Statt zu ­wüten lieber über die eigene Vergänglichkeit nachdenken

Für die erste Lesung nach dem Corona-Shutdown konnte die Regionalbibliothek Affoltern ein literarisches Schwergewicht gewinnen: Büchner Preisträger Lukas Bärfuss las aus seinem Essayband «Die Krone der ­Schöpfung».

Irene Scheurer dankt Lukas Bärfuss mit einem Teelicht in Form einer Krone für die «krönende Erleuchtung in seinem Schreiballtag». (Bild Christine Häusermann)
Irene Scheurer dankt Lukas Bärfuss mit einem Teelicht in Form einer Krone für die «krönende Erleuchtung in seinem Schreiballtag». (Bild Christine Häusermann)

«Man merkt erst, was einem fehlt, wenn man es nicht mehr hat», sagt Bibliothekarin Irene Scheurer in ihrer Begrüssung. Lesungen mit interessanten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die wegen Covid nicht mehr durchgeführt werden konnten, hätten ihr definitiv gefehlt, fügt sie hinzu. Ein Blick in die gespannten Gesichter der vielen Gäste an diesem Freitagabend zeigt, dass es nicht nur ihr so ergangen ist. Irene Scheurer stellt Lukas Bärfuss vor und hebt hervor, dass er ein genauer Beobachter und eigenständiger Denker sei, der sich in öffentliche Diskussionen ­einbringe, Poetisches und Politisches zusammenbringe und dafür plädiere, dass die Menschheit aus der Geschichte lerne.

Literatur – Tür zu wunderbaren Gärten

Lukas Bärfuss begrüsst «Affoltern» und erklärt, dass er gerne wieder hierhergekommen sei, auch darum, weil ihn Bibliotheken geformt hätten. Er nennt sie «öffentliche Refugien, mit vielen wunderbaren Türen zu noch wunderbareren Gärten dahinter». Und meint dann unter dem Lachen der Zuhörer, dass er es nicht übelnehmen würde, falls jemand während seiner Lesung zwischen den Gestellen schmökern möchte.

Welch ein Glück, Lukas Bärfuss kann nicht nur schreiben, er liest auch gut und spannend, schliesslich ist er ja auch im «Showbusiness» tätig, wie er selbst solche Lesungen nennt. Er beginnt mit den «drei Raben», mit denen er im Laufe seines Lebens spezielle Begegnungen hatte. Der erste pickte ihn in den Schuh und schlug ihn in die Flucht, der zweite löste einen Ziegel auf einem Dach, der dann in den Hof hinunterfiel und beinahe einen Malermeister erschlagen hätte und vom dritten lernte er, den Blick in den weiten Himmel zu richten, wenn es unten auf der Erde mal wieder unerträglich wurde. Drei simple Anekdoten könnte man meinen, aber was Lukas Bärfuss alles neben den ­eigentlichen Geschichten noch erwähnt, beobachtet, anmerkt, das fesselt ungemein. Sprachmächtig zieht er die ­Zuhörer in die Geschichte hinein, ­beschreibt präzise seine Beobachtungen, Gedankengänge und Gefühle und macht es leicht, diese nachzuempfinden.

Dass ihn die Kunst fasziniert, wird in den nächsten beiden Essays klar und er führt dem Publikum vor Augen, wie Kunst die verschiedensten Lebens­bereiche berührt und wie bereichernd es sein kann, sich mit Kunst auseinanderzusetzen.

Wut kann nicht denken

In seinem letzten Aufsatz schreibt er über «ein sehr politisches Gefühl»: ­Gemeint ist die Wut. «Wut verändert und bewegt. Die Wut zweifelt nicht. Wut kann nicht denken.» Statt zu ­wüten, fordert uns der Autor auf, über unsere Vergänglichkeit nachzudenken, wofür wir unsere Kraft und Liebe einsetzen wollen. Bei der anschliessenden Fragerunde gibt er hierauf gleich selbst eine mögliche Antwort. Nach seiner ­Tagesstruktur gefragt, meint er, dass er dem dämmerungsaktiven Dachs gleiche und fügt salopp an, dass Nachmittage eh zu nichts nütze wären, als für die Liebe.

Bundesrätin Sommaruga wünschte sich einst in einem Interview, dass die Schweizerinnen und Schweizer auch unsere einheimischen Autoren lesen und entdecken würden. Wer sich bisher nicht an den viel gepriesenen und viel kritisierten Lukas Bärfuss heranwagte, dem bietet «Die Krone der Schöpfung» einen themenreichen Einstieg in sein Denken und Schaffen. Auch seine Dankesrede anlässlich der Georg-Büchner-Preisverleihung 2019 zeigt anschaulich, was ihn beim Schreiben antreibt.

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