Sommer in der Stadt

Der Beton kocht, jede Menge Touristen zum Beobachten, grossartige Architektur – mal sehen, wies im «Big Apple» des Säuliamts ausschaut. Aber werden wir dem Rummel gewachsen sein?

Sempers Treppe in den Himmel. (Bild Christine Häusermann)
Sempers Treppe in den Himmel. (Bild Christine Häusermann)

Mit dem öffentlichen Verkehr kommen wir an diesem Samstagmorgen in der Bezirkshauptstadt an. Der weite, helle Bahnhofplatz wirkt grosszügig und weltoffen, die Baumallee inmitten der Strasse erinnert an wärmere Gegenden. Der massige Bau des Restaurants Löwen korrespondiert mit den Bürgerhäusern auf der anderen Seite der Gleise, die auf den Bahnhof herabnicken. Affoltern hat sogar zwei Bahnhofstrassen, wir schlagen die Obere ein. Am Kreisel steht ­erneut ein stattliches gelbes Haus aus der vorigen Jahrhundertwende, lauter ehrwürdige alte Bausubstanz. Gegenüber verführt uns die Bäckerei Nussbaumer zum ersten Kaffee. Halt! Erst geht es zum über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Wochenmarkt.

Am Schaufenster von Tabak Peter mit seinen kunstvollen Pfeifen bleiben wir hängen. Es weckt in uns wehmütige Erinnerungen ans Pendeln in den plüschigen 1.-Klasse-Abteilen der SBB, die rauchenden Kollegen machten allzu frühe Morgenstunden behaglich. Nebenan lockt die Modeboutique Calimba, aber so früh am Morgen kann ich meiner Begleitung noch keine Modeeinkäufe zumuten. Das gilt auch für Bücher und Schuhe, die etwas weiter entlang dieser Einkaufsmeile angeboten werden.

Ein bunter Wochenmarkt

Wir biegen auf den stattlichen Marktplatz ein. Die Stände quellen über mit frischem, knackigem Gemüse, Obst und leuchtenden Beeren, Sommerblumen in allen Farben und Formen zu schönen Sträussen gebunden, lecker Eingemachtes, die Qual der Wahl beim fein duftenden Brot und Gebäck, aber auch Kreatives geht über den «Ladentisch». Wir kommen mit Thomas Haller, Präsident des Vereins Wochenmarkt, ins Gespräch. Wegen Ferienbeginn und Corona-Schutzmassnahmen habe es heute weniger ­Betrieb als sonst. Ein Honig-­Zitronen-Konzentrat, um Limonade anzurühren und eine Spinatpesto haben in unserem kleinen Rucksack Platz. Ein letzter Blick auf das Gebäude der Stadtverwaltung: Wir hoffen, dass das Äussere nicht auf die Stimmung im Innern drückt, die Hülle wirkt an diesem noch bedeckten Morgen wie ein trüber Teich.

Mit sympathischem Lächeln serviert man uns den Kaffee im «Roots» – offenbar österreichischen. Das Intérieur ­erinnert an urbanen Alphüttenzauber. Kaffee trinkend beobachten wir die Strasse. Die Passanten wirken entspannt, ob das mit der Stadt zu tun hat? Auch im Sichtbacksteingebäude gegenüber, wo die Redaktion des «Anzeigers» ihre Büros hat, stürzt an diesem Samstagmorgen kein ­Reporter mit der Kamera die steile Treppe hinunter, hechtet ins Auto, hetzt zu einer guten Story.

Touristen aus nah und fern

Keine Kunstausstellung heute in der «Galerie Märtplatz», wir flanieren weiter die Einkaufsmeile hoch. Bei der Bijouterie Huber lassen wir uns von den freundlichen Mitarbeiterinnen zwei Uhren zeigen. Ein weiteres Paar guckt sich die Schaufensterauslagen an. Welche Überraschung, wir sind nicht die einzigen Touristen in der Stadt! Das Ehepaar Lank stammt aus Liberec/Reichenberg in Tschechien, das zehn Mal mehr Einwohner hat als Affoltern. «Affoltern is a nice city.» ­Gerade haben sie eine Bankkarte auf der Strasse aufgelesen – typisch Schweiz, das Geld liegt auf der Strasse – die wir dann bei der UBS in den Schlitz werfen. Sie geben uns den Tipp, jetzt nach Prag zu fahren. Endlich ­könne man wieder ohne Tausende von ­Touristen über die Karlsbrücke schlendern. Auch in Affoltern droht kein ­Ölsardinentrauma.

Quer durch die «Altstadt» gelangen wir hinunter an den Jonenbach, der mitten durch die Stadt fliesst und mit seinen Schwellen, kleinen Brücken und den angrenzenden alten Häusern viel Cachet bietet. Bei der fleischfarbenen «Migrosbaute» überqueren wir Bach und Boulevard der Zürichstrasse und steigen eine versteckte, steile Treppe hinauf zur Kirche. Warum er auf den Kirchturm eine (Himmels-)treppe gebaut hat, könnte uns Gottfried Semper erklären, aber der ist lange tot. Im Kircheninnern erfreuen uns zierliche Stuckaturen. Der lichte stille Raum lädt zur Einkehr ein.

Fürs Mittagessen finden wir den Gasthof Weingarten, werden freundlich empfangen, gut versorgt und mit vorzüglicher «Piccata milanese» gestärkt. Hier könnten wir auch übernachten, wenn wir noch einen Tag anhängen möchten, die Gastfreundschaft täte uns passen.

Das Rom des Säuliamts

Mit gut gefülltem Magen steigen wir den steilen Hang zum Promenadenweg am Sonnenberg hoch. Den Weg säumen gut abgeschirmte Gärten, da und dort ein Pool, moderne Architektur im Wechsel mit Landhäusern betuchter Citoyens. Wir kommen arg ins Keuchen. Was hier fehlt, ist eine Drahtseilbahn zum Waldrand, die ZKB könnte vielleicht einspringen. Auf einer Bank überblicken wir die junge Stadt und geniessen die Aussicht in die Berge. Die Metropole schmiegt sich an seine vielen Hügel: Mühle-, ­Lilien-, Wein- und Sonnenberg auf dieser Seite, gegen Süden ein bewaldeter Rücken, gegen Westen der goldige Berg, wo man sich für 1.85 Millionen eine Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung kaufen könnte. Mit etwas Fantasie fühlt man sich schon fast wie in Rom mit seinen sieben Hügeln. Schade, dass sich der Panoramaweg nicht über die Mühlebergstrasse weiterzieht, aber der kleine Rundweg zum idyllischen Bisliker­weiher (im Sommerserie-­Beitrag vom 14. Juli) entschädigt uns für den harten Aufstieg. Nach einer kurzen Shoppingtour ­beschliessen wir unsere Städtereise bei einem Drink in der CQ-Bar beim Bahnhof, die soeben ihre Türe geöffnet hat. Unser Fazit: Nach Affoltern werden wir immer wieder zurückkehren.

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