Abschied mit guten Erinnerungen

Marina Schellenberg hat 18 Jahre als Bezirksrichterin gewirkt, Otto Steinmann deren zwölf. Beide haben nun Ende Juni Abschied genommen – mit guten Erinnerungen an ereignisreiche Zeiten.

Abschied als Bezirksrichterin und Bezirksrichter nach 18 beziehungsweise zwölf Jahren: Marina Schellenberg und Otto Steinmann blicken auf eine ereignisreiche Zeit zurück. (Bild Werner Schneiter)
Abschied als Bezirksrichterin und Bezirksrichter nach 18 beziehungsweise zwölf Jahren: Marina Schellenberg und Otto Steinmann blicken auf eine ereignisreiche Zeit zurück. (Bild Werner Schneiter)

Virusbedingtes Abstandhalten gilt ­natürlich auch am Bezirksgericht Affoltern, weshalb der vorhandene Büroraum derzeit stärker optimiert werden muss. Das Abschiedsinterview musste gleichwohl nicht wie geplant im Freien stattfinden. In der Bibliothek, die auch als Pausenraum genutzt wird, fand sich der nötige Platz für das Gespräch.

Marina Schellenberg, ursprünglich Zahnärztin, hat sich in den ersten Jahren nach ihrer Wahl im Jahr 2002 am Gericht in erster Linie mit familienrechtlichen Angelegenheiten auseinandergesetzt. Später, nach einem Jura-Studium, wurde sie in allen Rechtsgebieten eingesetzt. Dabei zeigte sich ein zunehmendes Interesse am Strafrecht. «Dieser Bereich hat mich stärker angesprochen», sagt sie. Klar, dass sie auch in dieser Funktion als Einzelrichterin oder im Kollegialgericht (Dreier-Besetzung) so manches Schicksal vor Augen geführt bekam. Und da stellt sich die Frage nach persönlicher Betroffenheit. Am Anfang ihrer Tätigkeit sei das schwieriger ­gewesen, aber man dürfe das nicht an sich herankommen lassen und müsse eine klare Abgrenzung zwischen richterlicher Tätigkeit und persönlichen ­Befindlichkeiten vollziehen. «Sonst geht das nicht», fügt Marina Schellenberg bei. Als ein gutes Mittel, nach einem happigen Fall hernterzufahren, bezeichnet sie die Spaziergänge mit ihrem Terrier ­Chica. «Er ist sozusagen unser Gerichtshund, der am Gericht stets präsent war – natürlich nicht bei Verhandlungen ... Aber dieser Vierbeiner hat nicht nur bei seiner Halterin nach schwierigen Fällen fürs nötige Gleichgewicht gesorgt, sondern auch bei familienrechtlichen Angelegenheiten. «Bei Anhörungen von Kindern etwa hat seine Anwesenheit oft sehr geholfen», sagt sie.

Wie ein Kochbuch

Akten-Literaturstudium beansprucht einen Grossteil der richterlichen Tätigkeit. Es zeigt auch immer wieder, dass das 35-Prozent-Pensum für Richterinnen und Richter regelmässig gesprengt wird. Am Anfang aber, so Marina Schellenberg, stehe die Frage nach den Verfahrensabläufen gemäss der Prozessordnung. Erst wenn dies und die notwendigen Verfahrensabläufe klar seien, starte das eigentliche Aktenstudium – das «Sich-Eingraben» in Fälle, die stets komplexer werden und vom Gerichtspräsidenten zugeteilt werden. Zu dieser Komplexität trägt auch der Umstand bei, dass heute vom Bundesgericht hohe Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung gestellt werden. Dass Strafen nicht immer der Volksmeinung entsprechen, räumen Marina Schellenberg und Otto Steinmann ein. Sie stellen aber klar, dass der Strafrahmen vom Gesetz vorgegeben wird – mit einem sogenannten Ermessensspielraum. «Das Strafgesetzbuch kommt einem Kochbuch gleich», fügt Steinmann bei. Ist die scheidende Richterin auch mal bedroht worden? «Nein, das nicht. Aber in einem Fall war Polizeischutz im Gerichtssaal nötig, resümiert sie und zieht eine durchwegs positive Bilanz nach 18 Jahren. «Meine besten 18 Jahre in meinem Berufsleben», sagt sie sogar und betont, dass das auch mit der guten Atmosphäre am Gericht zusammenhänge. Dafür seien alle besorgt, vom Präsidenten über die Gerichtsschreiber und Auditoren bis zum Hauswart.

Der letzte Laienrichter

Ähnlich tönt es bei Otto Steinmann, der nun als letzter Laienrichter am Bezirksgericht aus dem Amt geschieden ist. Das Schwergewicht seiner Tätigkeit am ­Gericht lag bei Eheschutz (bei Trennungen) und Scheidungen, dazu war er Beisitzer am Kollegialgericht bei Strafen ab zwölf Monaten. Als Einzelrichter hat sich Otto Steinmann auch mit Rechtsöffnungen befasst. Auch er spürte die gestiegene Arbeitslast, gerade im zivilrechtlichen Bereich: Bekanntlich wird ja mindestens jede dritte Ehe geschieden. «Es müsste eigentlich ein 50-Prozent-Pensum sein», ist er überzeugt, schiebt aber nach, dass er die Arbeit am Gericht trotzdem gerne gemacht hat. Spannend fand er auch, dass gerade bei Eheschutz-Angelegenheiten im Voraus oft nur wenige Akten vorhanden waren. «Ich habe häufig nur gewusst, wer da vor Gericht erscheinen wird – und dass sich ein Ehepaar trennen will. Da musste ich erst einmal eine Stunde nur zuhören. Zuhören ist das A und O. Spannend wie fordernd waren auch die Suche nach gerichtlichen Vergleichen zwischen den Parteien – und dazu die völlig unterschiedlich gelagerten Fälle, die aufgrund von verschiedenen Stimmungslagen bei Partnern und Anwälten auch Fingerspitzengefühl erfordern», sagt Otto Steinmann. Wichtig sei es auch, Gefühle zuzulassen und auf ­Augenhöhe in möglichst verständlicher, paragrafenfreier Sprache zu sprechen.

Beide betonen die gestiegene Komplexität der Fälle. Bei gewissen Verfahren ist ja auch die Kesb (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) involviert. Und das neue Unterhaltsrecht ist verbunden mit grösseren Rechenaufgaben, die laut Steinmann jeweils nicht von allen verstanden werden. Aber klar, auch für Richterinnen und Richter sind vor diesem Hintergrund Weiterbildungen nötig, was Otto Steinmann zur Feststellung veranlasst: «Nur juristisch ausgebildete Personen an Gerichten – das ist heute wohl unabdingbar. Das Thema Laienrichter ist erledigt.»

Dass er als solcher Laienrichter nicht das gesamte Spektrum abdecken konnte, stört ihn nicht. Aber die Tatsache, dass er sogenannt «einfache Fälle» auf den Tisch bekam, hat nach seiner Vorstellung auch dem gesamten Gericht Vorteile gebracht, weil damit auch Entlastung möglich ist. «Juristen können sich auf die ‹komplizierten› Fälle konzentrieren. Es ist ja so, dass der Herzchirurg Thierry Carrel keine Beinoperationen vornimmt», fügt Steinmann als Vergleich an.

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