblichen Teil des Alltags im Kosovo. Wir waren stets mit Sprachmittlern unterwegs, welche die Gespräche auf Serbisch oder Albanisch übersetzten. Die Gesprächsprotokolle übersetzten wir im Anschluss in die Patrouillen- und Meetingrapporte gemäss Nato-Richtlinien. Damit erhält die Kfor Informationen, mit denen sie die Sicherheitslage beurteilen und ein gesamtheitliches Bild erstellen kann.
Wie sah Ihr Alltag aus?
Wir arbeiteten sechs Tage pro Woche. Um 8 Uhr morgens fand jeweils ein Briefing statt. Via Medien informierten wir uns über lokale politische sowie wirtschaftliche Entwicklungen. Dann schwärmten wir in unseren Teams aus und trafen uns mit Vertretern verschiedener Institutionen unseres Verantwortungsbereichs. Daneben gab es auch immer einiges im und ums Haus zu tun. Abends trafen sich alle Hausbewohnerinnen und -bewohner für ein gemeinsames Nachtessen, das im Kochdienst-Turnus von jeweils einer Person für alle zubereitet wurde.
Sie haben während sechs Monaten alle eng beisammen gewohnt. Was waren die Herausforderungen?
Wir waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen und teilten uns jeweils zu zweit ein Zimmer. Viele Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre gab es nicht. So erlebten wir unzählige Momente im engen Miteinander, in denen wir zusammen Gesellschaftsspiele machten, lachten und angeregte Unterhaltungen führten.
Welche Emotionen hinterlässt der Aufenthalt in Kosovo?
Die herzliche Gastfreundschaft der Bevölkerung war überwältigend. Unter dem Aspekt, dass viele dieser Menschen unsägliches Leid – Verlust von Angehörigen und Heimat – ausgestanden haben und unter ärmlichsten Verhältnissen leben, berührte mich dies umso mehr. Diese Widerstandskraft der Menschen ist eindrücklich. Ihre Probleme sind existenziell. Umso schöner war es für mich, dass dank der durch die Kfor initiierten Projekte niederschwellig Hilfe realisiert und sichtbar gemacht werden konnte. Beispielsweise wurden neue Basketballbälle für einen Sportverein organisiert, die Reparatur eines Lifts in einer Institution für beeinträchtigte Menschen ermöglicht und Malfarben für Kinder besorgt. Diese Momente erfüllten mich mit Freude und Zufriedenheit. Möge unser aller Einsatz dazu beitragen, dass dieses leidgeprüfte Land seinen Frieden findet.