80 Jahre - kein Grund, still zu werden
In den 80er-Jahren hat er in der Obfelder Dorfpolitik für Furore gesorgt, die N4 bekämpft und einen historischen Erfolg gegen den Rohstoffkonzern Glencore mitverantwortet. Morgen Samstag wird Heiner Stolz 80 – kein Grund, still zu werden.

Den «Runden» feiern? Das kann er nicht, weil Feste in grossem Rahmen virusbedingt noch nicht möglich sind. Und er würde auch dann nicht, wenn es möglich wäre. Zu seinem 79. Geburtstag hat Heiner Stolz im Obfelder «Löwen» ein Fest steigen lassen. «Es macht eigentlich keine Freude, 80 zu werden», sagt er beim Gespräch im naturnahen Garten der schönen Wohnsiedlung, in der er mit Ehefrau Heidi lebt. Aber Stolz schiebt sogleich nach: «Mir geht es gut, ich bin gesund und ‹zwäg› – auch, weil wir mit dem Velo jährlich rund 4000 Kilometer zurücklegen.»
Seine Liebe gilt ausserdem der Natur, dem Beobachten von Flora und Fauna, dem Fotografieren von Vögeln. Mit den Aufnahmen erfreut er regelmässig eine grössere Interessentenrunde.
«Voll-Opposition» in Obfelden
Nun ja, sich akribisch in Themen einarbeiten, für oder gegen eine bestimmte Sache kämpfen – das gehört schon seit jungen Jahren zur DNA von Heiner Stolz. Als der Verlagsbuchhändler nach sechs Jahren in Deutschland in die Schweiz zurückkehrte, trat er 1974 der SP Affoltern bei, gründete in Zwillikon einen Zierfischhandel und siedelte mit seinem Geschäft nach Obfelden um. Dort traf er einen gewissen Hans Steiger, später Kantons- und Nationalrat. Die beiden mischten die durch und durch bürgerlich geprägte Dorfpolitik auf und hauchten der SP-Ortspartei neues Leben ein.
«Voll-Opposition», erinnert sich Heiner Stolz, der mit seinen Mitstreitern aber erstaunlich viel erreichte. So zum Beispiel Aus- und Umzonungen am «Buechbärlihoger» und zwischen den Dorfteilen Ober- und Unterlunnern («Zwischenlunnern»). Oder bei der Auseinandersetzung mit dem Tambrig-Betreiber Spross bzw. der Kampf gegen den Gestank, der sich damals von der Deponie über Teile von Obfelden legte. Letzte Station bildete hier schliesslich das Bundesgericht.
Legendär auch der Wahlkampf 1983, als Heiner Stolz ausserhalb der Interparteilichen Konferenz (IPK) für den Gemeinderat kandidierte und sich in einer von bürgerlicher Seite lancierten Inseratenkampagne heftigem Gegenwind aussetzte. Sie nannte ihn «Igor Rotwasser» und bediente sich gar kommunistischer Rhetorik. Was damals für viel Kritik sorgte, bezeichnet Heiner Stolz rückblickend als «lustig». Immerhin, ab 1990 kehrte etwas Ruhe ein. Die SP wurde Teil der IPK, und mit Heiner Stolz’ Ehefrau Heidi Hollenweger zog die erste SP-Vertreterin in den Gemeinderat ein – mit über 1000 Stimmen, ein heute noch gültiger Rekord.
Das Säuliamt als Wiege der Konzernverantwortungsinitiative
Als seinen letzten grossen «Hosenlupf» bezeichnet Heiner Stolz die Auseinandersetzung mit dem Zuger Rohstoffkonzern Glencore bzw. mit dessen Gebaren in Kolumbien und anderen Ländern. Heiner Stolz war Mitinitiator der «Tatortreise» nach Kolumbien. Eine Gruppe von sieben Leuten bereiste drei Wochen lang das Umfeld der Glencore-Kohleminen. Wenn Heiner Stolz von dieser Reise spricht, verdüstert sich seine Miene nach wie vor. «Erschütternd, was wir da gesehen haben: ausgebeutete Menschen, nicht mehr bewohnbare Dörfer, zerstörte Umwelt», fasst er zusammen. Zuvor aber hatten die Aktivisten im Säuliamt einen grossen Sieg einfahren können – mit einer Initiative. Glencore-Chef Ivan Glasenberg musste in seiner Wohngemeinde Rüschlikon 360 Mio. Franken ausserordentliche Einkommenssteuer entrichten – Geld, das über den kantonalen Finanzausgleich in viel kleineren Tranchen den einzelnen Gemeinden zufloss. Davon, so die Initiative, sollten 10 Prozent an Hilfswerke fliessen. In fünf von sechs Ämtler Gemeinden stimmte der Souverän diesem Ansinnen zu. Internationale Medien berichteten darüber: vom «Spiegel» bis zur «New York Times».
Im Vorfeld der Abstimmungen gab es mehrere Veranstaltungen mit prominent besetzten Podien; in Obfelden meldeten sich erstmals Glencore-Kaderleute zu Wort. Mehrmals nahm Heiner Stolz an Treffen mit Ivan Glasenberg teil. Es gab auch einen Briefwechsel mit dem Glencore-Chef, aus dem der «Tages-Anzeiger» ein «David gegen Goliath» machte. «Die Wiege der Konzernverantwortungsinitiative steht im Säuliamt», sagt der Exponent aus Obfelden.
Im Verlagswesen viel fürs Leben gelernt
Man spürt gerade bei diesem Thema, dass sein Feuer immer noch lodert und ihn Ungerechtigkeiten in Rage bringen können. «Ich engagiere mich immer noch gern, aber mit 80 natürlich nicht mehr federführend. Dann lehnt er sich etwas zurück im Stuhl und sagt: «Vieles, was ich angegangen habe, wurde zum Erfolg – gewiss auch, weil ich im Diogenes Verlag auf breiter Ebene enorm viel gelernt habe.» Auch im Rahmen seines beruflichen Wandels vom Zierfisch- zum Weinhändler – eine Firma, die auch in neuen Händen floriert.
Und Fehler? «Klar, die gabs auch», sagt der Jubilar sofort und nennt das in den 80er-Jahren heiss diskutierte Thema «Waldsterben», bei dem schon früh und nachdrücklich auf den Klimawandel hingewiesen wurde. «Aber wir lagen falsch mit kurzfristigen Prognosen, und darunter hat dann unsere Glaubwürdigkeit gelitten.» Und Stolz räumt auch ein, dass er einem Autobahnzubringer Ottenbach/Obfelden nicht mehr zustimmen würde.
Ansonsten aber überwiegt das gute Gefühl, die Freude über die Freiräume, die Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die ihn gefördert und vieles toleriert haben. Heiner Stolz: morgen Samstag, 25. April, den 80. Geburtstag feiernd. «Kaum zu glauben», schiesst es dem Chronisten auf dem Nachhauseweg durch den Kopf.