«Ich zitterte am ganzen Körper»

Der Bonstetter alt Gemeinderat Claude Wuillemin, 63, leitet seit 20 Jahren Fussballspiele. Während einer Partie von ­C-Junioren wurde er ­niedergeschlagen.

Macht als Schiedsrichter weiter: Claude Wuillemin. (Bild Ruedi Burkart)
Macht als Schiedsrichter weiter: Claude Wuillemin. (Bild Ruedi Burkart)

Es passierte aus dem Nichts. «Plötzlich war da ein Schatten. Und dann lag ich auf dem Boden.» Claude Wuillemin ­erzählt seine Geschichte mit markigen Worten, verleiht ihnen mit Gestik eine noch höhere Wirkung. Er lehnt sich im Stuhl zurück, nimmt einen Schluck Kaffee. Er schüttelt den Kopf, auch jetzt noch, Wochen nach dem Vorfall. Geschehen ist das Unfassbare in einem der letzten Spiele der vergangenen Saison.

Wuillemin, der früher im Limmattal als Trainer tätig war, pfeift seit rund 20 Jahren Fussballspiele. Er wohnt in Bonstetten und ist dort als SVP-Sektionspräsident auch in der Lokalpolitik engagiert. Anfang Juni wurde er zu einem Match von C-Junioren – also Kicker im Alter von 14 bis 16 Jahren – auf die ­Anlage des FC Töss aufgeboten.

«Begonnen hatte die Partie ganz normal», sagt Wuillemin. «Ganz normal» heisst im Fussball, dass Entscheide des Unparteiischen schon mal grundsätzlich in Frage gestellt und von Trainern und Spielern kommentiert werden. «Also nichts ­Besonderes», so Wuillemin.

In der zweiten Halbzeit zeigte der Referee einem Spieler von Töss die gelbe Karte. Im Juniorenfussball hat eine ­solche Verwarnung eine 10-minütige Zeitstrafe zur Folge. «Drei Minuten ­später musste ich einem weiteren Töss-Spieler Gelb zeigen», so Wuillemin. Dies war offenbar zu viel für einen der hochmotivierten FCT-Nachwuchskicker. «Er nannte mich Hurensohn. Das muss man sich einmal vorstellen», sagt Wuillemin und schüttelt den Kopf. Klare Sache – rote Karte für den fehlbaren Spieler. Wuillemin unterbrach die Partie, ­zückte sein Notizbüchlein und machte sich daran, die Rückennummer des Missetäters zu notieren.

Jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Wuillemin: «Ich senkte den Kopf, um meine Notizen zu machen. Da sah ich nur noch einen Schatten auf mich zukommen. Ich wollte aufschauen, da erhielt ich zwei Schläge in die Rippen, einen auf die Brust – und fiel zu Boden.» Sofort war klar, dass kein Spieler, sondern ein Erwachsener zugeschlagen hatte. «Ich erkannte, dass er kein Offizieller des FC Töss war», so Wuillemin, «vielleicht ein Vater oder ein anderer Verwandter des Spielers, dem ich die rote Karte gezeigt hatte.»

Auf der Heimfahrt kam alles wieder hoch

Geschockt und dennoch geistesgegenwärtig brach Wuillemin die Partie ab. «Dann wurde ich von Verantwortlichen des FC Töss in die Kabine begleitet. Ich wollte nur noch weg, ab nach Hause.» Auf der Heimfahrt machte Wuillemin auf der Raststätte Kemptthal eine kurze Pause. «Ich musste anhalten. Der Schock war so gross, dass ich im Auto sitzengeblieben bin und geheult habe wie ein Schlosshund.»

Nach ein paar Minuten setzte ­Wuillemin seine Fahrt nach Bonstetten fort. «Als ich daheim zur Türe hereintrat, wunderte sich meine Frau darüber, dass ich immer noch in den Schiedsrichter-Kleidern steckte.» Normaler­weise duscht Wuillemin nach einem Spiel und kehrt in Zivil nach Hause ­zurück.

Dann nahm der Fall an Dynamik auf. «Ich meldete den Spielabbruch auf die Combox des Zürcher Fussballverbands. Später rief mich die Schiedsrichterabteilung an.» Ganz grundsätzlich windet Wuillemin den Verantwortlichen des Kantonalverbands ein Kränzchen. «Man hat sich wirklich sehr gut um mich gekümmert.» Vom FC Töss erhielt Wuillemin am Tag nach dem Vorfall ein nettes E-Mail. «Vereinspräsident ­Wolfgang Schickli hat sich persönlich entschuldigt und versprochen, der Sache nachzugehen.» Blumen und eine Flasche Champagner sollten noch ­folgen.

Es stellte sich heraus, dass der ­Fussball-Schläger der Vater jenes Spielers ist, welchen Wuillemin nach dessen verbaler Entgleisung vom Platz stellen wollte. «Die Frage war nun, was ich tun sollte», so Wuillemin. Solche Vorfälle sollten gemäss Fussballverband eine ­Anzeige zur Folge haben. «Doch ich wollte etwas anderes. Ich wollte ihm in die Augen schauen und von ihm eine ehrlich gemeinte Entschuldigung. Das teilte ich so dem FC Töss mit.»

Der Schläger zeigte Reue und entschuldigte sich

Und so kam es auch. Am Samstag nach der Partie trafen sich Schiedsrichter ­Wuillemin, Töss-Präsident Schickli, Schiedsrichter-Gruppenobmann Peter Hüni und der Spieler-Vater zur Aussprache im Klubhaus des FC Töss. «Der Mann hat sich in aller Form bei mir entschuldigt und mir versichert, dass es ihm ­unendlich leid tue.» Was mit einem kräftigen Handschlag besiegelt wurde. Das war es, was der Schiedsrichter aus Bonstetten wollte – eine glaubhafte ­Entschuldigung.

Statt eine Klage wegen Körperverletzung einzureichen, wollte Wuillemin indes etwas anderes. «Ich bin bei der Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe aktiv. Wir erfüllen Herzenswünsche von Kindern mit einer Krankheit oder einer Behinderung. Eine Spende von 1000 Franken an die Stiftung machte ich zur Bedingung.» Keine Frage, so der Spieler-Vater, er zahle den Betrag gerne ein.

Von Wuillemins sozialem Engagement begeistert zeigt sich auch FCT-Präsident Wolfgang Schickli. In der kommenden Saison wird der Winterthurer Verein einen speziellen «Sternschnuppe-Tag» veranstalten anlässlich eines 2.-Liga-Heimspiels. Schickli: «Wir werden einen Spendenaufruf machen und ­stellen die Partie ganz ins Zeichen der Stiftung.»

Bleibt nach dem ganzen Aufruhr die Frage nach der Zukunft. Wird Wuillemin auch in der kommenden Saison wieder Fussballspiele arbitrieren? «Das steht ausser Frage», sagt er bestimmt, «ich lasse mir mein Hobby nicht vermiesen.» Dreimal stand er letzte Saison nach dem Vorfall bereits wieder auf dem Platz. Und der nächste Einsatz ist bereits terminiert: Am Donnerstag, 12. August, wird er in Siebnen ein Spiel von B-Junioren leiten.

Verband droht mit Ausschluss des Teams

Zum Strafmass: Die Partie wurde vom Fussballverband der Region Zürich (FVRZ) mit 3:0 Forfait zugunsten von Töss-Gegner FC Diessenhofen gewertet. Zudem brummte der Verband dem FCT eine Busse in der Höhe von 750 Franken sowie 30 Strafpunkte auf und droht, bei weiteren Vorkommnissen das C-Juniorenteam vom Spielbetrieb auszuschliessen. Für seine Tätlichkeit gegenüber dem Schiedsrichter wurde gegen den fehlbaren Mann ein einjähriges Platzverbot, geltend für alle Sportanlagen des FC Töss, ausgesprochen. Sollte er sich nicht von der Anlage fernhalten, ist laut FVRZ eine Klage bei der Polizei ein­zureichen.

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