Pilze sammeln: eine sinnliche Tätigkeit, der etwas Mystisches anhaftet

Die Pilzsaison geht langsam zu Ende. Gleichwohl gilt nach wie vor: Im Zweifel den Fund kontrollieren lassen. Die Pilz­kontrollstelle befindet sich im Herzen von Affoltern. Verena Schneebeli ist eine von vier Pilzkontrollpersonen im Bezirk.

Verena Schneebeli begutachtet gemeinsam mit Hansjörg Birrer einen Pilzfund.  (Bild Angela Bernetta)
Verena Schneebeli begutachtet gemeinsam mit Hansjörg Birrer einen Pilzfund. (Bild Angela Bernetta)

So viel gleich vorweg: Fast jeder Speisepilz hat einen giftigen Doppelgänger. Und dieser kann lebensbedrohliche Wirkstoffe enthalten. Damit das selbstgesammelte und liebevoll zubereitete Pilz-Potpourri nicht das letzte ist, was man isst, sollte man seine Funde zur Pilzkontrolle bringen. Am Bachweg 7 in Affoltern stellen vier Pilzkontrollpersonen sicher, dass die Freude über den Pilzfund nicht zum Albtraum wird. Denn schnell ist ein Speisepilz mit seinem giftigen Doppelgänger verwechselt.

Dreissig Jahre Pilzkontrolle

«In der Regel sind alle roh verzehrten Pilze giftig, mit Ausnahme einiger ­Gallertpilze», sagt Verena Schneebeli. Seit dreissig Jahren arbeitet sie als Pilzkontrollperson bei der Kontrollstelle in Affoltern (siehe Box). «Morcheln finden sich hierzulande von Februar bis Mai», sagt sie. «Zwischen Mai und Juni bis in den November hinein bringen die Leute Steinpilze und Eierschwämme vorbei, die sie oft in den Bergen gesammelt haben.» Ab August spriessen die Täublinge, die Milchlinge und verschiedene Röhrlinge, zu denen auch der Steinpilz gehört. «Trichterlinge wie die Nebelkappe sind typische Spätherbstpilze, die man jetzt, gegen Ende der Pilzsaison, findet.» Im Herbst bringen Pilzfreunde über­-dies haufenweise Hallimasche vorbei. ­«Nebelkappen und Hallimasche sind allerdings lediglich geniessbar, wenn sie zuerst gekocht werden und das Kochwasser weggeschüttet wird.» Anleitungen zur Zubereitung der verschiedenen Pilzarten bekommt man in der Pilzkontrollstelle ebenfalls.

Verena Schneebeli rückt ein rechteckiges, gelbes Plastikgefäss, das für die Pilzfunde auf dem Tisch bereitsteht, zurecht. Daneben befindet sich eine Waage, mit der die Ausbeute beziffert wird. Geht es nach dem kantonalen Reglement, dürfen pro Kopf und Tag höchstens ein Kilogramm Pilze gesammelt werden. Ebenfalls griffbereit liegen ein Kugelschreiber, ein Messer und der unverzichtbare Pilzkontrollschein, den die Pilzkontrolleure bei jedem Besuch gewissenhaft ausfüllen müssen. «Wir sortieren und wägen das Sammelgut, sagen den Leuten wie die Arten heissen, was sie davon essen können und was nicht, füllen das Protokoll aus und unterschreiben es», erklärt sie den Ablauf. «Dann entlassen wir sie.» Grundsätzlich seien die Leute freundlich, diszipliniert und geduldig. «Wir treffen hier auf Menschen jeden Alters und aus unterschiedlichen Berufen.»

Zahlreiche Pilzfunde im Herbst

Das Pilzjahr 2020 sei mässig angelaufen. «Im August kamen lediglich drei bis sechs Pilzsammler pro Abend vorbei.» Dieser geringe Zulauf sei allerdings kaum der Pandemie geschuldet, da sich die Sammelnden im Freien bewegen. «Mit dem Bringen der Spätherbstpilze wie Hallimasch oder Nebelgrauer Trichterling nehmen die Kontrollen nun wieder zu», sagt sie. «Das können pro Abend zwischen 10 und 20 sein.» Da die Corona-­Schutzmassnahmen gleichzeitig lediglich zwei Pilzkontrollpersonen in der Dienststelle zulassen, seien sie nun gefordert.

«Pilze sammelt man am besten in Körben oder allenfalls in Stoffsäcken und verteilt sie so, dass die Luft zirkulieren kann», rät Verena Schneebeli. «Plastiksäcke gehen gar nicht, da sich ohne Luft das Eiweiss der Pilze zersetzt und Giftstoffe entstehen können.» Auch trennt man die Pilzarten vorsorglich, nachdem man sie gepflückt und gesäubert hat, bevor man sie zur Kontrolle bringt. «Man muss den ganzen Pilz mit Hut und Stiel mitbringen, sonst können wir nicht jede Art richtig zuordnen.» Beurteilt werden die Funde auf Basis von vier Kriterien: essbare, ungeniessbare, giftige oder verdorbene und tödlich giftige Pilze. Dabei verursache die erste Kategorie der Giftpilze nach dem Verzehr Erbrechen und Durchfall, eventuell auch Halluzinationen. «Die zweite enthält die ganz gefährlichen Arten, die zum Tode führen können, wie zum Beispiel den Grünen Knollenblätterpilz.»

Wissen langsam erweitern

«In der Schweiz wachsen etwa 7000 verschiedene Pilzarten», ergänzt Verena Schneebeli. «Ich erkenne etwa 200 Arten ohne Hilfsmittel, darunter natürlich alle gängigen Speisepilze.» Wer Pilze sammeln will, brauche Geduld und Ausdauer. «Ich wurde von einem Bekannten in die Pilzkunde eingeführt.» Später begann sie Fachliteratur zu lesen. «Da es Unmengen an Pilzbüchern gibt, rate ich jedem, bescheiden einzusteigen.» Zuallererst sollte man Röhrlinge und Lamellenpilze auseinanderhalten können. «Mit zunehmender Erfahrung macht es Sinn, sich einem Pilzverein anzuschliessen, wo man sein Wissen nach und nach durch Anschauung und im Gespräch erweitern kann.» Nach jahrelangem Feld-, Wald- und Wiesentraining entschied sie sich, den Kurs zur Pilzkontrolleurin bei der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz (Vapko) zu belegen, den sie erfolgreich absolvierte. «Es brauchte zwanzig Jahre Vorlaufzeit, bis ich so weit war.»

Auf die Frage, was das Faszinierende am Pilzsammeln sei, hat sie verschiedene Antworten. «Zum einen kann man Pilze essen, was viele anspornt. Zum anderen regt die Tätigkeit unseren Jagd- und Sammeltrieb an.» Auch sei das Pilzesammeln eine sinnliche Angelegenheit und der Tätigkeit hafte mitunter etwas Mystisches an. «Vor allem in der Hauptsaison im Herbst, wenn es im Wald oft ziemlich dunkel und bisweilen neblig ist.» Auch fasziniere wohl viele die Gratwanderung zwischen essbaren und giftigen Pilzen, da deshalb immer ein Hauch von Gefahr mitschwebe.

«Mit der Zeit bekommt man ein ‹Pilzauge›», ergänzt sie. «Und plötzlich entdeckt man allerlei im Wald, was man vorher nie wahrgenommen hat, und kann es zuordnen.» Allerdings, betont sie abschliessend, brauche es viel Übung, um wirklich richtig hinzusehen.

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